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»Aber du mußt tapfer sein und genau tun, was ich dir sage. Einiges wird sehr schwer werden.«

»Ich verspreche es dir.«

»Und ich verspreche dir, Rachel, ich werde alles tun, um dich zu beschützen. Wir beide, du und ich, stecken zusammen in dieser Sache, aber auch eine Menge anderer Menschen verlassen sich auf uns. Wenn wir alles richtig machen, dann wird vielen unschuldigen Menschen vielleicht nicht der Kopf abgeschlagen.«

Sie bekam große Augen. »Oh, das wäre toll, Giller. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man Menschen den Kopf abschlägt. Es macht mir eine Höllenangst.«

»Also gut. Als erstes mußt du die Köche ausschimpfen, wie man es dir aufgetragen hat. Und wenn du unten in der Küche bist, besorgst du einen großen Laib Brot, den größten, den du finden kannst. Wie du das machst, ist mir egal. Stiehl ihn, wenn es nicht anders geht. Besorg ihn einfach. Dann bringst du ihn hoch in die Juwelenkammer. Nimm den Schlüssel und warte drinnen auf mich. Ich muß mich um ein paar andere Dinge kümmern. Später erzähle ich dir mehr. Schaffst du das?«

»Klar«, nickte sie. »Das ist leicht.«

»Also, dann los.«

Sie trat durch die Tür auf den Flur im ersten Stock, während Giller geräuschlos die Treppe hinauf verschwand. Die Stufen zur Küche befanden sich am anderen Ende der großen Freitreppe in der Mitte, die die Königin benutzte. Rachel ging gerne mit der Prinzessin zusammen die große Treppe hinauf, denn sie war mit Teppich ausgelegt und nicht so kalt wie die Steinstufen, die sie benutzte, wenn sie ihre Botengänge machte. Der Flur öffnete sich in der Mitte, wo die große Freitreppe in einem großen Raum mit weißen und schwarzen Marmorquadraten auf dem Boden endete. Sie fühlten sich kalt an unter den Füßen.

Sie überlegte gerade, wie sie einen großen Laib Brot beschaffen könnte, ohne ihn zu klauen, als sie sah, wie Prinzessin Violet den großen Raum durchquerte und zur großen Treppe ging. Die königliche Näherin und zwei ihrer Gehilfen folgten ihr, in der Hand Ballen hübschen rosa Stoffs. Rachel sah sich rasch nach einem Versteck um, doch die Prinzessin hatte sie bereits gesehen.

»Oh, gut, Rachel«, sagte die Prinzessin. »Komm her.«

Rachel ging und machte einen Knicks. »Ja, Prinzessin Violet?«

»Was tust du hier?«

»Meine Botengänge. Ich war gerade auf dem Weg in die Küche.«

»Nun … das ist nicht mehr nötig.«

»Aber Prinzessin Violet, das muß ich doch!«

Die Prinzessin machte ein argwöhnisches Gesicht. »Wieso? Ich sagte gerade, es ist nicht mehr nötig.«

Rachel biß sich auf die Lippe. Der Argwohn der Prinzessin machte ihr angst. Sie versuchte zu überlegen, was Giller antworten würde. »Nun, wenn Ihr nicht wollt, werde ich nicht gehen«, sagte sie. »Aber Euer Mittagessen war einfach fürchterlich, und ich möchte wirklich nicht mit ansehen müssen, wie Ihr noch ein so grauenhaftes Mahl zu Euch nehmt. Ihr habt bestimmt Hunger auf etwas Gutes. Aber wenn Ihr nicht wollt, dann lasse ich es.«

Die Prinzessin ließ sich das einen Augenblick lang durch den Kopf gehen. »Geh nur. Wenn ich es mir genau überlege, war es tatsächlich grauenhaft. Sag ihnen aber auch, wie wütend ich bin!«

»Ja, Prinzessin Violet.« Sie machte einen Knicks. Dann machte sie kehrt und wollte gehen.

»Ich gehe zum Anprobieren.« Rachel drehte sich zu ihr um. »Anschließend will ich in die Juwelenkammer und einige Dinge ausprobieren, die zu meinem Kleid passen könnten. Wenn du mit den Köchen fertig bist, hole den Schlüssel und warte in der Juwelenkammer auf mich.«

Rachels Kehle war wie zugeschnürt. »Aber Prinzessin, wollt Ihr nicht lieber bis morgen warten, wenn das Kleid fertig ist, und dann sehen, wie hübsch die Juwelen zusammen mit dem Kleid aussehen?«

Prinzessin Violet machte ein überraschtes Gesicht. »Ja, tatsächlich. Es wäre gut, den Schmuck zusammen mit dem Kleid zu sehen.« Sie überlegte noch einmal einen Augenblick lang, dann ging sie die Treppe hinauf. »Gut, daß du daran gedacht hast.«

Rachel atmete auf und lief zur Dienstbotentreppe. Die Prinzessin rief ihr etwas hinterher.

»Ich habe es mir anders überlegt, Rachel. Ich brauche noch etwas für das Abendessen heute, ich muß also sowieso in die Juwelenkammer. Warte in ein paar Minuten dort auf mich.«

»Aber Prinzessin…«

»Kein Aber. Wenn du den Köchen meine Nachricht mitgeteilt hast, holst du den Schlüssel und wartest in der Juwelenkammer auf mich. Ich komme, sobald ich mit dem Anprobieren fertig bin.«

Die Prinzessin stieg die Freitreppe hinauf und war verschwunden.

Was sollte sie jetzt machen? Giller wartete ebenfalls in der Juwelenkammer auf sie. Ihr Atem ging schwer, als müßte sie gleich anfangen zu weinen. Was sollte sie bloß machen?

Sie würde tun, was Giller verlangt hatte, was sonst. Sie würde tapfer sein. Damit man diesen Leuten nicht die Köpfe abschlug. Sie unterdrückte ihre Tränen und ging die Stufen zur Küche hinunter. Wozu Giller wohl den großen Laib Brot brauchte?

»Was denkst du?« flüsterte er. »Irgendwelche Ideen?«

Kahlan lag dicht neben ihm auf dem Boden und blickte besorgt über die Klippe auf das Geschehen unten.

»Keine Ahnung«, antwortete sie flüsternd. »Ich habe noch nie so viele kurzschwänzige Gars auf einem Fleck gesehen.«

»Was sie wohl verbrennen?«

»Sie verbrennen nichts. Der Rauch kommt aus dem Boden. Der Ort heißt Feuerquelle. Dort, wo der Rauch aus der Erde steigt, das sind Schlote. Aus den anderen Öffnungen kocht Wasser von unten herauf. Dort drüben sind noch mehr, dort kocht noch etwas anderes hoch, eine stinkende gelbe Flüssigkeit und dicker Schlamm. Wegen der Dämpfe wagt sich kein Mensch an diesen Ort. Ich weiß wirklich nicht, was die Gars hier wollen.«

»Sieh doch, dort drüben, fast ganz hinten, wo die Hügel aufsteigen, wo sich der größte Schlot befindet. Obendrauf liegt etwas Eiförmiges, um das der Dampf nach oben steigt. Ständig steigen sie hinauf, sehen danach und fassen es an.«

Sie schüttelte den Kopf. »Deine Augen sind besser als meine. Ich kann nicht erkennen, was es ist, nicht einmal, daß es rund ist.«

Richard hörte und spürte das Grollen im Boden, dem manchmal ein starker Rauchschwall folgte, der donnernd aus den Öffnungen entwich. Der entsetzliche, atemberaubende Schwefelgestank wehte bis in ihr Versteck zwischen den verkrüppelten Stämmen des hohen Felskamms empor.

»Ich denke, das sollten wir uns mal genauer ansehen«, sagte er leise, halb zu sich selbst, während er die Bewegungen der Gars unten verfolgte.

Kahlan sah ihn überrascht an. »Das wäre mehr als tollkühn«, zischte sie. »Es wäre schlicht und einfach dumm. Ein Gar alleine ist schlimm genug, oder hast du das schon vergessen? Da unten müssen Dutzende sein.«

»Schon möglich«, räumte er widerwillig ein. »Was ist das da hinter ihnen, etwas oberhalb, an der Bergflanke? Eine Höhle?«

Ihr Blick suchte den finsteren Schlund. »Ja. Sie wird Shadrins Höhle genannt. Manche behaupten, sie reiche ganz durch den Berg hindurch, bis in das Tal auf der anderen Seite. Aber ich wüßte niemanden, der es genau weiß oder auch nur herausfinden möchte.«

Er sah, wie die Gars ein Tier zerfleischten und sich darum stritten. »Was ist ein Shadrin?«

»Der Shadrin ist ein Raubtier, das angeblich in den Höhlen lebt. Einige meinen, es sei nur ein Mythos, andere schwören, es gäbe ihn wirklich. Aber so genau wissen will das keiner.«

Er sah sie an, während sie die Gars beobachtete. »Und was glaubst du?«

Kahlan zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. In den Midlands gibt es viele Orte, an denen angeblich Raubtiere leben. Ich war an vielen und habe nie welche gesehen. Viele dieser Geschichten sind eben nur Geschichten. Aber nicht alle.«

Richard war froh, daß sie überhaupt etwas sagte. Soviel hatte sie seit Tagen nicht gesprochen. Das seltsame Verhalten der Gars schien ihre Neugier geweckt und sie fürs erste aus ihrer Zurückgezogenheit gerissen zu haben. Aber sie konnten unmöglich hier liegenbleiben und sich unterhalten. Sie vergeudeten ihre Zeit. Außerdem würden die Blutmücken der Gars sie finden, wenn sie zu lange blieben. Sie krochen zurück, fort von der Klippe. Kahlan hüllte sich einmal mehr in Schweigen.