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»Das Fernsehen, mein lieber Daniel, ist der Antichrist, und ich sage Ihnen, es werden drei oder vier Generationen genügen, bis die Leute nicht einmal mehr selbständig furzen können und der Mensch in die Höhle, in die mittelalterliche Barbarei und in einen Schwachsinn zurückfällt, den schon die Nacktschnecke im Pleistozän überwunden hat. Diese Welt wird nicht von der Atombombe zerstört werden, wie uns die Zeitungen weismachen wollen, sondern sie wird sich totlachen, wird an Banalität zugrunde gehen, weil sie aus allem einen Witz macht, einen schlechten noch dazu.«

Professor Velázquez hatte sein Zimmer im zweiten Stock der Philosophischen Fakultät, zuhinterst in einem Flur mit Schachbrettfliesen, der zum südlichen Kreuzgang hinausführte. Ich fand ihn in der Tür zu einem Vorlesungsraum, wo er vorgab, einer Studentin mit spektakulärer Figur zuzuhören, die ein granatrotes, hautenges Kostüm trug und hellenische, in feinen Seidenstrümpfen glänzende Waden sehen ließ. Professor Velázquez stand im Ruf eines Don Juan, und es gab Stimmen, die sagten, die éducation sentimentale jeder jungen Dame aus gutem Haus sei unvollständig ohne eines der sprichwörtlichen Wochenenden in einem kleinen Hotel an der Strandpromenade von Sitges, wo im Tête-à-tête mit dem distinguierten Hochschullehrer französische Liebeslyrik rezitiert wurde. Bis sie ihr Gespräch beendet hatten, unterhielt ich mich damit, von der Studentin eine Röntgenaufnahme zu machen. Vielleicht war es der gemächliche Spaziergang gewesen, der meine Stimmung gehoben hatte, vielleicht waren es meine achtzehn Jahre und der Umstand, daß ich mehr Zeit mit den in alten Schmökern festgehaltenen Musen verbrachte als in Gesellschaft von Mädchen aus Fleisch und Blut, jedenfalls wurde mir in diesem Augenblick, als ich all die Kurven in der Anatomie der Studentin studierte, die ich nur von hinten sehen konnte, mir aber dreidimensional vorstellte, der Mund wäßrig.

»Nanu, das ist ja Daniel«, rief Professor Velázquez.

»Zum Glück kommst du und nicht diese Vogelscheuche vom letzten Mal, der mit dem Stierkämpfernamen, der sah ja aus, als wär er betrunken oder müßte gleich eingesperrt und der Schlüssel weggeworfen werden. Stell dir vor, kommt der doch auf die Idee, mich nach der Etymologie des Wortes Schwengel zu fragen, mit einem hämischen Unterton, der ganz unangebracht war.«

»Der Arzt hat ihm eben starke Medikamente verschrieben. Etwas mit der Leber.«

»Weil er den ganzen Tag besoffen ist«, sagte der Professor.

»An eurer Stelle würde ich die Polizei benachrichtigen. Der ist mit Bestimmtheit aktenkundig. Und wie seine Füße stinken, mein Gott — da läuft so mancher Scheißrote rum, der sich seit dem Fall der Republik nicht mehr gewaschen hat.« Ich wollte eben eine dezente Ausrede vorbringen, um Fermín zu entschuldigen, da drehte sich die Studentin, die mit Professor Velázquez geplaudert hatte, um. Ich sah, wie sie mir zulächelte, und meine Ohren begannen zu glühen.

»Hallo, Daniel«, sagte Beatriz Aguilar.Ich grüßte sie mit stummem Nicken.

»Ach, ihr kennt euch schon?« fragte Velázquez neugierig.

»Daniel ist ein alter Freund der Familie«, erklärte Bea.

»Und der einzige, der den Mut gehabt hat, mir einmal zu sagen, daß ich affektiert und eingebildet bin.« Verdutzt schaute mich Velázquez an.

»Das ist zehn Jahre her«, präzisierte ich.

»Und ich habe es nicht ernst gemeint.«

»Ich warte aber immer noch darauf, daß er mich um Verzeihung bittet.« Velázquez lachte herzlich und nahm mir das Paket ab.

»Ich habe das Gefühl, ich bin überflüssig hier«, sagte er, während er es aufschnürte.

»Oh, wunderbar. Hör mal, Daniel, sag deinem Vater, daß ich ein Buch mit dem Titel Jugendbriefe aus Ceuta von Francisco Franco Bahamonde suche.«

»Schon erledigt. In zwei Wochen hören Sie von uns.«

»Ich nehme dich beim Wort, und jetzt verzieh ich mich schleunigst, zweiunddreißig leere Köpfe warten auf mich.« Professor Velázquez zwinkerte mir zu, verschwand im Vorlesungsraum und ließ mich mit Bea allein. Ich wußte nicht, wohin mit den Augen.

»Hör zu, Bea, das mit dem blöden Witz, ehrlich, ich…«

»Ich hab dich auf den Arm genommen, Daniel. Ich weiß doch, daß wir damals noch Kinder waren, und Tomás hat dich schon genug verprügelt.«

»Es tut jetzt noch weh.« Bea lächelte mich an, als hätten wir Frieden oder zumindest Waffenruhe.

»Außerdem hattest du ja recht, ich bin etwas affektiert und manchmal ein wenig eingebildet. Ich bin dir nicht sehr sympathisch, was, Daniel?« Die Frage überrumpelte mich, ich war entwaffnet und erschreckt, wie leicht sich die Antipathie für jemanden, den man als Feind betrachtet, verliert, sobald er sich nicht mehr als solcher benimmt.

»Nein, das stimmt nicht.«

»Tomás sagt, eigentlich bin ich dir nicht unsympathisch, aber du kannst meinen Vater nicht ausstehen und läßt mich dafür büßen, weil du dich nicht an ihn rantraust. Ich gebe dir keine Schuld. An meinen Vater traut sich keiner ran.« Ich wurde bleich, aber nach wenigen Sekunden lächelte ich und nickte.

»Offenbar kennt mich Tomás besser als ich selbst.«

»Das darf dich nicht wundern. Mein Bruder weiß sehr genau, wie wir alle sind, er sagt nur nie was. Aber wenn er eines Tages auf den Gedanken kommt, den Mund aufzutun, werden die Wände einstürzen. Er schätzt dich sehr, weißt du.« Ich zuckte die Achseln und schaute zu Boden.

»Er spricht immer von dir und von deinem Vater und der Buchhandlung und dem Freund da, der für euch arbeitet und von dem Tomás sagt, er ist ein Genie, das man erst noch entdecken muß. Manchmal hat man das Gefühl, er hält euch eher für seine richtige Familie als die, die er zu Hause hat.« Ich begegnete ihrem starken, offenen, furchtlosen Blick. Ich wußte nicht, was erwidern, und lächelte nur. Ich spürte, daß mir bei ihrer Aufrichtigkeit angst und bange wurde, und schaute in den Innenhof hinunter.

»Ich hab nicht gewußt, daß du hier studierst.«

»Das ist mein erstes Jahr.«

»Literatur?«

»Mein Vater ist der Meinung, die exakten Wissenschaften sind nichts fürs schwache Geschlecht.«

»Hm. Viele Zahlen.«

»Es ist mir egal — was mir Spaß macht, ist die Lektüre, und zudem lernt man hier interessante Leute kennen.«

»Wie Professor Velázquez?« Bea lächelte mit geschlossenen Lippen.

»Ich mag ja im ersten Jahr sein, aber ich weiß genug, um den Braten zu riechen, Daniel. Besonders bei Leuten seines Schlages.« Ich fragte mich, welchem Schlag sie wohl mich zuordnete.

»Außerdem ist Professor Velázquez ein Freund meines Vaters. Sie sitzen beide im Vorstand des Verbandes zum Schutz und zur Förderung der Zarzuela und der spanischen Lyrik.« Ich setzte ein höchst beeindrucktes Gesicht auf.

»Und wie geht’s deinem Freund, dem Leutnant Cascos Buendía?« Ihr Lächeln verschwand.

»Pablo kommt in drei Wochen auf Urlaub.«

»Da wirst du dich aber freuen.«

»Sehr. Er ist ein Prachtjunge, aber ich kann mir ungefähr ausmalen, was du von ihm hältst.« Das bezweifle ich, dachte ich. Sie schaute mich ein wenig angespannt an. Eigentlich wollte ich das Thema wechseln, aber meine Zunge war schneller.

»Tomás sagt, ihr werdet heiraten und nach El Ferrol ziehen.« Sie nickte.

»Sobald er mit dem Militärdienst fertig ist.«

»Du bist bestimmt ungeduldig.« Ich spürte den Schweinehund in meiner Stimme, einer unverschämten Stimme, von der ich nicht wußte, woher sie kam.

»Es ist mir egal, ehrlich gesagt. Seine Familie hat Besitz dort, zwei Werften, und Pablo wird eine davon übernehmen. Er ist sehr talentiert für Führungsaufgaben.«