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Geduckt, von Fels zu Fels springend, stürzte Richard den Hang hinab. Er brauchte nicht zu befürchten, gehört zu werden, dafür machten die Vögel zu viel Lärm. Die Gars wurden wild, schlugen nach den Vögeln, jagten ihnen heulend und kreischend nach. Es schien Federn zu schneien. Wenn das der Vogelmann sehen könnte, dachte er lächelnd.

Richard löste sich von der Felswand und rannte auf das Ei zu. In dem Durcheinander gingen die Gars dazu über, sich gegenseitig anzufallen, sich zu zerfleischen. Einer von ihnen entdeckte Richard. Der Sucher durchbohrte ihn im Vorbeilaufen mit dem Schwert. Dem nächsten durchtrennte er die Beine oberhalb des Knies. Der Gar fiel heulend zu Boden. Dem nächsten schlug er einen Flügel ab, dem übernächsten beide Arme. Er tötete sie absichtlich nicht, sondern ließ sie um sich schlagend, heulend und kreischend auf dem Boden liegen, um das Chaos noch zu vergrößern. In dem Durcheinander griffen ihn nicht einmal alle Gars an, die ihn sahen. Dafür jedoch er sie.

Zwei tötete er in der Nähe des Eis. Mit den Unterarmen hob er das Ei von seinem Platz. Es war heiß, doch nicht so heiß, daß er sich verbrannte. Das Ei war schwerer als erwartet, und er brauchte beide Arme zum Tragen. Ohne Zeit zu vergeuden, rannte er nach links zu der Schlucht zwischen den Hügeln. Vögel flatterten in alle Richtungen, einige prallten gegen ihn. Es herrschte völliges Chaos. Zwei Gars gingen auf ihn los. Er setzte das Ei ab, tötete den ersten und trennte dem zweiten die Beine vom Leib. Mit dem Ei in den Armen lief er, so schnell er konnte, ohne einen Sturz zu riskieren. Der nächste Gar griff an. Er verfehlte ihn mit dem ersten Hieb, durchbohrte ihn aber, als er auf ihn zugesprungen kam.

Vor Anstrengung schwer atmend rannte Richard zwischen die Hügel. Die Arme schmerzten und wurden matt unter dem Gewicht seiner Last. Ringsum landeten Gars, ihre grünen Augen voller Wut. Er setzte das Ei ab und drosch auf den ersten ein, der kam, trennte ihm einen Teil des Flügels ab und den Kopf. Die anderen stürzten sich heulend auf ihn.

Bäume und Felsen ringsum erglühten in strahlendem Licht.

Flammen verbrannten mehrere der Monster zu Asche. Richard hob den Kopf und sah Scarlet, die, mit den gewaltigen Flügeln schlagend, alles ringsum in ein Flammenmeer verwandelte. Mit einer Kralle griff sie nach dem Ei und packte es, dann faßte sie ihn mit der anderen um die Hüfte und trug ihn davon. Sie hoben gerade ab, als zwei weitere Gars angriffen. Einen erwischte er mit dem Schwert, der andere ging in Flammen auf und stürzte zu Boden.

Scarlet röhrte die Gars vor Wut an, als sie mit Richard in der Kralle gen Himmel stieg. Das war zwar nicht Richards bevorzugte Art zu fliegen, aber es war weit besser als unten zwischen den Gars. Ein weiterer Gar näherte sich von unten und schnappte nach dem Ei. Richard hackte ihm einen Flügel ab. Heulend trudelte er zu Boden. Mehr kamen nicht.

Scarlet trug ihn hoch in den Himmel, fort von der Feuerquelle. In ihrer Kralle fühlte er sich wie ein Beutetier, das zu den Jungtieren gebracht wurde. Ihr Griff war an den Rippen ein wenig schmerzhaft, aber er beschwerte sich nicht, er wollte nicht, daß sie locker ließ. Es war weit bis nach unten.

Sie flogen stundenlang. Es gelang Richard, eine andere, bequemere Stellung in ihren Krallen einzunehmen, und er sah zu, wie Hügel und Bäume unten vorüberflogen. Er sah Bäche und Felder, sogar ein paar kleinere Ortschaften. Die Hügel wurden höher und wurden felsiger, als wüchse das Gestein aus dem Boden. Vor ihnen tauchten schroffe Klippen und Gipfel auf. Scarlet trug sie mit sanftem Flügelschlag höher hinauf, über Felsen, die fast seine Füße streiften. Sie brachte ihn in eine verlassene Gegend, bar jeden Lebens. Grünbraunes Gestein schien willkürlich von Riesenhand zu schmalen Säulen gestapelt wie Münzen auf einem Tisch. Einige standen allein, andere waren zu Gruppen gebündelt, noch mehr eingestürzt.

Hinter und über den Felssäulen ragten massive, zerklüftete Felsklippen auf, übersät mit Spalten und Ritzen, Vorsprüngen und Absätzen. An den Felswänden zogen vereinzelte Wolken vorüber. Scarlet hielt in Schräglage auf eine glatte Felswand zu. Richard kam es vor, als würden sie glatt davor fliegen, doch bevor es dazu kam, bremste sie mit einem Schlag ihrer enormen Schwingen und setzte ihn auf einem Sims ab, bevor sie selbst landete.

An der hinteren Seite des Felssims führte eine Öffnung in den Fels. Scarlet zwängte ihren massigen Körper hindurch. Im Hintergrund, in der kühlen Dunkelheit, befand sich ein Nest aus Steinen, in das sie das Ei legte und mit einem Feuerhauch überzog. Richard sah zu, wie sie das Ei mit einer Kralle streichelte, es vorsichtig drehte, untersuchte und beruhigend darauf einredete. Sachte hüllte sie es mit Flammen ein, dann drehte sie aufmerksam lauschend den Kopf.

»Alles in Ordnung?« fragte Richard leise.

Ihr Kopf schwenkte zu ihm herum. Ihre gelben Augen hatten einen verträumten Ausdruck. »Ja, es geht ihm gut.«

Richard nickte. »Das freut mich, Scarlet. Wirklich.«

Er wollte zu ihr, als sie sich neben dem Ei niederlegte. Sofort hob sie warnend den Kopf.

Er blieb stehen. »Ich wollte nur meinen Rucksack holen. Er hängt an einem deiner Dornen auf deiner Schulter.«

»Entschuldige. Bitte.«

Richard holte sich den Rucksack und trat vor eine Seitenwand, ein wenig näher ans Licht. Er warf einen Blick über den Vorsprung. Es mochten mehrere tausend Fuß bis unten sein. Richard hoffte inbrünstig, Scarlet würde Wort halten. Er setzte sich und holte eine saubere Hose aus dem Rucksack. Dabei entdeckte er noch etwas anderes, das Gefäß aus Dennas Zimmer. Darin befand sich ein Teil der Aumsalbe, die er angerührt hatte, nachdem Rahl sie gefoltert hatte. Denna mußte es ihm eingepackt haben. Beim Anblick des Strafers mußte er versonnen lächelnd an sie denken. Wie konnte er jemanden mögen, der ihm so etwas angetan hatte? Ganz einfach, er hatte ihr vergeben — mit der weißen Magie.

Die Aumsalbe tat gut. Er stöhnte leise. Sie kühlte seine brennenden Wunden, linderte den Schmerz. Im stillen dankte Richard Denna. Dann zog er die zerfetzten Überreste seiner Hose aus.

»Du siehst komisch aus ohne deine Hosen.«

Richard wirbelte herum. Scarlet beobachtete ihn.

»Für einen Mann sind das nicht gerade tröstliche Worte von einer Frau, auch wenn es sich bei der Frau um einen Drachen handelt.« Er drehte ihr den Rücken zu und zog sich die saubere Hose über.

»Haben die Gars dich verletzt?«

Richard schüttelte den Kopf. »Das ist in der Höhle passiert.« Die bedrückende Erinnerung lahmte noch immer seine Stimme. Er setzte sich, lehnte sich an die Wand und betrachtete seine Stiefel. »Ich mußte durch ein winziges Loch im Felsen kriechen. Einen anderen Weg gab es nicht. Ich bin steckengeblieben.« Er hob den Kopf und blickte in die großen, gelben Augen. »Ich habe oft Angst bekommen, seit ich ausgezogen bin, um Darken Rahl aufzuhalten. Aber als ich in diesem Loch festsaß, im Dunkeln, und der Felsen so fest drückte, daß ich keine Luft mehr bekam … das war mit das Schlimmste. Als ich dort festsaß, hat sich irgend etwas in mein Bein gekrallt und sich mit scharfen, kleinen Krallen festgehakt. Das hier ist passiert, als ich fliehen wollte.«

Scarlet beobachtete ihn lange schweigend, eine Kralle über das Ei gelegt. »Ich danke dir, Richard Cypher, daß du dein Versprechen gehalten und mein Ei zurückgeholt hast. Du bist tapfer, auch wenn du kein Drache bist. Ich hätte nie gedacht, daß sich ein Mensch so für einen Drachen einsetzen würde.«

»Ich habe es nicht nur wegen deines Eis getan. Ich habe es getan, weil ich nicht anders konnte. Ich mußte jemanden finden, der mir bei der Suche nach meinen Freunden hilft.«

Scarlet schüttelte den Kopf. »Ehrlich bist du auch noch. Ich glaube, du hättest es vielleicht auch so getan. Tut mir leid, daß du verletzt wurdest und du solche Angst erleiden mußtest, als du mir geholfen hast. Normalerweise töten Menschen die Drachen. Du bist vielleicht der erste, der je einem geholfen hat. Aus welchem Grund auch immer. Ich hatte meine Zweifel.«