Richard war beunruhigt. Dahinter steckte mehr. »Einfach so? Ihr müßt doch wissen, daß ich versuchen werde, Euch aufzuhalten.«
Rahl befeuchtete seine Finger. Er hob den Kopf. »Ich mache mir keine Sorgen über das, was du tun könntest. Aber in einer Woche, wenn ich die Kästchen öffne, mußt du hierher zurückkehren, vorausgesetzt, dich kümmert, was aus den Menschen wird.«
Richard kniff die Augen zusammen. »Was soll das heißen, wenn mich kümmert, was aus den Menschen wird?«
»In einer Woche, am ersten Tag des Winters, werde ich eines der Kästchen öffnen. Aus anderen Quellen als dem Buch der Gezählten Schatten, aus denselben Quellen, die mir verraten haben, wie man die Hülle entfernt, weiß ich, wie ich entscheide, welches Kästchen mich tötet. Darüber hinaus werde ich raten müssen. Wenn ich das richtige öffne, werde ich unangefochten herrschen. Öffne ich das andere, wird die Welt zerstört werden.«
»Das würdet Ihr riskieren?«
Rahl zog die Brauen hoch und beugte sich zu Richard. »Eine Welt oder keine, so wird es sein.«
»Das glaube ich Euch nicht. Ihr wißt nicht, welches Kästchen Euch vernichten wird.«
»Selbst wenn ich lügen sollte, ständen die Chancen, meinen Willen zu bekommen, immer noch zwei zu drei. Deine ständen nur eins zu drei. Es sieht schlecht aus für dich. Aber ich lüge nicht. Entweder die Welt wird zerstört, oder ich werde ihr Herrscher. Du mußt entscheiden, was dir lieber ist. Wenn du mir nicht hilfst und ich das falsche Kästchen öffne, werde ich zusammen mit allen anderen vernichtet, darunter auch die, um die du dich sorgst. Wenn du mir nicht hilfst und ich dasjenige öffne, das ich öffnen will, dann werde ich Kahlan Constance zur Ausbildung übergeben. Sie wird lange dauern. Du wirst es dir ansehen können, bevor ich dich töte. Dann wird Kahlan mir einen Sohn gebären, einen Erben. Einen Sohn, der Konfessor sein wird.«
Richard erstarrte unter Qualen, die schlimmer waren als alle, denen Denna ihn ausgesetzt hatte. »Soll das heißen, daß du mir eine Art Angebot machst?«
Rahl nickte. »Wenn du rechtzeitig zurückkommst und mir hilfst, erhältst du die Erlaubnis, dein Leben zu führen, wie es dir beliebt. Ich werde dich in Ruhe lassen.«
»Und was wird aus Kahlan?«
»Sie wird hier im Palast des Volkes wohnen und wie eine Königin behandelt werden. Sie wird allen Luxus haben, den sich eine Frau nur wünschen kann, ein Leben, wie es einem Konfessor gebührt. Etwas, was du ihr nie wirst bieten können. Sie wird in Frieden und Sicherheit leben, und sie wird mir den Konfessorsohn gebären, den ich mir wünsche. Wie auch immer, sie wird mir einen Sohn gebären. Das habe ich entschieden. Deine Wahl liegt im Wie: entweder als Constances Gespielin oder als Königin. Siehst du? Ich denke, du wirst zurückkommen. Und wenn ich mich irre…« Er zuckte mit den Achseln. »Eine Welt. Oder keine.«
Richard bekam keine Luft mehr. »Ich glaube nicht, daß Ihr wißt, welches Kästchen Euch vernichten wird.«
»Du mußt selbst entscheiden, was du glauben willst. Ich habe nicht das Bedürfnis, dich zu überzeugen.« Sein Ausdruck verfinsterte sich. »Triff einen weisen Entschluß, mein junger Freund. Die Möglichkeiten, die ich dir biete, mögen dir nicht gefallen, aber was geschieht, wenn du mir nicht hilfst, wirst du noch viel weniger mögen. Die Wahlmöglichkeiten im Leben können einem nicht alle gefallen, aber andere werden dir nicht geboten. Manchmal muß man sich eher für das entscheiden, was besser ist für die, die man liebt, als für einen selbst.«
»Ich glaube noch immer nicht, daß Ihr wißt, welches Kästchen Euch töten wird«, sagte Richard leise.
»Glaube, was du willst, aber frage dich, ob du Kahlans Zukunft mit Constance auf diesen Glauben setzen willst. Selbst wenn du recht hättest, deine Chancen stehen nach wie vor eins zu drei.«
Richard fühlte sich leer, ausgelaugt. »Kann ich jetzt gehen?«
»Nun, es gibt noch einige andere Dinge, über die du vielleicht Bescheid wissen möchtest.«
Richard kam sich plötzlich vor wie gelähmt, so als hätten unsichtbare Hände ihn gepackt. Er konnte keinen einzigen Muskel bewegen. Darken Rahl griff in Richards Tasche und zog den Lederbeutel mit dem Stein der Nacht hervor. Richard kämpfte gegen die Kraft an, die ihn hielt, konnte sich aber nicht bewegen. Rahl ließ den Stein der Nacht in seine Hand fallen. Lächelnd hielt er ihn in die Höhe.
Schattenwesen nahmen Gestalt an. Sie scharten sich um Rahl, ihre Zahl wuchs. Richard wäre gerne zurückgewichen, konnte sich aber nicht rühren.
»Zeit, nach Hause zu gehen, meine Freunde.«
Die Schatten begannen um Rahl zu kreisen, schneller und schneller, bis sie zu einem grauen Schleier verschwammen. Geheul wurde laut, als sie in einem Wirbel aus Schatten und Formen in den Stein hineingesogen wurden. Stille. Sie waren verschwunden. Der Stein der Nacht verwandelte sich in Rahls Hand zu Asche. Er blies darüber, und die Asche verpuffte in der Luft.
»Der Alte hat dich die ganze Zeit über kontrolliert und den Stein der Nacht dazu benutzt, festzustellen, wo du steckst. Wenn er das nächste Mal nach dir schaut, wird er eine sehr unangenehme Überraschung erleben. Er wird sich in der Unterwelt wiederfinden.«
Richard war außer sich über das, was Darken Rahl Zedd antun wollte, und voller Zorn, daß er sich nicht rühren und nur hilflos zuschauen konnte.
Richard entspannte sich und löste sich von dem Gedanken, sich bewegen zu müssen. Er wurde ruhig. Er ließ seinen Geist leer werden, wurde weich, beweglich. Die Kraft zerschmolz. Er tat einen Schritt nach vorn und löste sich aus dem Griff, der ihn hielt.
Rahl lächelte freundlich. »Sehr gut, mein Junge. Du weißt, wie man ein magisches Netz zerreißt, wenigstens ein kleines. Trotzdem sehr gut. Der Alte wählt seine Sucher weise aus«, fügte er mit einem Nicken hinzu. »Aber du bist mehr als ein Sucher. Du hast die Gabe. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir auf derselben Seite stehen. Es wird mir eine Freude sein, dich in meiner Nähe zu haben. Die, mit denen ich mich herumschlagen muß, sind sehr beschränkt. Nach der Zusammenführung der Welt werde ich dir noch mehr beibringen, wenn du möchtest.«
»Wir werden niemals auf derselben Seite stehen. Niemals.«
»Die Entscheidung liegt bei dir, Richard. Ich bin nicht nachtragend. Ich hoffe, wir werden Freunde.« Rahl musterte Richards Gesicht. »Noch etwas. Du kannst im Palast des Volkes bleiben oder ihn verlassen, ganz wie du willst. Meine Wachen werden sich um dich kümmern. Allerdings wird ein magisches Netz um dich gesponnen sein. Im Gegensatz zu dem, das du gerade zerrissen hast, wird es sich nicht auf dich auswirken, sondern auf die, die dich sehen. Deshalb wirst du es auch nicht zerreißen können. Man nennt es ein Feindesnetz. Wer dich sieht, wird in dir einen Feind sehen. Wer auf meiner Seite steht, der wird dich als den sehen, der du bist, denn im Augenblick bist du mein Feind und daher auch ihrer. Zumindest im Augenblick. Deine Freunde jedoch werden in dir denjenigen sehen, den sie am meisten fürchten, ihren schlimmsten Feind. Ich will, daß du siehst, wie die Menschen von mir denken, daß du die Welt mit meinen Augen siehst und erkennst, wie ungerecht ich beurteilt werde.«
Richard brauchte nicht einmal zu versuchen, seinen Zorn zurückzuhalten, es gab keinen. Er spürte einen seltsamen Frieden. »Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich, mein Junge.«
»Und Herrin Denna?«
»Sobald du diesen Raum verläßt, stehst du wieder unter ihrer Gewalt. Hat eine Mord-Sith einmal deine Zauberkraft, gehört sie ihr. Ich kann sie ihr nicht wegnehmen, um sie dir zurückzugeben. Du mußt sie dir selbst zurückholen.«
»Und inwiefern bin ich dann frei?«
»Ist das nicht deutlich genug? Wenn du gehen möchtest, mußt du sie töten.«
»Sie töten!« Richard war entsetzt. »Meint Ihr nicht, ich hätte sie längst getötet, wenn ich dazu imstande wäre? Meint Ihr, ich hätte das alles über mich ergehen lassen, wenn ich sie hätte töten können?«
Darken Rahl lächelte dünn. »Du warst immer in der Lage, sie zu töten.«