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»Gib mir meine Puppe, oder ich verbrenne dich.«

»Das wagst du nicht…«

»Sofort! Wenn du es nicht tust, stecke ich dich an, und deine Haut verbrennt.«

Prinzessin Violet drückte ihr die Puppe in die Hand. »Hier. Bitte, Rachel, verbrenn mich nicht. Ich habe Angst vor Feuer.«

Rachel nahm die Puppe mit links und drückte sie an sich. Sie hielt den Feuerstab immer noch an die Prinzessin. Sie bekam Mitleid mit ihr. Dann dachte sie daran, wie sehr ihr Gesicht brannte. Mehr als je zuvor.

»Vergessen wir es einfach, Rachel. Du kannst die Puppe behalten, einverstanden?« Ihre Stimme war jetzt richtig nett, nicht mehr so ekelhaft wie zuvor.

Rachel wußte, das war ein Trick. Sobald die Wachen auftauchten, würde die Prinzessin befehlen, ihr den Kopf abzuschlagen. Dann würde Prinzessin Violet erst richtig über sie lachen, und Sara würde sie auch ins Feuer werfen.

»Steig in den Kasten«, befahl Rachel. »Dann siehst du mal, ob dir das gefällt.«

»Was!«

Rachel drückte den Feuerstab etwas fester an Violet. »Sofort, sonst verbrenne ich dich.«

Sie bewegte sich langsam, den Feuerstab im Rücken. »Überleg dir, was du tust, Rachel. Willst du wirklich…«

»Sei still und klettere hinein. Es sei denn, du willst, daß ich dich verbrenne.«

Die Prinzessin ging auf die Knie und kletterte hinein. Rachel sah ihr nach.

»Bis ganz hinten durch.«

Sie tat es. Rachel schloß die Tür mit einem Knall, ging zur Schublade und holte den Schlüssel. Sie verschloß die Eisentür an dem eisernen Kasten und steckte den Schlüssel ein. Dann kniete sie sich hin und sah durch das kleine Fenster hinein. In der Dunkelheit waren die Augen der Prinzessin kaum zu erkennen.

»Gute Nacht, Violet, schlaf jetzt. Ich werde heute nacht in deinem Bett schlafen. Ich hab’ deine Stimme satt. Wenn du den geringsten Lärm machst, komme ich rüber und setze deine Haut in Flammen. Hast du verstanden?«

»Ja«, kam es schwach durch das dunkle Loch in der Tür.

Rachel legte Sara weg, dann zog sie das Fell heran und warf es über den Kasten, bis es ihn ganz verdeckte. Dann sprang sie aufs Bett, damit es quietschte und Prinzessin Violet dachte, sie würde darin schlafen.

Lächelnd schlich Rachel auf Zehenspitzen zur Tür und drückte Sara an sich.

Nachdem sie denselben Weg wie zuvor zurückgegangen war, durch die Gänge der Dienstboten, warf sie vorsichtig einen Blick in die Halle und ging hinunter zu dem großen Tor mit den Wachen. Rachel sagte nichts. Sie hätte auch nicht gewußt, was. Sie blieb einfach stehen und wartete darauf, daß sie die Tür öffneten.

»Das war’s also. Du hast eine Puppe vergessen«, sagte der Posten.

Sie nickte bloß.

Sie hörte das Tor hinter sich zuschlagen und lief in die Dunkelheit, in den Garten. Es waren mehr Wachen unterwegs als gewöhnlich. Die normalen Wachen wurden von neuen begleitet, die anders gekleidet waren. Die neuen betrachteten sie argwöhnischer als die anderen, und sie bemerkte, wie die alten ihnen erklärten, wer sie war. Sie drückte die Puppe fest an sich und mußte sich zusammenreißen, um nicht loszurennen.

Das Bündel mit dem Brot und dem Kästchen darin befand sich noch am alten Platz: unter den Blumen. Rachel zog es hervor, hielt es mit einer Hand am Knoten und drückte Sara mit der anderen an ihre Brust. Auf dem Weg durch den Garten fragte sie sich, ob Prinzessin Violet noch immer glaubte, sie würde in dem großen Bett schlafen, oder ob sie den Trick durchschaut hatte und um Hilfe schrie. Wenn Violet um Hilfe schrie und die Wachen sie in dem Kasten gefunden hatten, würde man vielleicht schon nach ihr suchen. Sie hatte einen Umweg machen müssen, es hatte lange gedauert, bis ihre Füße sie unter dem ganzen Schloß hindurch und wieder nach oben getragen hatten. Rachel lauschte auf Rufe.

Sie konnte kaum atmen, so sehr hoffte sie, aus dem Schloß herauszukommen, bevor man sie verfolgte. Ihr fiel ein, daß Mr. Sanders gesagt hatte, man wolle das ganze Schloß durchsuchen. Sie wußte, was sie suchten. Das Kästchen. Sie hatte Giller versprochen zu fliehen. Es durfte ihnen nicht in die Hände fallen, damit sie nicht all den vielen Menschen weh tun konnten.

Auf dem Wehrgang der Mauer waren eine Menge Männer. Kurz vor dem Tor ging sie langsamer. Vorher hatten dort immer zwei Gardisten der Königin gestanden. Jetzt waren es drei. Zwei erkannte sie wieder, sie trugen die roten Hemden mit dem Wolfskopf, es waren Gardisten der Königin. Der andere jedoch war anders gekleidet, in schwarzem Leder, und er war viel größer. Einer der Neuen. Rachel wußte nicht, ob sie weitergehen oder weglaufen sollte. Aber wohin? Bevor sie wirklich fortlaufen konnte, mußte sie aus den Mauern heraus.

Rachel wurde bemerkt, bevor sie einen Entschluß fällen konnte. Also ging sie weiter. Einer der normalen Wachen drehte sich um, um den Riegel zu heben. Der neue Mann hob den Arm und stoppte ihn.

»Das ist nur die Gespielin der Prinzessin. Die Prinzessin schmeißt sie manchmal raus.«

»Niemand verläßt das Schloß«, sagte der Neue zu ihm.

Die normalen Wachen ließen wieder vom Tor ab. »Tut mir leid, Kleine, aber du hast ihn gehört. Niemand verläßt das Schloß.«

Rachel stand da und brachte keinen Laut hervor. Sie starrte den Neuen an, der auf sie herabblickte. Sie schluckte. Giller verließ sich darauf, daß sie das Kästchen nach draußen brachte. Es gab keinen anderen Ausweg. Sie versuchte zu überlegen, was Giller tun würde.

»Also gut«, sagte sie endlich, »es ist kalt heute nacht. Ich würde sowieso lieber drinnen bleiben.«

»Na siehst du. Jetzt kannst du heute nacht im Schloß bleiben«, sagte der normale Posten.

»Wie heißt du?« fragte Rachel.

Er wirkte ein wenig überrascht. »Reid, Ulan der Königin.«

Rachel zeigte mit der Puppe in der Hand auf den anderen Posten. »Und du?«

»Walcot, Ulan der Königin.«

»Die Ulanen der Königin Reid und Walcot«, wiederholte sie für sich. »Gut, ich glaube, das kann ich behalten.« Dann zeigte sie auf den Neuen. »Und wie heißt du?«

Er hakte die Daumen in seinen Gürtel. »Wozu willst du das wissen?«

Sie drückte Sara an ihre Brust. »Die Prinzessin hat mich angeschrien und mich für die Nacht rausgeschmissen. Wenn ich nicht gehe, wird sie fuchsteufelswild und schlägt mir den Kopf ab, weil ich nicht getan hab’, was sie gesagt hat. Deshalb will ich ihr sagen, wer mich nicht rausgelassen hat. Ich will eure Namen wissen, damit sie nicht denkt, ich hätte mir das ausgedacht, und sie euch selber fragen kann. Ich habe Angst vor ihr. Jetzt läßt sie Leuten auch schon die Köpfe abschlagen.«

Die drei wichen erschrocken einen Schritt zurück und sahen sich an. »Es stimmt«, meinte Reid, der Ulan der Königin, zu dem Neuen. »Die Prinzessin wird allmählich wie die Mutter. Ein nettes Früchtchen. Kein Wunder. Die Königin macht ihr mächtig Druck, damit sie erwachsen wird.«

»Keiner verläßt das Schloß. So lautet unser Befehl.«

»Also wir beide sind dafür, die Befehle der Prinzessin zu befolgen.« Ulan Reid drehte sich ein Stück zur Seite und spuckte. »Wenn du darauf bestehst, sie drinnen zu lassen, einverstanden, solange klar ist, wessen Kopf auf dem Block landet. Wenn es soweit kommt, haben wir dir gesagt, du sollst sie rauslassen, genau wie die Prinzessin es befohlen hat. Auf den Block gehen wir nicht mit dir.« Der andere, Walcot, nickte. Er war derselben Ansicht. »Jedenfalls nicht, weil ein kleines Mädchen, kaum größer als so, uns gedroht hat.« Er hielt die Hand in Höhe ihres Kopfes. »Ich werde ihnen jedenfalls nicht erklären, wieso drei kräftige Soldaten wie wir sich einig waren, daß sie gefährlich ist. Es ist dein Befehl, aber dich kostet es den Kopf und nicht uns, wenn du dich der Prinzessin widersetzt.«

Der Neue blickte auf sie herab. Er wirkte ziemlich aufgebracht. Er sah die beiden anderen eine Weile an, dann wieder sie. »Na schön, es steht ja wohl fest, daß sie keine Bedrohung darstellt. Der Befehl war als Schutz vor Bedrohungen gedacht, ich denke also…«