Richard entschied, es wäre das beste zu schweigen, solange sie mit den Worten rang. Er wußte ohnehin nicht, was er sagen sollte. Außerdem hatte er Angst, sie könnte wieder gehen, wenn er etwas sagte. Kahlan pflückte einen Ringel Birkenrinde ab und warf ihn ins Feuer, wo er zischend in Flammen aufging.
»Dann habe ich darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Es gibt einiges, was ich dir sagen muß, wie du dich im Beisein der Königin verhalten mußt. Und dann fielen mir noch einige Einzelheiten ein, über die Straßen, die du meiden, die Orte, die du vielleicht aufsuchen solltest. Mir fielen einfach immer mehr Dinge ein, die du wissen mußt. Bevor ich mir richtig darüber im klaren war, merkte ich, daß du recht hattest. In allem.«
Sie schien den Tränen nahe, weinte aber nicht. Statt dessen spielte sie weiter an dem Stock herum und wich seinem Blick aus. Er schwieg immer noch. Dann stellte sie ihm eine unerwartete Frage.
»Findest du Shota hübsch?«
Er grinste. »Sicher. Aber nicht so hübsch wie dich.«
Kahlan mußte schmunzeln und warf ihr Haar über die Schulter. »Das würden sich nicht viele trauen gegenüber einer…« Sie fing sich wieder. Ihr Geheimnis stand zwischen ihnen wie eine dritte Person. Sie setzte erneut an. »Es gibt ein Altweibersprichwort, vielleicht hast du es schon gehört. ›Laß dir nie von einer schönen Frau den Weg zeigen, wenn ein Mann in ihrem Blickfeld steht.‹«
Richard mußte lachen und stand auf, um sich die Beine zu vertreten. »Nein, das kannte ich noch nicht.« Halb lehnte er sich an den Stamm, halb setzte er sich darauf und verschränkte die Arme. Kahlan brauchte wirklich keine Angst zu haben, Shota könnte sein Herz stehlen, schließlich hatte sie gesagt, sie würde ihn töten, wenn sie ihn noch mal sähe. Auch ohne diese Drohung hatte Kahlan keinen Grund zur Sorge.
Sie warf das Stöckchen fort, stellte sich neben ihn und lehnte sich an den Stamm. Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Richard« — sie sprach sehr leise, fast flüsterte sie — »ich habe gestern abend darüber nachgedacht, daß ich mich sehr dumm verhalten habe. Ich hatte Angst, die Hexe würde mich töten, und plötzlich wurde mir bewußt, daß es ihr fast gelungen wäre. Nur nehme ich ihr die Arbeit ab, wenn ich mir von ihr den Weg vorgeben lasse. Du hattest in jeder Hinsicht recht. Ich hätte es wissen müssen und auf den Sucher hören sollen.«
Sie sah zu Boden, bevor sie ihn erneut mit ihren grünen Augen ansah. »Wenn … wenn es noch nicht zu spät ist, dann hätte ich gerne meinen Posten zurück. Als dein Führer.«
Richard konnte es kaum fassen. In seinem ganzen Leben war er noch nie so glücklich, so erleichtert gewesen. Statt zu antworten, streckte er die Arme aus, zog sie an sich und drückte sie fest. Einen kurzen Augenblick legte sie den Kopf an seine Brust und schlang die Arme um ihn. Dann entzog sie sich ihm wieder.
»Richard, da ist noch etwas. Bevor du mich wieder aufnimmst, mußt du erst den Rest hören. Ich kann nicht mehr. Ich muß dir etwas über mich erzählen. Wer ich bin. Es zerreißt mir das Herz, denn angeblich bin ich doch dein Freund. Ich hätte es dir von Anfang an erzählen sollen. Noch nie hatte ich einen Freund wie dich. Ich will dich nicht verlieren.« Sie wich seinem Blick aus. »Aber jetzt kann ich nicht mehr anders«, fügte sie kaum hörbar hinzu.
»Kahlan, ich hab’ dir schon einmal gesagt, du bist mein Freund, und nichts kann daran etwas ändern.«
»Dieses Geheimnis schon.« Sie ließ die Schultern hängen. »Es geht um Zauberei.«
Richard war nicht mehr so sicher, ob er ihr Geheimnis erfahren wollte. Er hockte sich vor das Feuer und nahm den Bratspieß mit dem Kaninchen in die Hand. Funken stiebten in die aufkommende Dämmerung. Er war stolz auf sie, weil sie das Kaninchen allein gefangen hatte, so wie er es ihr gezeigt hatte.
»Kahlan, es ist mir egal, was dein Geheimnis ist. Aber du bist mir nicht egal, und das ist alles, was zählt. Du brauchst es mir nicht zu erzählen. Komm, das Kaninchen ist fertig. Komm und iß etwas.«
Er schnitt mit dem Messer ein Stück ab und reichte es ihr, als sie sich neben ihn auf den Boden setzte und sich die Haare aus dem Gesicht strich. Das Fleisch war heiß. Sie hielt es vorsichtig zwischen den Fingerspitzen und pustete darauf, um es zu kühlen. Richard schnitt auch für sich ein Stück ab und lehnte sich zurück.
»Als du Shota zum ersten Mal gesehen hast, hat sie da wirklich ausgesehen wie deine Mutter?«
Er sah in Kahlans feuerbeschienenes Gesicht und nickte, bevor er einen Bissen nahm.
»Deine Mutter war sehr schön. Du hast ihre Augen und ihren Mund.«
Richard mußte an sie denken und lächelte. »Aber in Wirklichkeit war es nicht sie.«
»Du hast dich also geärgert, weil Shota vorgab, jemand anderes zu sein? Weil sie dich getäuscht hat?« Sie biß ein Stück Fleisch ab und sog die Luft durch den Mund ein, denn es war noch immer heiß. Sie betrachtete ihn genau.
Richard zuckte mit den Achseln, plötzlich tat es ihm leid. »Ich glaube ja. Es war nicht fair.«
Kahlan kaute eine Weile, schluckte. »Deswegen muß ich dir erzählen, wer ich bin, auch wenn du mich deswegen vielleicht hassen wirst. Du bist mein Freund gewesen, und das, obwohl ich dir nicht die Freundin war, die du verdient hättest. Das ist der zweite Grund, weshalb ich zurückgekommen bin. Ich wollte nicht, daß du es von jemand anderem erfährst. Wenn du willst, gehe ich, nachdem ich es dir erzählt habe.«
Richard blickte in den Himmel, der allmählich Farbe bekam. Plötzlich wünschte er, Kahlan würde ihm nicht erzählen, was sie war, und alles könnte beim alten bleiben. »Keine Angst, ich schicke dich nicht fort. Schließlich haben wir etwas zu erledigen. Erinnerst du dich noch, was Shota gesagt hat? Die Königin wird das Kästchen nicht mehr lange haben. Das kann nur bedeuten, daß es ihr jemand wegnimmt. Besser wir als Darken Rahl.«
Kahlan legte ihm die Hand auf den Arm. »Du sollst dich erst entscheiden, wenn du mich angehört hast, wenn du weißt, wer ich bin. Wenn du danach willst, daß ich gehe, werde ich es verstehen.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Richard, weißt du, ich habe noch nie jemanden so gemocht wie dich, und das werde ich auch in Zukunft nicht. Aber mehr wird daraus nicht werden. Nichts Gutes jedenfalls.«
Er weigerte sich, das zu glauben. Es mußte einfach einen Weg geben. Richard atmete tief durch. »Also schön, erzähl es mir.«
Sie nickte. »Erinnerst du dich noch, wie ich dir erzählt habe, einige Bewohner der Midlands seien Zauberwesen? Und daß sie diesen Zauber nicht aufgeben könnten, weil er ein Teil von ihnen sei?« Er nickte. »Nun, ich bin eines dieser Wesen. Ich bin mehr als nur eine Frau.«
»Und was bist du dann?«
»Ich bin ein Konfessor.«
Konfessor.
Richard kannte das Wort.
Jeder einzelne Muskel in seinem Körper verkrampfte sich. Ihm blieb die Luft weg. Das Buch der Gezählten Schatten kam ihm in den Sinn. Werden die Worte des Buches der Gezählten Schatten von einem anderen gesprochen als von dem, der über die Kästchen gebietet, so kann ihre Wahrheit nur bestätigt werden unter Zuhilfenahme eines Konfessors…
Seine Gedanken rasten, als blätterte er in Gedanken in den Seiten, als überflöge er die Worte in dem Versuch, sich an das gesamte Buch zu erinnern, ob vielleicht ein zweites Mal ein Konfessor erwähnt wurde. Nein. Er kannte in dem Buch jedes Wort, und Konfessor tauchte nur an einer einzigen Stelle auf, gleich zu Anfang. Er mußte daran denken, wie er gerätselt hatte, was ein Konfessor wohl sein mochte. Er war zuvor nicht sicher gewesen, daß es ein Mensch war. Er spürte das Gewicht des Zahnes um seinen Hals.
Kahlan musterte argwöhnisch den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Weißt du, was ein Konfessor ist?«
»Nein«, brachte er hervor. »Ich habe es schon mal gehört … von meinem Vater. Aber ich weiß nicht, was es bedeutet.« Er hatte Mühe, seine Fassung wiederzugewinnen.