Richard hatte Schwierigkeiten, den Blick von ihr zu lösen und Scarlet anzusehen. »Dieser Kleine hier wurde von den Schlammenschen entführt, als du Darken Rahl dorthin gebracht hast. Seine Mutter ist ebenso darauf bedacht, ihn zurückzubekommen, wie du auf dein Ei versessen warst. Könntest du uns dorthin bringen, nachdem wir uns deinen kleinen Drachen angesehen haben?«
Scarlet musterte Siddin mit ihren großen Augen. »Ich denke, ich kann verstehen, daß seine Mutter besorgt ist. Ist so gut wie erledigt. Steigt auf.«
Zedd trat vor, die Hände in die Hüften gestemmt, seine Stimme fassungslos. »Du läßt Menschen auf dir fliegen? Ein roter Drache? Du bringst ihn hin, wohin er will?«
Scarlet umhüllte den Zauberer mit einer Rauchwolke und zwang ihn einen Schritt zurück. »Einen Menschen nicht. Aber das hier ist der Sucher. Er befehligt mich. Er befehligt den Wind. Diesen Mann hier würde ich bis in die Unterwelt fliegen, wenn es sein müßte.«
Richard hielt sich an den Dornen fest und stieg auf Scarlets Schultern, als sie sich für ihn bückte. Kahlan reichte Siddin nach oben. Richard nahm ihn auf den Schoß und ergriff Kahlans Hand, als sie das Bein hinter ihm über Scarlets Rücken schwang. Sie legte ihm die Arme um die Hüften, drückte die Hände gegen seine Brust, den Kopf an seine Schulter, schmiegte sich fest an ihn.
Richard beugte sich ein wenig zu Zedd. »Paß auf dich auf, mein Freund.« Er lächelte. »Der Vogelmann wird zufrieden sein, daß ich am Ende doch noch eine Frau von den Schlammenschen zum Weib genommen habe. Wo werde ich dich finden?«
Zedd reckte seinen dünnen Arm nach oben, bekam Richards Knöchel zu fassen und tätschelte ihn. »Ich werde in Aydindril sein. Komm mich besuchen, wenn du fertig bist.«
Richard beugte sich noch weiter vor und sah ihn an, so streng es ging. »Und dann werden wir uns unterhalten. Und zwar sehr ausführlich.«
Zedd nickte lächelnd. »Ja, ich denke, das werden wir tun.«
Richard lächelte Rachel an, winkte ihr und Chase zu, dann versetzte er einer von Scarlets Schuppen einen Klaps. »Und jetzt los, meine rote Freundin!«
Scarlet stieß röhrend einen Feuerball aus, dann stieg sie in die Lüfte, Richards Träume und sein Glück auf dem Rücken.
Zedd stand da und beobachtete, wie der Drache am Himmel immer kleiner wurde — seine Sorgen behielt er für sich. Chase strich Rachel übers Haar, dann verschränkte er die Arme, zog eine Braue hoch und sah den Zauberer an.
»Für einen Waldführer erteilt er eine Menge Befehle.«
Zedd mußte lachen. »Ja, das stimmt.«
Ein kleiner, kahlköpfiger Mann kam winkend den Abhang aus Stufen herabgerannt. »Zauberer Zorander! Zauberer Zorander!« Schließlich stand er keuchend vor ihnen. »Zauberer Zorander.«
»Was gibt’s?« fragte Zedd mißtrauisch.
Er hatte Mühe, seinen Atem wiederzufinden. »Zauberer Zorander, es gibt Ärger.«
»Was für einen Ärger? Und wer bist du?«
Er beugte sich verschwörerisch vor, senkte die Stimme. »Ich bin der Leiter der Bediensteten in der Gruft. Es gibt Ärger.« Sein Blick schweifte umher. »In der Gruft.«
»In welcher Gruft?«
Die Frage schien ihn zu überraschen. »In der Gruft von Panis Rahl, Meister Rahls Großvater, natürlich.«
Zedd runzelte die Stirn. »Und um was für einen Ärger handelt es sich?«
Der Leiter der Gruftdiener hielt sich nervös den Finger auf die Lippen. »Ich habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, Zauberer Zorander, aber meine Leute würden niemals lügen.«
»Was ist denn los!« fuhr Zedd ihn an. »Sag mir endlich, was los ist!«
Wieder zuckten seine Augen umher, seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Die Mauern, Zauberer Zorander. Die Mauern!«
Zedd biß die Zähne zusammen. »Was ist mit den Mauern?«
Er sah den Zauberer mit großen Augen an. »Sie scheinen zu schmelzen, Zauberer Zorander. Die Mauern der Gruft scheinen zu schmelzen.«
Zedd richtete sich auf. »Verdammt! Habt ihr weißen Stein zur Hand, weißen Stein aus dem Steinbruch der Propheten?«
Der Mann nickte heftig. »Natürlich.«
Zedd griff in seinen Umhang und holte einen kleinen Beutel hervor. »Versiegelt den Grabeingang mit weißem Gestein aus dem Steinbruch der Propheten.«
»Vollständig?« hauchte er ungläubig.
»Ja. Vollständig. Sonst schmilzt der ganze Palast.« Er gab dem Mann den Beutel. »Mische diesen magischen Staub unter den Mörtel. Es muß vor Sonnenuntergang erledigt sein, verstanden? Er muß bis Sonnenuntergang vollständig versiegelt sein.«
Der Mann nickte, riß Zedd den Beutel aus der Hand und rannte die Stufen hinauf, so schnell ihn die kurzen Beine trugen. Auf dem Weg nach oben begegnete ihm ein anderer, größerer Mann, der die Hände in den gegenüberliegenden Ärmeln seines weißen Umhanges stecken hatte. Chase warf Zedd einen wütenden Blick zu und bohrte ihm seinen kräftigen Finger in die Brust.
»Panis Rahl, Meister Rahls Großvater?«
Zedd räusperte sich verlegen. »Nun ja, ich denke, wir werden uns unterhalten müssen.«
Der Mann in dem weißen Umhang kam näher. »Zauberer Zorander, ist Meister Rahl in der Nähe? Es gibt einiges zu besprechen.«
Zedd warf dem Drachen einen letzten Blick zu, bevor er am Himmel verschwand. »Meister Rahl wird einige Zeit nicht hier sein.«
»Aber er wird zurückkehren?«
»Ja.« Zedd blickte wieder in das erwartungsvolle Gesicht des Mannes. »Ja, er wird zurückkommen. Bis dahin werdet ihr ohne ihn auskommen müssen.«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Daran sind wir hier im Palast des Volkes gewöhnt — darauf zu warten, daß der Meister zurückkehrt.« Er machte kehrt und wollte gehen, blieb jedoch stehen, als Zedd ihn zurückrief.
»Ich verhungere, ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen. Kann man hier irgendwo etwas zu essen bekommen?«
Lächelnd deutete der Mann auf den Eingang am Palast. »Aber natürlich, Zauberer Zorander, Erlaubt mir, Euch zu einem Speisesaal zu bringen.«
»Wie war’s, Chase. Möchtest du nicht auch etwas essen?«
Der Grenzposten schaute zu Rachel hinunter. »Und? Möchtest du?« Sie mußte grinsen und nickte. »Also gut, Zedd. Und wohin führt dich deine Reise?«
Zedd zupfte verlegen sein Gewand zurecht. »Ich werde Adie besuchen.«
Chase zog eine Braue hoch. »Ein bißchen Ruhe und Entspannung?« grinste er.
Zedd konnte nicht anders, er mußte ebenfalls grinsen. »Das auch. Außerdem muß ich sie nach Aydindril bringen, in das magische Versteck. Wir müssen eine ganze Menge nachlesen.«
»Wozu in aller Welt willst du Adie nach Aydindril bringen, in das magische Versteck, noch dazu, um zu lesen?«
Zedd warf dem Grenzposten einen Seitenblick zu. »Weil sie mehr als jeder andere über die Unterwelt weiß.«