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»Und Sie, Señorito Daniel, was meinen Sie?«

»Señor Romero de Torres ist der Fachmann, du kannst dich ganz auf ihn verlassen.«

»Dann nehme ich also das von der Insel, wenn Sie es mir einpacken wollen. Was macht das?«

»Das geht auf Rechnung des Hauses«, sagte ich.

»Oh, nein, auf keinen Fall…«

»Señora, wenn Sie es mir gestatten und mich so zum glücklichsten Manne Barcelonas machen wollen, geht es auf Rechnung von Fermín Romero de Torres.« Die Bernarda schaute uns an.

»Hören Sie, was ich kaufe, zahle ich, und das ist ein Geschenk, das ich meiner Nichte machen will…«

»Dann werden Sie mir erlauben, Sie im Sinne eines Tauschhandels zum Vesperbrot einzuladen«, sagte er und strich sich die Haare glatt.

»Na, klar«, ermunterte ich sie.

»Du wirst sehen, wie gut ihr euch amüsiert. Schau, ich pack dir das ein, während Fermín sein Jackett holt.« Fermín sauste nach hinten, um sich zu kämmen und zu parfümieren und ins Jackett zu schlüpfen. Ich steckte ihm einige Duros aus der Ladenkasse zu, damit er die Bernarda einladen konnte.

»Wo soll ich denn hin mit ihr?« flüsterte er mir zu, nervös wie ein Gymnasiast.

»Ich würde sie ins Els Quatre Gats führen. Ich weiß sehr genau, daß es in Herzensangelegenheiten Glück bringt.« Ich gab der Bernarda das Paket mit dem Buch und blinzelte ihr zu.

»Was bin ich Ihnen also schuldig, Señorito Daniel?«

»Ich weiß es nicht. Ich werd’s dir schon sagen. Es steht kein Preis im Buch, ich muß erst meinen Vater fragen«, log ich.Ich sah die ungleichen Gestalten davongehen und sich in der Calle Santa Ana verlieren und dachte, vielleicht hält ja jemand im Himmel die Augen offen und gewährt diesem Paar ausnahmsweise ein wenig Glück. Ich hängte die Tafel Geschlossen ins Schaufenster und ging einen Moment in den Raum hinter dem Ladenlokal, um das Buch durchzusehen, in das mein Vater die Bestellungen notierte. Da hörte ich die Glocke der sich öffnenden Ladentür. Ich dachte, es sei Fermín, der etwas vergessen hatte, oder vielleicht mein Vater, der schon aus Argentona zurück war.

»Hallo?« Es vergingen einige Sekunden, ohne daß eine Antwort zu vernehmen war. Ich blätterte weiter im Bestellbuch.Im Laden hörte ich langsame Schritte.

»Fermín? Papa?« Keine Antwort. Dann glaubte ich ein ersticktes Lachen zu hören und klappte das Bestellbuch zu. Vielleicht hatte ein Kunde die Tafel Geschlossen nicht bemerkt. Eben wollte ich nach vorn gehen, um ihn zu bedienen, als ich im Laden mehrere Bücher vom Regal fallen hörte. Ich schluckte. Ich packte einen Brieföffner und ging langsam auf die Tür zum Laden zu. Ich getraute mich nicht, noch einmal zu rufen. Gleich darauf hörte ich wieder Schritte, die sich diesmal entfernten. Abermals klingelte die Ladentür, und ich spürte einen Luftzug von der Straße. Ich schaute in den Laden hinein. Niemand. Ich lief zur Ladentür und verriegelte sie. Ich atmete tief durch, fühlte mich lächerlich und feige. Auf dem Weg zurück in den hinteren Raum sah ich auf dem Ladentisch ein Blatt Papier. Beim Nähertreten stellte ich fest, daß es ein Foto war, eine alte Aufnahme, wie sie früher gern auf dicken Karton gedruckt worden waren. Die Ränder waren verbrannt, und das rauchgeschwärzte Bild schien Spuren von aschebeschmutzten Fingern aufzuweisen. Ich studierte es unter einer Lampe. Auf dem Foto war ein sehr junges Paar zu sehen, das in die Kamera lächelte. Er sah nicht älter aus als siebzehn oder achtzehn, hatte helles Haar und feine Züge. Sie mochte etwas jünger sein, höchstens ein oder zwei Jahre, und hatte ein blasses, ziseliertes, von schwarzem Kurzhaar eingefaßtes Gesicht. Er hatte den Arm um ihre Taille gelegt, und sie schien ihm spöttisch etwas zuzuraunen. Das Bild strahlte eine Wärme aus, die mir ein Lächeln entlockte, als hätte ich in diesen beiden Unbekannten alte Freunde erkannt. Hinter ihnen war das Schaufenster eines Ladens zu erkennen, vollgestopft mit aus der Mode gekommenen Hüten. Ich konzentrierte mich auf das Paar. Nach den Kleidern zu schließen, mußte das Bild mindestens fünfundzwanzig oder dreißig Jahre alt sein. Es war ein Bild von Licht und Hoffnung. Die Flammen hatten fast den gesamten Rand des Fotos verzehrt, aber hinter dem uralten Ladentisch war noch ein ernstes Gesicht zu erahnen, ein geisterhafter Umriß hinter den Lettern auf dem Glas.

Antonio Fortuny Söhne Gegr. 1888

In der Nacht, in der ich wieder zum Friedhof der Vergessenen Bücher gegangen war, hatte Isaac mir erzählt, daß Carax den Namen seiner Mutter gebraucht hatte, nicht den des Vaters, Fortuny. Carax’ Vater hatte einen Hutladen in der Ronda de San Antonio. Wieder schaute ich das Bild des Paares an und gelangte zur Überzeugung, daß dieser junge Mann Julián Carax war, der mir aus der Vergangenheit zulächelte, unfähig, die Flammen zu sehen, die über ihm zusammenschlugen.

Stadt der Schatten

1954

1

Am nächsten Morgen kam Fermín auf Cupidoflügeln zur Arbeit, lächelnd und einen Bolero pfeifend. Unter andern Umständen hätte ich ihn über seinen Nachmittagskaffee mit der Bernarda ausgefragt, doch an diesem Tag war ich nicht zu Lyrismen aufgelegt. Mein Vater hatte versprochen, Professor Javier Velázquez vormittags um elf in der Philosophischen Fakultät auf der Plaza Universidad eine Bestellung abzuliefern. Fermín bekam bei der bloßen Erwähnung des Akademikers einen Ausschlag, und unter diesem Vorwand erbot ich mich, die Bücher hinzubringen.

»Dieser Kerl ist ein Pedant, ein Lustmolch und ein faschistischer Arschkriecher«, verkündete er mit erhobener Faust, wie immer, wenn ihn Gerechtigkeitsdurst überkam.

»Mit dem Schmus vom Lehrstuhl und vom Abschlußexamen würde der sogar die Pasionaria aufs Kreuz legen, wenn sich die Gelegenheit ergäbe.«

»Übertreiben Sie mal nicht, Fermín. Velázquez zahlt sehr gut und immer im voraus, und er empfiehlt uns überall«, rief ihm mein Vater in Erinnerung.

»Dieses Geld ist mit dem Blut unschuldiger Jungfrauen befleckt«, protestierte Fermín.

»So wahr Gott lebt, ich bin nie mit einer Minderjährigen ins Bett gegangen, und nicht mangels Lust oder Gelegenheit. Augenblicklich sehen Sie mich nicht in Hochform, doch es hat eine Zeit gegeben, wo ich ordentlich was vorgestellt habe, aber trotzdem, man weiß ja nie, wenn ich bei einer das Gefühl hatte, sie war ein Luderchen, hab ich den Ausweis von ihr verlangt oder aber eine schriftliche Erlaubnis des Vaters, um nicht gegen die Ethik zu verstoßen.« Mein Vater verdrehte die Augen.

»Mit Ihnen kann man nicht diskutieren, Fermín.«

»Wenn ich recht habe, habe ich eben recht.« Ich nahm das Paket, das ich am Vorabend selbst vorbereitet hatte — zwei Bände Rilke und einen Ortega zugeschriebenen apokryphen Essay über Tapas und die Tiefgründigkeit des Nationalgefühls —, und überließ Fermín und meinen Vater ihrer Debatte über Sitten und Gebräuche.

Es war ein prächtiger Tag mit einem tiefblauen Himmel und einer klaren, frischen Brise, die nach Herbst und Meer roch. Mein Lieblingsbarcelona war schon immer das im Oktober gewesen, wenn seine Seele spazierengeht und man bereits weiser wird, wenn man nur vom CanaletasBrunnen trinkt, dessen Wasser in diesen Tagen wie durch ein Wunder nicht einmal nach Chlor schmeckt. Ich ging leichten Schrittes dahin, wich Schuhputzern, Bürohengsten, die von ihrem Vormittagsespresso zurückkamen, Losverkäufern und einem Ballett von Straßenkehrern aus, welche die Stadt gemächlich und wie mit dem Pinsel zu polieren schienen. Schon damals begann sich Barcelona mit Autos zu füllen, und bei der Ampel in der Calle Balmes sah ich auf beiden Bürgersteigen Gruppen von Büroangestellten im grauen Mantel und mit hungrigem Blick stehen und mit den Augen einen Studebaker verschlingen, als wäre es eine Schlagersängerin im Negligé. Als ich durch die Balmes zur Gran Vía hinaufging, begegneten mir Ampeln, Straßenbahnen, Autos und sogar Motorräder mit Beiwagen. In einem Schaufenster erblickte ich eine Annonce des Hauses Philips, die ein neues Zeitalter verhieß, das Fernsehen, das unser Leben verändern und uns alle zu Wesen der Zukunft machen sollte wie die Amerikaner. Fermín Romero de Torres, jederzeit über sämtliche Erfindungen auf dem laufenden, hatte bereits prophezeit, was geschehen würde.