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»Gut, daß du mir rechtzeitig zu Hilfe gekommen bist. Die Gars hätten mich beinahe erwischt. Übrigens, hatte ich dir nicht gesagt, du sollst dort bleiben? Wieso bist du mir gefolgt?«

»Ich muß zu meiner Schande gestehen, ich hatte geglaubt, du wolltest fliehen. Ich wollte gerade nach dem Rechten sehen, als ich den Aufruhr hörte. Ich mache es wieder gut. Ich werde dir wie versprochen helfen, deine Freunde zu finden.«

Richard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Danke, Scarlet. Aber was wird aus dem Ei? Kannst du es allein lassen? Vielleicht stiehlt Rahl es ein zweites Mal?«

»Nicht von hier, ausgeschlossen. Ich habe lange nach diesem Ort gesucht, nachdem er mir das Ei gestohlen hatte, damit ich ein Versteck habe, sollte ich es je zurückbekommen. Hier kann er es unmöglich finden. Ich werde das Gestein mit meinem Feuer erhitzen, um das Ei während meiner Abwesenheit zu wärmen.«

»Die Zeit ist knapp, Scarlet. Wann können wir aufbrechen?«

»Sofort.«

17

Der Tag war enttäuschend verlaufen. Scarlet flog tief über den dichten Wäldern, und die beiden suchten Straßen und Wege ab. Richard war entmutigt, weil sie kein Zeichen von seinen Freunden gefunden hatten. Er war so erschöpft, daß er sich kaum noch an ihren Dornen festhalten konnte. Aber er wollte sich nicht ausruhen, er mußte Zedd und Kahlan finden. Zusätzlich zu seiner Müdigkeit hatte er entsetzliche Kopfschmerzen, weil er seine Augen so anstrengen mußte. Jedesmal, wenn sie am Boden Menschen ausmachten, vergaß er seine Erschöpfung und seinen mangelnden Schlaf, nur um Scarlet dann immer wieder sagen zu müssen, daß es nicht seine Freunde waren.

Scarlet ging herunter, streifte die Wipfel einiger Fichten am Rand eines Feldes. Sie stieß einen durchdringenden Schrei aus, der Richard auffahren ließ, dann schwenkte sie in eine scharfe Kurve, daß Richard schwindelig wurde. Aufgescheucht vom Röhren des Drachen sprang ein Rehbock quer über das Feld davon. Im Sturzflug rasch an Tempo gewinnend, stürzte sie auf das Feld hinab. Mühelos griff Scarlet das Reh aus dem hohen, braunen Gras und brach ihm dabei das Genick. Die Leichtigkeit, mit der sie ihre Beute schlug, machte Richard angst.

Scarlet stieg höher in die Lüfte, in das goldene Licht der untergehenden Sonne, zwischen die bauschigen Wolken. Richards Zuversicht schien mit der Sonne unterzugehen. Scarlet flog zurück zu ihrem Ei. Gerne hätte er sie darum gebeten, noch weiterzusuchen, solange es hell war, aber er wußte, daß sie zurück zu ihrem Nachwuchs mußte.

Es war fast dunkel, als Scarlet auf dem Felsvorsprung landete. Sie wartete, bis er über ihre roten Schuppen heruntergeklettert war, dann eilte sie zu ihrem Nest. Richard legte sich an die Seite und rollte sich vor Kälte zitternd in seinen Umhang.

Nachdem sie nach ihrem Ei gesehen, beruhigend auf es eingeredet und mit Feuer gewärmt hatte, musterte sie den Rehbock. »Du siehst nicht aus, als könntest du viel essen. Ich nehme an, ich könnte dir etwas abgeben.«

»Brätst du es für mich? Ich esse kein rohes Fleisch.«

Sie willigte ein, also schnitt er sich ein Stück heraus, spießte es auf die Schwertspitze und hielt es hoch. Er mußte den Kopf abwenden, als sie einen dünnen Feuerstrahl darüber blies. Richard kehrte an die Seite zurück, verspeiste sein Essen und versuchte, nicht hinzusehen, als der Drache den Bock mit Reißern und Krallen in Stücke riß, riesige Brocken in die Höhe schleuderte und sie fast ganz ohne zu kauen verschlang.

»Was machen wir, wenn wir deine Freunde nicht finden?«

Richards Kehle war wie zugeschnürt. »Wir müssen sie finden, das ist alles.«

»Morgen in vier Tagen ist der erste Tag des Winters.«

Mit Daumen und Zeigefinger riß er einen schmalen Streifen Fleisch ab. »Ich weiß.«

»Ein Drache stirbt lieber, als daß er sich herumkommandieren läßt.«

Richard hob den Kopf und sah, daß sie mit dem Schwanz wedelte. »Vielleicht, wenn man für sich allein entscheidet, aber was ist mit den anderen? Du hast beschlossen, dich herumkommandieren zu lassen, um deinen Nachwuchs zu retten und ihm die Chance zum Leben zu geben.«

Scarlet grunzte, ohne seine Frage zu beantworten, ging noch einmal zu ihrem Ei und strich mit ihren Krallen darüber.

Richard wußte, wenn er das letzte Kästchen nicht fand und Rahl nicht aufhalten konnte, mußte er sich bereit erklären, ihm zu helfen, das richtige Kästchen zu öffnen, um so allen anderen das Leben zu retten und Kahlan die Folter einer Mord-Sith zu ersparen. Danach konnte Kahlan wieder als Konfessor arbeiten.

Der Gedanke, Darken Rahl dabei zu helfen, die uneingeschränkte Macht über alle zu gewinnen, war allerdings niederschmetternd. Doch welche Wahl hatte er? Vielleicht hatte Shota recht. Vielleicht sollte man ihn allein dafür töten, daß er mit dem Gedanken spielte, Darken Rahl zu helfen. Solange er jedoch die Wahl hatte, würde er nicht zulassen, daß eine MordSith Kahlan etwas antat. Er würde Darken Rahl helfen müssen.

Richard legte sich wieder hin, zu angewidert von seinen Möglichkeiten, um sein Mahl zu beenden. Er legte den Kopf auf den Rucksack, zog den Umhang fester um sich und dachte an Kahlan. Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.

Am nächsten Tag brachte Scarlet ihn nach D’Hara, wo, wie sie erzählte, früher die Grenze gewesen war. Sie suchten Straßen und Pfade ab. Hohe, dünne Wolken schwächten das Licht der Sonne. Richard hoffte, seine Freunde nicht so dicht bei Darken Rahl zu finden, doch wenn Zedd nach dem Stein der Nacht gesucht hatte, bevor Darken Rahl ihn zerstören konnte, und er daher wußte, daß er im Palast des Volkes gewesen war, mußten sie bereits auf dem Weg dorthin sein. Der Drache flog im Tiefflug über die Menschen hinweg, die sie entdeckt hatten, und jagte ihnen einen Schrecken ein. Aber es waren nicht die Gesuchten.

Gegen Mittag sah Richard sie. Zedd, Chase und Kahlan ritten auf Pferden in der Nähe der Hauptstraße. Er brüllte Scarlet zu, sie solle runtergehen. Der Drache legte sich in die Kurve und tauchte wie ein roter Strich Richtung Erdboden. Die drei Reiter sahen sie kommen, blieben stehen und stiegen ab.

Scarlet breitete ihre scharlachroten Flügel aus, bremste ab und landete auf einer Lichtung gleich neben dem Pfad. Richard sprang ab und stürzte sofort los, als er den Boden berührte. Die drei standen da und hielten ihre Pferde am Zaumzeug. Chase hatte in der anderen Hand eine Keule. Kahlans Anblick versetzte Richard in Hochstimmung. Eben war sie noch Erinnerung, jetzt stand sie leibhaftig vor ihm. Niemand rührte sich, als er die kurze, steile Senke im Pfad hinabgeeilt kam. Richard sah auf den Boden, um nicht über eine Wurzel zu stolpern.

Als er den Kopf wieder hob, kam ein Zaubererfeuer heulend auf ihn zugeschossen. Er blieb überrascht stehen. Was machte Zedd? Der Ball aus flüssigem Feuer war größer als alle, die er bislang gesehen hatte. Kreischend raste er heran und erhellte mit seinen gelbblauen Flammen sämtliche Bäume in der Umgebung. Mit großen Augen verfolgte Richard, wie er immer größer wurde und kollernd und drehend auf ihn zuschoß.

Voller Panik griff Richard zum Heft und spürte, wie sich das Wort WAHRHEIT in die Muskeln seiner Handfläche preßte. Mit mächtigem Schwung zog er das Schwert, dessen metallisches Klirren die Luft füllte. Augenblicklich durchfuhr ihn die Kraft der Magie. Das Feuer hatte ihn fast erreicht. Wie schon bei Shota hielt er das Schwert wie einen Schild in die Höhe, eine Hand am Heft, die andere an der Spitze. Beim Gedanken, daß Zedd ihn verriet, überkam ihn der Zorn. Das konnte unmöglich Zedd sein.

Der Aufprall drückte ihn einen Schritt nach hinten. Hitze und Feuer hüllten ihn völlig ein. Der Zorn des Zaubererfeuers explodierte und zersplitterte in der Luft.

»Zedd! Was soll das? Bist du verrückt geworden? Ich bin’s, Richard!« Wütend ging er auf sie zu. Wütend auf Zedd, wütend durch die Magie des Schwertes. Sein Zorn schoß heiß durch seine Adern.