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Das Lächeln seines Bruders wurde breiter. »Du bist schließlich mein Bruder. Was hätte ich sonst tun sollen?«

Richard zwang sich zu einem Lächeln, obwohl der Haß glühend heiß in ihm brannte. In mancherlei Hinsicht war es schlimmer, als wäre Kahlan die Verräterin gewesen. Mit Michael war er aufgewachsen, sie waren Brüder und hatten einen großen Teil ihres Lebens zusammen verbracht. Er hatte Michael immer bewundert, ihn immer unterstützt, ihm seine bedingungslose Liebe geschenkt. Er mußte daran denken, wie er vor anderen Jungen mit seinem großen Bruder geprahlt hatte.

»Michael, ich brauche ein Pferd. Ich muß aufbrechen. Jetzt sofort.«

»Wir werden dich alle begleiten. Meine Männer und ich.« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Jetzt, wo wir wieder zusammen sind, lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.«

Richard sprang auf. »Nein!« Er zwang sich, ruhiger zu sprechen. »Du kennst mich, ich bin es gewohnt, allein durch die Wälder zu streifen. Das kann ich am besten. Du würdest mich nur aufhalten. So viel Zeit habe ich jetzt nicht.«

Michael stand auf. Sein Blick wanderte zur Zeltöffnung. »Kommt überhaupt nicht in Frage. Wir sind…«

»Nein. Du bist Oberster Rat von Westland. Du mußt das Land beschützen, das ist deine erste Pflicht, nicht das Behüten deines kleinen Bruders. Bitte, Michael, führe die Armee nach Westland zurück. Ich komme zurecht.«

Michael rieb sich das Kinn. »Vermutlich hast du recht. Natürlich sind wir nur nach D’Hara gezogen, um dir zu helfen, und jetzt, wo du in Sicherheit bist…«

»Danke, daß du gekommen bist, Michael. Ich werde mir selbst ein Pferd aussuchen. Geh wieder an deine Arbeit.«

Richard kam sich vor wie der größte Narr aller Zeiten. Er hätte es wissen müssen. Er hätte schon vor langer Zeit darauf kommen müssen. Er mußte an die Rede denken, die Michael über das Feuer, den Feind der Menschen, gehalten hatte. Da schon hätte er Bescheid wissen müssen. Kahlan hatte ihn an jenem ersten Abend warnen wollen. Ihre Vermutung, daß Michael auf Rahls Seite stand, war richtig gewesen. Hätte er bloß auf seinen Kopf gehört statt auf sein Herz. Das erste Gesetz der Magie: die Menschen sind dumm, sie glauben, was sie glauben wollen. Und er war der Dümmste von allen gewesen. Er ärgerte sich zu sehr über sich selbst, als daß er wütend auf Michael hätte sein können.

Durch seine Weigerung, die Wahrheit zu sehen, würde er alles verlieren. Er hatte keine Wahl mehr. Er hatte den Tod verdient.

Ohne die feuchten Augen von Michael abzuwenden, sank Richard langsam auf ein Knie und erbot den Gruß des Verlierers.

Michael stemmte die Hände in die Hüften und lächelte. »Das weißt du noch! Das ist schon lange her, mein kleiner Bruder.«

Richard stand wieder auf. »So lange auch wieder nicht. Einige Dinge ändern sich nie. Ich habe dich immer geliebt. Auf Wiedersehen, Michael.«

Richard dachte zum zweiten Mal kurz daran, seinen Bruder zu töten. Er würde es mit dem Zorn des Schwertes tun müssen, könnte sich aber niemals überwinden, Michael zu vergeben und die Klinge weiß zu färben. Was ihn anbetraf, vielleicht, aber nicht, was er Zedd und Kahlan angetan hatte. Niemals. Michael zu töten war nicht so wichtig, wie Kahlan zu helfen. Er durfte das Risiko nicht eingehen, nur weil er so dumm gewesen war. Er trat durch die Zeltöffnung. Michael folgte ihm.

»Bleib wenigstens eine Weile und iß etwas. Es gibt noch andere Dinge, die wir besprechen müssen. Ich bin immer noch nicht sicher…«

Richard drehte sich um und sah seinen Bruder vor der Stirnseite des Zeltes stehen. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Michaels Gesichtsausdruck verriet ihm, daß er nicht die geringste Absicht hatte, ihn gehen zu lassen. Er wartete nur darauf, daß er seine Leute rufen konnte, damit sie ihm halfen.

»Ich mache es auf meine Art, Michael. Bitte. Ich muß gehen.«

»Männer«, rief er den Wachen zu. »Ich möchte, daß mein Bruder hier bleibt, zu seinem eigenen Schutz.«

Die drei Wachen gingen auf ihn los. Richard sprang über das Gebüsch und hinein ins Schwarz der Nacht. Sie setzten ihm schwerfällig nach. Es waren keine Waldläufer, sondern Soldaten. Richard wollte sie nicht töten, schließlich waren es Westländer. Während er durch die Dunkelheit huschte, erwachte das Lager unter dem Geschrei von Befehlen zum Leben. Er hörte Michael brüllen, man solle ihn aufhalten, aber nicht töten. Natürlich nicht. Schließlich wollte er ihn Darken Rahl persönlich übergeben.

Richard schlich zwischen den Posten hindurch und umkreiste das Lager bis zu den Pferden. Er durchschnitt sämtliche Zügel, dann bestieg er eines der Tiere, ohne Sattel. Schreiend trat und schlug er nach den anderen. Sie brachen voller Panik aus. Männer und Pferde stiebten in sämtliche Richtungen davon. Er gab seinem Pferd die Sporen.

Der Lärm erregter Stimmen verebbte hinter ihm. Sein Gesicht war feucht von Nebel und Tränen, während er sein Pferd in die Dunkelheit jagte.

18

Zedd lag wach im ersten Licht der Dämmerung, den Kopf voller Sorgen. Über Nacht waren Wolken aufgezogen, es sah aus, als sollte die vor ihnen liegende Reise feucht werden. Kahlan lag dicht neben ihm auf der Seite, das Gesicht ihm zugewandt, atmete langsam. Sie schlief fest. Chase stand irgendwo Wache.

Die Welt zerbrach in Stücke, und er fühlte sich machtlos. Wie ein Blatt im Wind. Als Zauberer sollte er eigentlich nach all den Jahren einen gewissen Einfluß auf die Entwicklung haben. Aber er war kaum mehr als ein Zuschauer, der daneben stand und mit ansah, wie andere verletzt, getötet wurden, während er versuchte, diejenigen zu führen, die das Zünglein an der Waage werden konnten und taten, was getan werden mußte. Als Zauberer der ersten Ordnung war er eigentlich klug genug, nicht nach D’Hara zu ziehen, doch welche Möglichkeit blieb ihm sonst? Wenn irgendeine Chance bestand, Richard zu retten, mußte er dorthin. Drei Tage waren es noch bis zum ersten Tag des Winters. Darken Rahl hatte erst zwei Kästchen. Er würde sterben. Wenn sie Richard nicht dort rausholten, würde Rahl ihn vorher töten.

Er dachte noch einmal über die Begegnung mit Darken Rahl vom Vortag nach. Er begriff es nicht, sosehr er es auch versuchte. Sie war äußerst bizarr gewesen. Offenbar war Rahl verzweifelt auf der Suche nach dem Kästchen, so verzweifelt, daß er ihn nicht einmal getötet hatte, als sich ihm die Gelegenheit bot. Den Zauberer, der seinen Vater getötet hatte, nach dem er gesucht hatte — und dann findet er ihn und unternimmt nichts. Aber auch sein anderes Verhalten widersprach jeder Vernunft. Sein Anblick mit Richards Schwert an seiner Seite ließ Zedd frösteln. Warum sollte Darken Rahl, Beherrscher der Magie beider Welten, das Schwert der Wahrheit tragen? Was noch wichtiger war, was hatte er Richard angetan, um das Schwert von ihm zu bekommen? Am beunruhigendsten war sein Verhalten, als er Kahlan mit dem Schwert bedroht hatte. Noch nie in seinem Leben war Zedd sich hilfloser vorgekommen. Der Versuch, ihm mit magischem Schmerz beizukommen, war dumm gewesen. Wer die Gabe besaß und die Schmerzprüfung überlebt hatte, würde auch diese Berührung überstehen. Aber was hätte er tun sollen? Es hatte weh getan, mit ansehen zu müssen, wie Darken Rahl ihr das Schwert der Wahrheit an die Kehle gehalten hatte. Einen Augenblick lang war er sicher gewesen, daß Rahl sie umbringen würde, und schon im nächsten Augenblick, noch bevor Zedd etwas, wenn auch noch so Fruchtloses, hatte tun können, waren Rahl die Tränen in die Augen getreten und er hatte das Schwert weggesteckt. Wieso sollte Rahl sich die Mühe machen, das Schwert zu benutzen, wenn er sie oder einen der beiden töten wollte? Er könnte sie mit einem Fingerschnippen töten. Warum sollte er das Schwert benutzen wollen? Und es dann doch nicht tun?

Schlimmer noch war, daß er die Klinge weiß gefärbt hatte. Als Zedd das gesehen hatte, wäre er am liebsten aus der Haut gefahren. In den Prophezeiungen war die Rede davon, jemand würde das Schwert der Wahrheit weiß färben. Daß es Darken Rahl sein sollte, ließ ihn bis ins Mark erschaudern. An sich war es schon entsetzlich genug, daß Richard es sein sollte, aber Darken Rahl…