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Richard behielt sein spöttisches Grinsen bei. Er wußte, daß er schutzlos war, und hoffte, Darken Rahl würde sich provozieren lassen, ihn zu töten. Mit seinem Tod würde auch das Buch sterben. Kein Kästchen, kein Buch. Rahl würde sterben, und Kahlan wäre in Sicherheit. Das war alles, was zählte.

»Der erste Tag des Winters ist in einer Woche. Bis dahin werde ich den Namen des Zauberers wissen und die Macht haben, ihn herbeizuschaffen, wo immer er sich aufhält.«

»In einer Woche seid Ihr tot. Ihr besitzt nur zwei der Kästchen.«

Darken Rahl befeuchtete sich ein weiteres Mal die Finger und strich sich damit über die Lippen. »Im Augenblick besitze ich zwei. Das dritte befindet sich jetzt, in diesem Augenblick, auf dem Weg hierher.«

Richard versuchte, ihm nicht zu glauben, sich nichts anmerken zu lassen. »Ein mutiger Bluff. Trotzdem eine Lüge. In einer Woche werdet Ihr sterben.«

Rahl zog die Brauen hoch. »Ich sage die Wahrheit. Man hat dich verraten. Und derselbe, der dich an mich verraten hat, hat auch das Kästchen an mich verraten. Es wird in ein paar Tagen hier sein.«

»Ich glaube Euch nicht«, sagte Richard tonlos.

Darken Rahl befeuchtete sich die Fingerspitzen, drehte sich um und umrundete den Kreis aus weißem Sand. »Nein? Ich will dir etwas zeigen.«

Richard folgte ihm zu einem weißen Steinblock, auf dem eine Granittafel lag, die von zwei gekehlten Säulen getragen wurde. Auf der Tafel standen zwei Kästchen der Ordnung. Eines war reich mit Juwelen verziert wie das eine, das Richard schon gesehen hatte. Das andere war schwarz wie der Stein der Nacht, die Oberfläche ein Vakuum im Licht des Raumes: das Kästchen selbst. Die Schutzhülle hatte man entfernt.

»Zwei der Kästchen der Ordnung«, verkündete Rahl und deutete mit der Hand auf sie. »Warum sollte ich das Buch haben wollen? Ohne das dritte Kästchen wäre das Buch für mich ohne Wert. Du hattest das dritte Kästchen. Das hat mir der preisgegeben, der dich verraten hat. Wäre das Kästchen nicht auf dem Weg hierher, wozu brauchte ich dann das Buch? Ich würde dich statt dessen aufschneiden, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren.«

Richard bebte vor Wut. »Wer hat mich und das Kästchen verraten? Sag mir den Namen.«

»Und wenn nicht? Willst du mich dann aufschlitzen und den Namen in meinen Eingeweiden lesen? Ich gebe den Namen dessen, der mir geholfen hat, nicht preis. Du bist nicht der einzige Mensch mit Ehrgefühl.«

Richard wußte nicht, was er glauben sollte. In einem Punkt hatte Rahl recht. Solange er nicht alle drei Kästchen hatte, brauchte er das Buch nicht. Tatsächlich hatte ihn jemand verraten. Es war unmöglich, und doch mußte es stimmen.

»Bringt mich einfach um«, sagte Richard mit schwacher Stimme und drehte sich um. »Ich werde es Euch nicht sagen, Ihr könnt mich genausogut umbringen.«

»Zuerst mußt du mich davon überzeugen, daß du die Wahrheit sprichst. Du könntest mich mit der Behauptung täuschen, das ganze Buch zu kennen. Vielleicht hast du bloß die erste Seite gelesen, bevor du es verbrannt hast, oder den Text erfunden.«

Richard verschränkte die Arme und blickte über die Schulter. »Und warum sollte ich wollen, daß Ihr mir glaubt?«

Rahl zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, dir läge etwas an diesem Konfessor. Kahlan. Ich hatte geglaubt, dir läge etwas daran, was mit ihr geschieht. Solltest du mich nicht davon überzeugen können, daß du die Wahrheit sprichst, dann werde ich sie aufschneiden und einen Blick auf ihre Eingeweide werfen müssen, um festzustellen, ob sie etwas dazu zu sagen haben.«

Richard sah ihn wütend an. »Das wäre der größte Fehler, den Ihr machen könnt. Ihr braucht sie, um die Wahrheit des Buches zu bestätigen. Wenn Ihr ihr etwas antut, macht Ihr Eure eigene Chance zunichte.«

Rahl zuckte mit den Achseln. »Das sagst du. Wie soll ich wissen, daß du tatsächlich weißt, was in dem Buch steht? Könnte sein, daß sie auf ebendiese Weise seine Wahrheit bestätigt.«

Richard sagte nichts, seine Gedanken schwirrten in tausend Richtungen gleichzeitig. Denk an die Lösung, redete er sich ein, nicht an das Problem.

»Das Buch der Gezählten Schatten ist nicht die einzige Wissensquelle über die Kästchen. Es gibt andere Stellen, die mir dienlich sein können.« Er blickte auf das schwarze Kästchen herab. »Es hat einen ganzen Tag und all mein Können in Anspruch genommen, die Hülle abzubekommen.« Er schaute wieder auf, zog eine Braue hoch. »Sie wird nur durch Magie gehalten. Trotzdem habe ich es geschafft, und ich werde es auch bei den beiden anderen schaffen.«

Daß Rahl die Hülle abbekommen hatte, war entmutigend. Wollte man ein Kästchen öffnen, wenn man alle drei beisammenhatte, mußte die Hülle entfernt werden. Richard hatte darauf gehofft, Rahl wäre ohne das Buch nicht in der Lage, die Hüllen zu entfernen und die Kästchen zu öffnen. Diese Hoffnung war nun dahin.

Richard starrte mit leerem Blick auf das juwelengeschmückte Kästchen. »Seite zwölf des Buches der Gezählten Schatten. Unter der Überschrift Abnehmen der Hüllen heißt es dort: Die Abdeckung der Kästchen darf von jedem entfernt werden, der über das Wissen verfügt, nicht nur von dem, der sie ins Spiel gebracht hat.« Richard streckte die Hand aus und hob das juwelenbesetzte Kästchen vom Granit. »Seite siebzehn, dritter Absatz von oben. Ist es nicht in den Stunden der Dunkelheit, sondern in den Stunden des Sonnenlichts, dann kann die Hülle des zweiten Kästchens auf folgende Art entfernt werden. Man halte das Kästchen so, daß die Sonne darauf fällt, und blicke nach Norden. Gibt es dort Wolken, so halte man das Kästchen dorthin, wo die Sonne darauf fallen würde, wären sie nicht vorhanden, blicke dabei aber nach Westen.« Richard hielt das Kästchen in das Licht des späten Nachmittags. »Man drehe das Kästchen so, daß die schmale Seite mit dem blauen Stein auf den Quadranten mit der Sonne gerichtet ist.« Richard drehte das Kästchen. »Mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf dem gelben Stein in der Mitte der Oberseite lege man den Daumen der rechten Hand auf den durchsichtigen Stein in der Ecke der Unterseite.« Richard faßte das Kästchen wie angegeben an. »Man lege den Zeigefinger der Linken auf den blauen Stein auf der abgewandten Seite, den Daumen der Linken auf den Rubin auf der nächstgelegenen.« Richard plazierte seine Finger. »Man befreie seinen Geist von allen Gedanken und setze an ihre Stelle nichts als Weiß mit einem schwarzen Quadrat in der Mitte. Man ziehe die beiden Hände auseinander und entferne mit ihnen die Hülle

Unter Rahls Blicken befreite Richard sich von allen Gedanken, stellte sich Weiß vor, mit einem schwarzen Quadrat in der Mitte, und zog. Die Abdeckung löste sich mit einem Klicken. Er hielt das Kästchen dicht über den Granit und zog die Hülle fort, so als schlage er ein Ei in die Pfanne. Jetzt standen zwei gleich schwarze Kästchen Seite an Seite und schienen das Licht des Raumes in sich aufzunehmen.

»Erstaunlich«, hauchte Rahl. »Und du kennst alle Teile des Buches so gut?«

»Jedes Wort«, sagte Richard mit wütendem Blick. »Was ich Euch gesagt habe, wird Euch allerdings bei dem Entfernen der dritten Hülle nichts nützen. Jede wird auf andere Art abgenommen.«

Rahl winkte geringschätzig ab. »Spielt keine Rolle. Ich werde es schon schaffen.« Er stützte den Ellenbogen in die Hand und berührte gedankenverloren mit der Fingerspitze das Kinn. »Du kannst gehen.«

Richard runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, ich kann gehen? Wollt Ihr nicht versuchen, das Buch aus mir herauszubekommen? Mich umzubringen?«

Rahl nahm es gelassen. »Es würde mir nichts nützen. Meine Art, dein Wissen aus dir herauszubekommen, würde dein Gehirn zerstören. Das Wissen wäre unzusammenhängend. Ginge es um etwas anderes, könnte ich die einzelnen Stücke zusammenfügen und mir zusammenreimen, aber ich sehe, daß das Buch dafür zu genau ist. Am Ende wäre das Wissen nur zerstört und für mich ohne Nutzen. Aus diesem Grund bist auch du im Augenblick für mich ohne Nutzen. Du kannst also gehen.«