Ihr Kopf schwenkte zu ihm herum. Ihre Augen waren wütend, ungeduldig. »Es sind zu viele Gars. Darken Rahl weiß, daß ich gegen sie keine Chance habe, sollte ich mein Ei jemals finden. Du hast gesagt, du würdest dir etwas einfallen lassen. Was hast du für einen Plan?«
Richard warf einen Blick auf die Öffnung der Höhle. Shadrins Höhle, wie Kahlan ihm verraten hatte. »Wir brauchen etwas, um sie abzulenken, während wir das Ei holen.«
»Während du das Ei holst«, korrigierte Scarlet und unterstrich ihren Standpunkt, indem sie eine kleine Stichflamme spuckte.
Er sah zur Höhle hinüber. »Ich habe gehört, die Höhle reicht durch den Berg bis zu der Stelle, wo das Ei sich befindet. Vielleicht kann ich hindurch gehen, das Ei stehlen und hierherbringen.«
»Dann los.«
»Sollten wir nicht darüber reden, ob die Idee gut ist? Vielleicht fällt uns noch etwas Besseres ein. Außerdem habe ich gehört, die Höhle sei möglicherweise bewohnt.«
Scarlet beäugte ihn verärgert. »Die Höhle soll bewohnt sein?« Sie schob ihren Kopf bis vor die Höhlenöffnung und jagte einen entsetzlichen Feuerstoß in die Dunkelheit. Ihr Kopf kehrte zurück. »Jetzt nicht mehr. Geh jetzt und hol mein Ei.«
Die Höhle war meilenlang. Richard wußte, wer weiter hinten in der Höhle lebte, dem hatte der Feuerstoß nichts anhaben können. Aber er hatte Scarlet sein Wort gegeben. Er sammelte Schilfrohre, die in der Nähe wuchsen, und band sie mit Farn zu mehreren Garben zusammen. Scarlet beobachtete ihn, als er ihr eine davon hinhielt.
»Würdest du das hier für mich anzünden?«
Der Drache schürzte die Lippen und blies einen dünnen Feuerstrahl über das Ende der Schilfrohre.
»Du wartest hier«, sagte er. »Manchmal ist es besser, klein zu sein. Mich entdeckt man nicht so leicht. Ich werde mir etwas einfallen lassen, das Ei holen und es durch die Höhle hierherschaffen. Der Weg ist weit. Vielleicht bin ich erst morgen früh zurück. Ich weiß nicht, wie dicht die Gars mir auf den Fersen sein werden. Es kann also sein, daß wir schnell verschwinden müssen. Halte die Augen offen, ja?« Er hängte seinen Rucksack über einen Dorn auf ihrem Rücken. »Bewahr das für mich auf. Ich möchte nicht mehr mitschleppen als unbedingt nötig.«
Richard hatte keine Ahnung, ob ein Drache ein besorgtes Gesicht machen konnte, aber es sah ganz danach aus.
»Sei vorsichtig mit dem Ei. Das Kleine wird bald schlüpfen. Wenn die Schale vor der Zeit bricht…«
Richard versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen. »Keine Sorge, Scarlet, wir bekommen es zurück.«
Sie folgte ihm schwankenden Schritts bis zum Höhleneingang, steckte den Kopf hinein und sah ihm nach, wie er im Innern verschwand.
»Richard Cypher«, rief sie ihm mit hallender Stimme nach, »ich werde dich finden, wenn du versuchst, wegzulaufen, und solltest du ohne das Ei zurückkommen, wirst du wünschen, die Gars hätten dich getötet, denn ich werde dich langsam grillen. Bei den Füßen fange ich an.«
Richard drehte sich um und starrte auf den massigen Körper, der den Höhleneingang füllte. »Ich habe dir mein Wort gegeben. Wenn die Gars mich entdecken, versuche ich, so viele zu töten, daß du dir das Ei schnappen und fliehen kannst.«
Scarlet grunzte. »Laß es nicht soweit kommen. Ich will dich schließlich noch fressen, wenn alles vorbei ist.«
Richard machte sich grinsend auf den Weg in die Dunkelheit. Die Schwärze schien das Licht der Fackel aufzusaugen und gab ihm das Gefühl, ins Nichts zu marschieren. Als er weiterging, senkte sich der Höhlenboden und führte hinab in kalte, stehende Luft. Eine Felsendecke wurde sichtbar, dann die Wände. Die Höhle wurde schmaler und verwandelte sich in einen Tunnel, der sich tiefer und tiefer in den Berg wand. Dann öffnete sich der Tunnel zu einer großen Höhle. Der Pfad führte auf einem schmalen Grat am Rande eines stillen, grünen Sees vorbei. Im flackernden Schein der Fackeln erkannte er eine schroffe Decke und Wände aus glattem Gestein. Die Decke neigte sich weit nach unten, und er mußte sich bücken, um durchzupassen. Eine gute Stunde lang ging er vornübergebeugt weiter, sein Hals begann von der gebückten Haltung zu schmerzen. Ab und zu streifte er die Asche der Fackel an der Decke ab, damit sie besser brannte.
Die Finsternis war bedrückend, sie hüllte ihn ein, folgte ihm, saugte ihn in die Tiefe, lockte ihn mit gespenstischen Ausblicken immer weiter. Zarte, bunte Felsformationen wuchsen wie Vegetation und schienen blühend aus dem nackten Fels zu sprießen. Funkelnde Kristalle blinkten ihn an, sobald er mit der Fackel vorüberging, deren Flamme das einzige Geräusch erzeugte, das ihm aus der Finsternis entgegenhallte.
Richard kam durch Räume von verblüffender Schönheit. Gewaltige Säulen aus geriffeltem Stein erhoben sich in die Dunkelheit, von wo ihr Gegenstück herunterhing, um sie auf halber Strecke zu treffen. An manchen Stellen waren die Wände mit einer Kristallschicht wie aus geschmolzenen Juwelen überzogen.
Manche Durchgänge war bloße Felsspalten, durch die er sich zwängen mußte, andere bestanden aus Löchern, die ihn zwangen, auf Händen und Knien hindurchzukriechen. Seltsamerweise roch es nach nichts. Hier herrschte ewige Nacht, kein Licht, kein Leben kam jemals hierher. Weiter und weiter ging es, ihm wurde warm vor Anstrengung. Wenn er die Fackel in die Nähe seiner anderen Hand hielt, konnte er sehen, wie von jedem seiner Finger in der kalten Luft Dampf aufstieg, so als würde ihm seine Lebenskraft entzogen. Es war zwar nicht so frostig wie im Winter, und doch handelte es sich um eine Kälte, die einem Menschen seine ganze Körperwärme entziehen konnte, wenn er nur lange genug hier blieb. Ein langsamer, auszehrender Tod. Ohne das Licht hätte er sich nach wenigen Minuten verlaufen. Wer glücklos war oder unachtsam, war hier schnell verloren. Richard sah oft nach der Fackel und dem Schilf, das er als Reserve mitgenommen hatte.
Langsam schleppte sich die ewige Nacht dahin. Richard wurden die Beine müde vom ewigen Rauf- und Runterklettern. Er war ohnehin müde. Hoffentlich hörte die Höhle bald auf, fast schien es, als wäre er schon die ganze Nacht unterwegs. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Der Fels schloß sich um ihn. Die niedrige Decke der Felsspalte senkte sich so weit, daß er wieder gebückt gehen mußte, dann zwang sie ihn gar auf Hände und Knie. Der Boden war kalt und feucht von glitschigem Schlamm, der nach Verwesung stank. Der erste Geruch nach langer Zeit. Seine Hände waren klamm vom feuchten, stinkenden Schlick.
Der Weg schrumpfte zu einem einzigen, schmalen Durchlaß, im Schein der Fackeln, nicht mehr als ein schwarzes Loch. Ein Luftzug fuhr stöhnend durch die Öffnung und ließ die Flamme flackern. Er hielt die Fackel ins Loch, konnte dahinter aber nichts als bloßes Schwarz erkennen. Er zog die Fackel wieder zurück und überlegte, was er tun sollte. Die Öffnung war schrecklich schmal, oben und unten flach, und er hatte keine Ahnung, wie lang sie war oder was sich dahinter verbarg. Luft kam hindurch, also mußte sie zur anderen Höhlenöffnung führen, zu den Gars, dem Ei, doch behagte ihm nicht, daß sie so schmal war. Die Enge ließ ihn Schlimmes ahnen.
Richard kroch ein Stück zurück. Vielleicht gab es weiter hinten eine Abzweigung, in einem der anderen Räume. Aber wieviel Zeit durfte er vergeuden, um am Ende möglicherweise doch keinen zu finden? Er kehrte zurück vor das Loch und starrte es mit wachsendem Unbehagen an.
Er versuchte, nicht an seine Angst zu denken, nahm das Schwert ab, hielt es zusammen mit der Fackel und der Reserve vor sich und drückte sich in die Öffnung. Sofort versetzte ihn der Druck des Gesteins von oben und unten in panische Angst. Mit ausgestreckten Armen und seitlich verdrehtem Kopf ruckelte er sich tiefer hinein. Die Enge nahm zu und zwang ihn, sich zentimeterweise vorzuschieben. Kaltes Gestein drückte gegen Brust und Rücken. Er konnte nicht mehr durchatmen. Er preßte sich tiefer hinein, es wurde immer enger. Er ruckelte seine Schultern vor und zurück, zog erst ein Bein einige Zentimeter nach, dann das andere. Er kam sich vor wie eine Schlange, die sich häutet. Im Schein der Fackel war weiter vorn nichts als Dunkelheit zu erkennen. Die Angst packte ihn. Du mußt nur durch, redete er sich ein, schieb dich einfach vor und durch.