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Als ihn das Glockenläuten weckte, war Denna bereits auf. Sie hatte das Blut von ihrem weißen Lederanzug gewischt und ihren Zopf zurechtgemacht. Auf dem Weg zur Andacht sprach sie kein Wort. Das Niederknien war schmerzhaft für ihn, und er war froh, als die Andacht vorbei war. Constance sah er nirgends. Er ging hinter Denna her und wollte schon in die Ausbildungszelle abbiegen, doch sie ging weiter, und die Kette spannte sich. Der Schmerz veranlaßte ihn, stehenzubleiben.

»Wir gehen nicht dort entlang«, meinte sie.

»Ja, Herrin Denna.«

Sie ging eine Zeitlang weiter, durch Korridore, die sich endlos hinzuziehen schienen, dann warf sie ihm einen ungeduldigen Blick zu. »Geh neben mir. Wir werden etwas Spazierengehen. Manchmal macht mir das Spaß. Wenn ich Rückenschmerzen habe. Es hilft mir.«

»Ich bin untröstlich, Herrin Denna. Ich hatte gehofft, es ginge Euch heute morgen besser.«

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, sah dann wieder nach vorne. »Nun, tut es nicht. Gehen wir also spazieren.«

Richard hatte sich noch nie so weit von Dennas Quartier entfernt. Mit den Augen machte er kleine Ausflüge in die neue Umgebung. In Abständen gab es ähnliche Plätze wie jenen, an denen sie ihre Andacht verrichteten, zum Himmel und zur Sonne hin offen, mit einem Felsen und einer Glocke in der Mitte. Nicht alle waren mit Sand ausgelegt, auf einigen wuchs Gras, und ein paar besaßen sogar einen Teich, in dessen Mitte der Felsen stand. Fische glitten in Schwärmen durch das kristallklare Wasser. Die Korridore zwischen diesen Plätzen waren manchmal so breit wie Säle, der Fußboden mit gemusterten Fliesen ausgelegt, es gab Säulen und Bögen ringsum, über denen in großer Höhe die Decke schwebte. Fenster ließen Licht hineinströmen, wodurch alles heiter und gelöst wirkte.

Überall waren Leute, die meisten in weiße Umhänge oder in andere helle Farben gekleidet. Niemand schien es eilig zu haben, und es sah aus, als hätten die meisten ein Ziel, wenn auch einige auf Marmorbänken herumsaßen. Richard sah nur wenige Soldaten. Die meisten Menschen gingen an Denna und ihm vorbei, als seien sie unsichtbar, ein paar jedoch lächelten und wechselten einen Gruß mit ihr.

Die Größe des Gebäudes war verblüffend. Hallen und Durchgänge verloren sich am Horizont. In einer Halle standen Statuen nackter Menschen in stolzen Posen. Die Statuen waren aus poliertem Stein gehauen, größtenteils weiß, gelegentlich mit Goldadern durchzogen, und jede war doppelt so groß wie er. Richard entdeckte keine Stelle, die düster, häßlich oder schmutzig gewesen wäre. Alles, was er sah, war wunderschön. Die Schritte der Menschen hallten durch die Säle wie ehrfurchtsvolles Flüstern. Richard fragte sich, wie es möglich war, ein derart riesiges Gebäude zu erdenken, geschweige denn zu bauen. Es mußte Generationen gedauert haben.

Denna führte ihn zu einem weiten offenen Platz. Überall ragten ausgewachsene Bäume aus dem mit Moos bedeckten Boden empor, ein Pfad aus braunen Fliesen schlängelte sich mitten durch den Innenwald. Sie schlenderten den Pfad entlang, und Richard schaute zu den Bäumen hoch. Sie waren wunderschön, auch wenn sie keine Blätter hatten.

Denna beobachtete ihn. »Die Bäume gefallen dir, nicht wahr?«

Er nickte und sah sich um. »Sehr sogar, Herrin Denna«, flüsterte er.

»Warum gefallen sie dir?«

Richard überlegte einen Augenblick. »Sie scheinen ein Teil meiner Vergangenheit zu sein. Ich kann mich schwach erinnern, einmal ein Führer gewesen zu sein. Ein Waldführer, glaube ich. Aber viel weiß ich nicht mehr davon, Herrin Denna. Nur, daß ich die Wälder mag.«

»Wenn man gebrochen wird, vergißt man Dinge aus der Zeit davor«, sagte sie ruhig. »Je länger ich dich ausbilde, desto mehr wirst du die Vergangenheit vergessen, abgesehen von gezielten Fragen, die ich dir stelle. Bald wirst du dich an gar nichts mehr erinnern.«

»Ja, Herrin Denna. Herrin Denna, was ist dies für ein Ort?«

»Er wird Palast des Volkes genannt. Es ist der Sitz der Macht in D’Hara. Das Zuhause von Darken Rahl.«

Diesmal aßen sie an einem anderen Ort zu Mittag. Sie ließ ihn auf einem Stuhl sitzen, warum, wußte er nicht. Die Nachmittagsandacht verrichteten sie an einem der Orte, wo es Wasser statt Sand gab, und anschließend spazierten sie noch ein wenig durch endlose Hallen, bis sie schließlich zum Abendessen wieder in die vertraute Umgebung kamen. Das Laufen hatte ihm gutgetan. Seine Muskeln hatten die Bewegung nötig gehabt.

Als sie nach der Abendandacht wieder in der kleinen Kammer neben ihrem Zimmer waren, band ihm Denna die Arme mit der Fesselvorrichtung auf den Rücken und hievte ihn hoch, aber nicht so weit, daß das Gewicht nicht mehr auf den Füßen ruhte. Auch so kehrte der Schmerz in seine geschundenen Schultern zurück, aber er zuckte nur wenig zusammen.

»Geht es Eurem Rücken besser, Herrin Denna? Hat Euch das Laufen gutgetan?«

»Es ist nichts, was ich nicht aushalten könnte.«

Sie umkreiste ihn langsam, den Blick auf den Boden gerichtet. Endlich blieb sie vor ihm stehen, rollte den Strafer eine Weile in den Fingern hin und her, betrachtete ihn.

Sie hielt den Blick gesenkt. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sag mir, daß du mich häßlich findest.«

Er sah sie an, bis sie schließlich den Blick hob. »Nein. Das wäre eine Lüge.«

Ein trauriges Lächeln spielte um ihre Lippen. »Das war ein Fehler, mein Lieber. Du hast einen direkten Befehl mißachtet, und du hast die Anrede vergessen.«

»Ich weiß, Herrin Denna.«

Sie schloß die Augen, aber dann gewann ihre Stimme wieder ein wenig ihrer Kraft zurück. »Du machst mir nichts als Ärger. Ich weiß nicht, warum Meister Rahl mir deine Ausbildung aufgehalst hat. Du hast dir zwei Stunden verdient.«

Sie verabreichte ihm seine zwei Stunden. Nicht ganz so schlimm wie gewöhnlich, aber schlimm genug, daß er vor Schmerzen winselte. Danach teilte sie ihm mit, daß ihr Rücken noch immer schmerzte. Sie schlief wieder auf dem Fußboden und ließ ihn im Bett schlafen.

In den nächsten Tagen kehrte man zur üblichen Routine zurück. Die Ausbildung war nicht ganz so lang und anstrengend wie zuvor, außer wenn Constance dabei war. Denna behielt sie scharf im Auge und gab mehr Anweisungen als zuvor. Constance gefiel das nicht, manchmal sah sie Denna wütend an. War Constance gröber, als Denna es wünschte, wurde sie beim nächsten Mal nicht eingeladen. Allmählich wurde sein Kopf klarer, und er begann, sich an Dinge zu erinnern, Dinge aus der Vergangenheit. Wenn Denna Rückenschmerzen hatte, unternahmen sie gelegentlich lange Spaziergänge und sahen sich die verschiedenen befremdlich schönen Orte an.

Eines Tages nach der Nachmittagsandacht fragte Constance, ob sie mitkommen könne. Denna willigte lächelnd ein. Constance bat, die Ausbildung übernehmen zu dürfen, und erhielt die Erlaubnis. Sie war gröber als gewöhnlich und quälte Richard ausgiebig, bis ihm die Tränen über die Wangen flössen. Richard hoffte, Denna würde dem ein Ende machen, sein Durchhaltevermögen hing an einem seidenen Faden. Denna war gerade aufgestanden, als ein Mann die Kammer betrat.

»Herrin Denna, Meister Rahl wünscht Euch zu sehen.«

»Wann?«

»Sofort.«

Denna seufzte. »Constance, würdest du die Ausbildung zu Ende bringen?«

Richard bekam entsetzliche Angst, wagte aber kein Wort zu sagen.

»Seine Zeit ist fast um, bring ihn einfach in mein Quartier und laß ihn dort. Ich bin sicher, es wird nicht lange dauern.«

»Mit Vergnügen, Denna. Du kannst auf mich zählen.«

Denna wollte gehen. Constance grinste ihn aus nächster Nähe niederträchtig an. Sie packte seinen Gürtel und riß ihn auf. Richard bekam keine Luft.

»Constance!« Denna war wieder hereingekommen. »Ich möchte nicht, daß du das tust.«

Constance war einen Augenblick lang unbedacht. »Wenn du nicht da bist, habe ich die Verantwortung für ihn, und ich tue, was mir gefällt.«

Denna baute sich vor Constance auf. »Er ist mein Gatte, und ich habe gesagt, daß ich das nicht möchte. Ich will auch nicht, daß du ihm den Strafer ins Ohr steckst.«

»Ich werde tun, was mir…«