Mit den Zehenspitzen seiner Stiefel stemmte sich Richard gegen den Fels und versuchte, sich zappelnd vorzuschieben. Der Stoß keilte ihn fest. Er versuchte es ein zweites Mal. Nichts rührte sich. Wütend schob er sich fester vor. Panik packte ihn. Er saß fest. Felsgestein preßte Brust und Rücken zusammen, er bekam kaum noch Luft. Er stellte sich das Felsgebirge vor, das auf seinem Rücken lastete, dieses unvorstellbare Gewicht, das sich über ihm auftürmte. Völlig verängstigt schlängelte und wand er sich und versuchte, zurückzurutschen. Unmöglich. Er versuchte, etwas mit den Händen zu fassen, um sich daran nach hinten drücken zu können. Es half nichts. Er saß fest. Er keuchte und bekam nicht genügend Luft. Er glaubte ersticken zu müssen, seine Lungen brannten nach Luft, so als ertränke er, unfähig zu atmen. Tränen traten ihm in die Augen. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Mit den Zehen scharrte er gegen den Fels, versuchte, sich in die eine oder die andere Richtung zu schieben. Nichts. Die Art, wie seine Arme vor seinen Körper geklemmt waren, erinnerte ihn an Dennas Bandeisen. An die Hilflosigkeit. Daß er die Arme kaum bewegen konnte, machte alles noch schlimmer. Kalter Schweiß bedeckte sein Gesicht. Richard begann, panisch zu keuchen: der Fels schien sich zu bewegen und fester zuzudrücken. Verzweifelt sehnte er sich nach Hilfe. Es gab keine.
Ächzend und mit der Kraft der Verzweiflung schob er sich ein paar Zentimeter nach vorn. Das machte es nur schlimmer. Enger. Er hörte sich hysterisch schluchzen. Er rang nach Luft. Der Fels drohte ihn zu zermalmen. »Führe uns, Meister Rahl. Lehre uns, Meister Rahl. In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gebe uns Schutz. Deine Weisheit beschämt uns. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«
Immer wieder intonierte er den Lobgesang, konzentrierte all seine Gedanken darauf, bis sein Atem langsamer und er wieder ruhiger wurde. Er saß immer noch fest, aber wenigstens funktionierte sein Verstand wieder.
Etwas berührte ihn am Bein. Er riß die Augen auf.
Die Berührung war tastend, schüchtern. Richard trat mit dem Bein aus. Zumindest, so weit dies in der Enge des Loches möglich war. Es war eher ein Zucken. Was ihn berührt hatte, verschwand.
Und war wieder da. Richard erstarrte. Diesmal strich etwas die Innenseite seines Hosenbeines hinauf. Kalt, feucht, schleimig. Schlitternd arbeitete sich dieses Etwas mit seiner harten Spitze sein Bein hinauf, schmiegte sich an die Haut an der Innenseite seines Schenkels. Richard trat wieder aus, zuckte mit dem Bein. Diesmal verschwand es nicht. Die Spitze tastete sich suchend vor. Irgend etwas bohrte sich in seine Haut. Panik drohte ihn wieder zu übermannen, aber er kämpfte dagegen an.
Jetzt blieb ihm keine Wahl mehr. Der Gedanke war ihm vorher schon gekommen, er hatte jedoch Angst gehabt, es auszuprobieren. Richard preßte alle Luft aus seinen Lungen, und als er so klein war, wie er sich nur machen konnte, stieß er sich mit den Zehen ab, zog sich mit den Fingern vor und wand seinen Körper. Er rutschte einen knappen halben Meter vor.
Hier war es noch enger. Er konnte nicht mehr atmen. Es tat weh. Er kämpfte gegen die aufkommende Panik. Dann ertasteten seine Finger etwas. Vielleicht das Ende des Durchlasses. Vielleicht weitete sich hier das Loch, in dem er steckte. Das Ding krallte sich schmerzhaft und mit Nachdruck in sein Bein. Er vernahm ein bösartiges Knurren. Er zog mit den Fingern, bekam eine Kante zu fassen und stieß sich mit den Zehen ab. Er kam voran. Jetzt hatte er die Kante mit den Ellenbogen erreicht. Etwas Scharfes, wie die Kralle einer Katze, bohrte sich wie ein Haken in sein Bein. Schreien war unmöglich. Er schob sich weiter vor. Das Fleisch seines Oberschenkels brannte wie Feuer.
Fackel, Schilfgarben und Schwert glitten davon. Scheppernd rutschte sein Schwert den Fels hinab. Die Ellenbogen als Hebel benutzend, quetschte er seinen Oberkörper durch die Öffnung und schnappte in tiefen Zügen nach Luft. Der Haken zerrte an seinem Bein. Richard wand sich ganz aus dem Loch hinaus, rutschte aus und stürzte kopfüber einen steilen, glatten Fels hinab.
Die Fackel brannte auf dem ausgekehlten Boden der eiförmigen Kammer. Gleich dahinter lag sein Schwert. Er rutschte kopfüber mit ausgestreckten Händen hinein und versuchte, sein Schwert zu packen. Die hakenartigen Krallen in seinen Beinen hielten ihn zurück. Er blieb kopfüber hängen. Richard schrie vor Schmerz. Sein Schrei hallte durch die Kammer. Das Schwert konnte Richard nicht erreichen.
Quälend langsam wurde er von den Krallen in seinem Bein wieder hinaufgezogen. Das Fleisch riß. Er brüllte. Ein weiterer Wurm kroch ihm das andere Bein hinauf und betastete seinen Wadenmuskel mit seiner harten Spitze.
Richard zückte das Messer, hob den Oberkörper und versuchte das Ding zu erwischen, das ihn festhielt. Wieder und wieder rammte er seine Klinge hinein. Tief aus dem Loch erschallte ein schrilles Quieken. Die Krallen wurden eingezogen. Richard glitt über den Fels und kam neben der Fackel zu liegen. Er packte die Scheide mit einer Hand und zog das Schwert, als schlangengleiche Wurmarme aus dem Loch geschossen kamen und nervös in der Luft herumzappelten. Tastend suchten sie den Fels bis hinunter zu ihm ab. Richard schwang das Schwert und kappte mehrere der Arme. Sie wurden alle unter Geheul ins Loch zurückgezogen. Aus der Tiefe der Finsternis erscholl ein dumpfes Grollen.
Im flackernden Schein der Fackel, die auf dem Steinboden lag, konnte er einen massigen Körper sehen, der sich durch die Öffnung quetschte und sich beim Austritt dehnte. Mit dem Schwert kam er nicht heran, aber als Gesellschaft in der engen Kammer wollte er das Biest bestimmt nicht.
Ein Arm peitschte um seine Hüfte und hob ihn in die Höhe. Er ließ es geschehen. Ein Auge linste ihn an. Es glänzte im fahlen Schein der Fackel. Er entdeckte feucht glitzernde Zähne. Der Arm wollte ihn gerade in den Schlund zerren, als Richard das Schwert in das Auge bohrte. Das Wesen ließ ihn unter Geheul los und zog sich ins Loch zurück, riß die um sich peitschenden Arme mit hinein. Das Geheul verhallte in der fernen Dunkelheit und war verschwunden.
Richard saß zitternd auf dem Boden und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Nach einer Weile wurde sein Atem ruhiger und seine Angst ließ nach. Er betastete sein Bein. Seine Hose war blutgetränkt. Daran war im Augenblick nichts zu ändern, zuerst mußte er das Ei beschaffen. Auf der anderen Seite der Kammer war ein schwacher Lichtschein zu sehen. Er folgte dem breiten Tunnel auf der anderen Seite und gelangte schließlich zur Mündung der Höhle.
Das fahle Licht der Morgendämmerung und das Gezwitscher der Vögel begrüßten ihn. Unten sah er Dutzende von Gars herumstreifen. Richard ließ sich hinter einem Felsen nieder, um sich auszuruhen. Unten konnte er das Ei sehen, umgeben von aufsteigendem Dampf. Er erkannte auch, daß das Ei viel zu groß war, um es durch die Höhle zurückzutragen. Außerdem wollte er auf keinen Fall noch einmal durch die Höhle. Bald wäre es hell. Er mußte sich etwas einfallen lassen.
Irgend etwas biß ihn ins Bein. Er schlug es tot. Eine Blutmücke.
Er stöhnte. Jetzt würden die Gars ihn finden. Das Blut zog sie an. Er mußte sich etwas einfallen lassen.
Eine zweite Mücke stach ihn, und ihm kam eine Idee. Rasch zog er sein Messer und schnitt die feuchte, blutdurchtränkte Hose in Streifen. Damit wischte er sich das Blut vom Bein, dann band er einen Stein an beide Enden.
Richard nahm die Pfeife des Vogelmenschen zwischen die Lippen und pfiff, so kräftig er konnte. Immer wieder. Dann packte er einen Stoffstreifen, schwang ihn kreisend über dem Kopf und ließ los, ließ ihn in die Tiefe segeln. Mitten unter die Gars. Er schleuderte die blutdurchtränkten Stoffstreifen immer weiter nach rechts, in die Bäume hinein. Hören konnte er sie nicht, aber er wußte, daß die Blutmücken aufgescheucht wurden. Soviel frisches Blut weckte ihre Gier.
Vögel, hungrige Vögel, erst ein paar, dann Hunderte, Tausende, stürzten hinab auf die Feuerquelle und fraßen sich dabei durch die Mücken. Ein unglaubliches Getümmel entstand. Gars heulten auf, als sich die Vögel auf sie stürzten und ihnen die Mücken vom Bauch pickten oder sie aus der Luft schnappten. Überall liefen Gars durcheinander, einige stiegen in die Luft auf. Jeder Vogel, den die Gars aus der Luft griffen, wurde durch hundert neue ersetzt.