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»Aber natürlich bin ich das. Ich denke, es ist nicht nötig … aber es ist äußerst ungewöhnlich.«

»Das ist unser Bündnis auch. Fangen wir also an.«

»Ja, ja, selbstverständlich.« Sie wandte sich an einen ihrer Berater. »Geh und hole, was du von dem Bündnisvertrag fertig hast. Bringe Tinte und Federhalter mit. Und mein Siegel.« Der Mann verbeugte sich und ging. Die Königin wandte sich an Giller. »Geh und hole das Kästchen, wo immer du es verborgen hast.«

Er verneigte sich. »Sehr wohl, Majestät.« Rachel fühlte sich allein gelassen und hatte Angst, als sie ihn mit wehender Silberrobe durch die Tür verschwinden sah.

Inzwischen stellte die Königin Violet Vater Rahl vor. Rachel blieb hinter Prinzessin Violets Sessel stehen, als diese vortrat, um sich die Hand küssen zu lassen. Vater Rahl verbeugte sich, küßte ihre Hand und meinte, sie sei ebenso reizend wie ihre Mutter. Die Prinzessin hörte gar nicht mehr auf zu grienen und drückte die Hand, die er geküßt hatte, vor ihre Brust.

Der Berater kam in Begleitung seiner Helfer zurück. Jeder hatte die Arme voller Papiere. Sie schoben die Teller zur Seite, breiteten die Papiere über die ganze Tafel aus und zeigten auf die Stelle, wo die Königin und Vater Rahl mit ihren Namen unterschreiben sollten. Einer der Gehilfen träufelte Wachs auf die Papiere, und die Königin drückte ihr Siegel hinein. Vater Rahl meinte, er hätte kein Siegel, seine Unterschrift müsse genügen. Er sei sicher, seine Handschrift später wiederzuerkennen. Als Giller zurückkehrte, blieb er abseits stehen und wartete, bis sie fertig waren. Die Männer machten sich an das Einsammeln der Papiere und stritten sich um die richtige Reihenfolge. Die Königin winkte Giller zu sich.

»Vater Rahl«, setzte Giller mit seinem freundlichsten Lächeln an, »darf ich Euch Königin Milenas Kästchen der Ordnung überreichen.« Er hielt ihm die Nachbildung vorsichtig mit beiden Händen hin, ganz so, als sei es das echte. Die Steine funkelten richtig hübsch.

Mit einem dünnen Lächeln nahm Vater Rahl das Kästchen aus Gillers Händen entgegen. Eine Weile drehte er es hin und her und begutachtete die hübschen Steine. Dann winkte er einen der riesigen muskelbepackten Männer zu sich. Er kam, und Vater Rahl blickte ihm in die Augen und vertraute ihm das Kästchen an.

Der Riese zerdrückte es mit einer Hand. Es zersplitterte. Die Königin machte mächtig große Augen.

»Was hat das zu bedeuten?« wollte sie wissen.

Vater Rahls Blick bekam etwas Furchterregendes. »Das würde ich gerne von Euch wissen, Majestät. Das Kästchen ist eine Fälschung.«

»Aber das ist schlichtweg unmöglich … ausgeschlossen … ich weiß ganz genau…« Die Königin drehte sich zu Giller um. »Giller! Was weißt du darüber?«

Er hatte seine Hände jeweils in den gegenüberliegenden Ärmel gesteckt. »Majestät … ich verstehe das nicht … an dem magischen Siegel hat sich niemand zu schaffen gemacht, darum habe ich mich persönlich gekümmert. Ich versichere Euch, es ist dasselbe Kästchen, das ich bewacht habe, seit Ihr es mir anvertraut habt. Es muß sich von Anfang an um eine Fälschung gehandelt haben. Man hat uns hereingelegt. Das ist die einzig mögliche Erklärung.«

Vater Rahls blaue Augen wichen die ganze Zeit nicht von dem Zauberer. Dann schwenkte sein Blick zu einem seiner Männer. Der Mann kam herbei und packte Giller hinten an seinem Umhang. Mit einer Hand hob er Giller vom Boden.

»Was soll das? Laß mich los, du Ochse! Zeige etwas Respekt vor einem Zauberer, oder du wirst es bereuen, das verspreche ich dir!« Seine Füße zappelten in der Luft.

Rachel hatte einen Kloß im Hals, Tränen in den Augen. Sie versuchte, tapfer zu sein und nicht loszuheulen. Sonst würden sie sie bestimmt bemerken.

Vater Rahl befeuchtete seine Fingerspitzen. »Es ist nicht die einzig mögliche Erklärung, Zauberer. Das echte Kästchen besitzt Magie, eine ganz besondere Magie. Die Magie dieses Kästchens stimmt nicht. Eine Königin würde es nicht erkennen, sie könnte nicht unterscheiden, ob es sich um das echte Kästchen handelt. Ein Zauberer dagegen schon.«

Vater Rahl lächelte sein dünnes Lächeln und sah die Königin an. »Der Zauberer und ich werden jetzt gehen und uns unter vier Augen unterhalten.« Damit machte er kehrt und verließ mit wehendem weißen Umhang den Saal. Der Kerl, der Giller am Kragen gepackt hielt, folgte ihm. Der andere baute sich vor der Tür auf und verschränkte die Arme. Gillers Füße berührten den Boden nicht, als er abtransportiert wurde.

Rachel wollte Giller nachlaufen, solche Angst hatte sie um ihn. Sie sah, wie er den Kopf verdrehte und sich zu den Leuten umschaute. Seine dunklen Augen waren aufgerissen, und eine Sekunde lang sah er ihr geradewegs in die Augen. In diesem Augenblick hörte sie seine Stimme in ihrem Kopf, so deutlich, als hätte er ihr ganz laut etwas zugerufen. Die Stimme in ihrem Kopf rief nur ein Wort.

Lauf.

Dann war er verschwunden. Rachel hätte losheulen können. Statt dessen nuckelte sie am Saum ihres Kleides. Rings um die Königin redeten alle durcheinander. James, der Hofkünstler, sammelte einige Splitter des falschen Kästchens ein, drehte sie in der Hand, betrachtete sie, hielt sie gegen den Stumpf seiner anderen. Prinzessin Violet riß ihm ein größeres Stück aus der Hand, musterte die Juwelen und fuhr mit dem Finger darüber.

Rachel hörte im Kopf immer wieder Gillers Schrei: Lauf! Sie sah sich um. Niemand achtete auf sie. Sie ging um die Tische herum, hielt den Kopf gesenkt, unterhalb der Tischdecken, damit niemand sie sehen konnte. Als sie die gegenüberliegende Seite des Saals erreicht hatte, hob sie den Kopf, um zu sehen, ob jemand guckte. Niemand achtete auf sie.

Sie streckte die Hand aus und stibitzte sich von den Tellern etwas zu essen, ein Stück Fleisch, drei Brötchen und ein großes Stück Hartkäse. Sie stopfte sich alles in die Taschen und drehte sich noch einmal zu den Leuten um.

Dann lief sie zum Flur. Sie unterdrückte die Tränen, sie wollte tapfer sein — für Giller. Mit nackten Füßen lief sie über die Teppiche. Bevor sie die Wachen am Tor erreichte, verlangsamte sie ihr Tempo. Niemand sollte sehen, wie sie rannte. Als sie sie kommen sahen, zogen sie den schweren Riegel hoch und ließen sie wortlos passieren. Die Wachen draußen warfen ihr nur einen kurzen Blick zu, dann richteten sie ihre Blicke wieder in die Ferne und beobachteten das Gelände.

Rachel wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht und lief die kalten Steinstufen hinunter. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, aber ein paar waren doch gekommen. Die patrouillierenden Wachen achteten nicht auf sie, als sie über das Kopfsteinpflaster zum Garten eilte.

Außerhalb des Lichtscheins der Fackeln an den Außenwänden des Schlosses war es dunkel, aber sie kannte den Weg. Das Gras war feucht unter ihren bloßen Füßen. Bei der dritten Vase kniete sie nieder, sah sich um, ob jemand sie beobachtete, und griff unter die Blumen. Sie fühlte das Tuch, in das das Brot gewickelt war, und zog es heraus. Sie zog den Knoten auseinander, klappte die vier Zipfel auf, dann griff sie in ihre Taschen und legte das Fleisch, die drei Brötchen und den Käse auf das Brot und verschnürte die Zipfel des Tuchs wieder.

Sie wollte gerade zum Außentor laufen, da fiel es ihr ein. Ihr stockte der Atem. Sie erstarrte, riß die Augen auf.

Sie hatte Sara vergessen! Ihre Puppe lag noch immer im Schlafkasten! Prinzessin Violet würde sie finden und ins Feuer werfen! Rachel konnte ihre Puppe unmöglich zurücklassen, wenn sie fortlief und nie zurückkehrte. Sara hätte Angst ohne sie. Man würde sie verbrennen.

Sie schob das Bündel mit dem Brot zurück unter die Blumen, sah sich um und rannte zurück zum Schloß. Als sie näher kam und in den Schein der Fackeln trat, mußte sie langsamer gehen. Eine der Wachen am Tor blickte auf sie herab.

»Ich habe dich doch gerade rausgelassen«, sagte er.

Sie schluckte. »Aber ich muß noch einmal kurz hinein.«

»Was vergessen?«