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»Kennst du den Verlag?«

»Er hat schon vor Jahren geschlossen. Aber die Originalausgabe ist nicht die da, sondern eine andere vom November desselben Jahres, allerdings in Paris gedruckt. Der Verlag ist Galliano & Neuval. Sagt mir nichts.«

»Das Buch ist also eine Übersetzung?« fragte ich verwirrt.

»Das steht nicht da. Soweit man hier sieht, handelt es sich um den Originaltext.«

»Ein Buch auf spanisch, das zuerst in Frankreich verlegt wurde?«

»Das dürfte damals nicht das erste Mal gewesen sein. Vielleicht kann uns Barceló weiterhelfen…«

Gustavo Barceló war ein alter Kollege meines Vaters, Inhaber einer höhlenartigen Buchhandlung in der Calle Fernando, welcher die Antiquarenzunft anführte. Er hing tagaus, tagein an einer erloschenen Pfeife, die nach persischem Markt dunstete, und bezeichnete sich selbst als letzten Romantiker. Er behauptete, in seiner Familie gebe es eine entfernte Verwandtschaft mit Lord Byron, obwohl er selbst aus dem Flecken Caldas de Montbuy stammte. Vielleicht um diese Verbindung deutlich zu machen, kleidete er sich wie ein Dandy aus dem 19. Jahrhundert, mit Foulard, weißen Gamaschen und einem Monokel aus Fensterglas, das er, wie böse Zungen sagten, nicht einmal in der Intimität des Klos abnahm. In Wirklichkeit war die bedeutsamste Verwandtschaft, deren er sich erfreute, die mit seinem Vater, einem Industriellen, der sich Ende des 19. Jahrhunderts auf mehr oder weniger schmutzige Art bereichert hatte. Wie mir mein Vater erklärte, war Gustavo Barceló tatsächlich betucht, und seine Buchhandlung war weit eher eine Leidenschaft als ein Geschäft. Er liebte die Bücher vorbehaltlos, und wenn jemand seine Buchhandlung betrat und sich in einen Band vernarrte, den er sich nicht leisten konnte, setzte er, obwohl er das rundweg bestritt, den Preis soweit als nötig herunter oder verschenkte das Buch gar, wenn er den Käufer als echten Büchernarren und nicht als Sonntagsleser einschätzte. Abgesehen von solchen Eigentümlichkeiten verfügte Barceló über ein Elefantengedächtnis und konnte belehrend auftreten, daß einem die Ohren gellten, aber wenn jemand über merkwürdige Bücher Bescheid wußte, dann er. Nachdem mein Vater an diesem Abend die Buchhandlung geschlossen hatte, schlug er vor, ins Café Els Cuatre Gats in der Calle Montsió zu gehen, wo Barceló und seine Kollegen einen bibliophilen Stammtisch über poètes maudits, tote Sprachen und den Motten zum Opfer gefallene Meisterwerke unterhielten.

Els Cuatre Gats lag einen Steinwurf von zu Hause entfernt, und diese vier Katzen hatten es mir angetan. Dort hatten sich im Jahr 1932 meine Eltern kennengelernt, und meine Eintrittskarte fürs Leben schrieb ich zum Teil dem Charme dieses alten Cafés zu. Steinerne Drachen bewachten die tief verschattete Fassade, und die Gaslaternen an der Ecke froren Zeit und Erinnerungen ein. Im Innern verschmolzen die Menschen mit den Echos aus andern Zeiten. Buchhalter, Träumer und Geisteslehrlinge teilten den Tisch mit den Schimären von Pablo Picasso, Isaac Albéniz, Federico García Lorca oder Salvador Dalí. Zum Preis eines kleinen Kaffees konnte sich hier jeder Habenichts für ein Weilchen als historische Figur fühlen.

»Mensch, Sempere«, rief Barceló, als er meinen Vater hereinkommen sah, »der verlorene Sohn. Was verschafft uns die Ehre?«

»Die Ehre verschafft Ihnen mein Sohn Daniel, Don Gustavo, der soeben eine Entdeckung gemacht hat.«

»Dann setzen Sie sich zu uns, diese Kasualie will gefeiert sein«, rief Barceló.

»Kasuarlilie?« flüsterte ich meinem Vater zu.

»Barceló redet nur in Fremdwörtern«, antwortete mein Vater halblaut.

»Und du sag nichts, er plustert sich gern auf.«

Die Stammtischgäste machten uns Platz in ihrem Kreis, und Barceló, der sich gern freigebig zeigte, bestand darauf, uns einzuladen.

»Wie alt ist denn der Grünschnabel?« fragte er und musterte mich von der Seite.

»Fast elf«, erklärte ich.Barceló lächelte mir verschmitzt zu.

»Also zehn. Mach dich nicht älter, du Halunke, das wird das Leben schon noch übernehmen.« Mehrere der Stammtischgäste murmelten zustimmend. Barceló winkte einen Kellner herbei, der aussah, als würde er demnächst unter Denkmalschutz gestellt.

»Einen Kognak für meinen Freund Sempere, und zwar vom guten, und für den Sprößling da eine Merenguemilch, er muß noch wachsen. Ach ja, und bringen Sie noch ein paar Schinkenwürfelchen, aber nicht wie die vorher, ja? Für Gummi ist die Firma Pirelli zuständig.« Der Kellner nickte und schlurfte, seine Seele im Schlepptau, davon.

»Ich sag’s ja immer«, bemerkte Barceló.

»Wie soll es da Arbeit geben? In diesem Land wird man nicht einmal pensioniert, wenn man gestorben ist. Schauen Sie sich doch den Cid an. Da ist nichts zu wollen.« Er nuckelte an seiner erloschenen Pfeife, während sein scharfer Blick interessiert nach dem Buch spähte, das ich in den Händen hielt. Hinter seiner Komödiantenfassade und dem ganzen Wortschwall roch er eine gute Beute wie ein Wolf das Blut.

»Na«, sagte er mit gespieltem Desinteresse, »was bringen Sie beide mir also mit?«

Ich schaute meinen Vater an. Der nickte. Wortlos reichte ich Barceló das Buch. Er ergriff es mit kundiger Hand. Seine Pianistenfinger überprüften rasch Textur, Konsistenz und Zustand. Mit listigem Lächeln schlug er die Seite der Verlagsangaben auf und inspizierte sie eine Minute lang wie ein Kriminalbeamter. Die andern schauten ihm schweigend zu, als warteten sie auf eine Offenbarung oder die Erlaubnis, wieder zu atmen.

»Carax. Interessant«, murmelte er in undurchdringlichem Ton.Ich streckte die Hand ein zweites Mal aus, um das Buch wiederzubekommen. Barceló zog die Brauen hoch, gab es mir aber mit eisigem Lächeln zurück.

»Wo hast du es gefunden, mein Junge?«

»Das ist ein Geheimnis«, antwortete ich und wußte, daß mein Vater bei sich lächelte.Barceló runzelte die Stirn und schaute meinen Vater an.

»Mein lieber Sempere, weil Sie es sind und wegen der Hochachtung, die ich Ihnen entgegenbringe, und um der langen, tiefen Freundschaft willen, die uns eint wie Brüder — sagen wir vierzig Duros, und damit basta.«

»Das werden Sie mit meinem Sohn diskutieren müssen«, sagte mein Vater.

»Das Buch gehört ihm.« Barceló schenkte mir ein wölfisches Lächeln.

»Was meinst du, Jungchen? Vierzig Duros, zweihundert Peseten, das ist nicht schlecht für einen ersten Verkauf… Sempere, der Junge da wird Karriere machen in diesem Geschäft.«

Eifrig beklatschten die Stammtischgäste den Satz. Barceló schaute mich zufrieden an und zog seine lederne Brieftasche. Er zählte die vierzig Duros ab, damals ein ordentliches Vermögen, und streckte sie mir hin. Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Barceló machte ein böses Gesicht.

»Habsucht ist eine hoffnungslose Todsünde, ja? Also, sechzig Duros, und damit legst du ein Sparbuch an — in deinem Alter muß man an die Zukunft denken.«

Ich schüttelte erneut den Kopf. Durch sein Monokel warf Barceló meinem Vater einen zornigen Blick zu.

»Mich brauchen Sie nicht anzuschauen«, sagte mein Vater.

»Ich bin nur als Begleiter hier.«

Barceló seufzte und betrachtete mich aufmerksam.

»Na, mein Kleiner, was willst du denn nun?«

»Ich will wissen, wer Julián Carax ist und wo ich weitere Bücher finden kann, die er geschrieben hat.« Barceló lachte leise und steckte seine Brieftasche wieder ein; er sah seinen Gegner nun mit andern Augen an.

»Nanu, ein Intellektueller. Sempere, womit füttern Sie denn dieses Kind?«

Er neigte sich in vertraulichem Ton zu mir herüber, und einen Moment glaubte ich in seinem Blick einen gewissen Respekt zu erhaschen, der vor Augenblicken noch nicht dagewesen war.

»Wir werden einen Handel schließen«, sagte er zu mir.

»Morgen ist Sonntag, da kommst du am Nachmittag in die Athenäumsbibliothek und fragst nach mir. Du bringst das Buch mit, damit ich es genau untersuchen kann, und ich erzähle dir, was ich über Julián Carax weiß. Quidproquo.«