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Mit zwölf Jahren erlosch Juliáns fieberhaftes Interesse an der Malerei und an Velázquez allmählich, aber die erneut aufflackernden Hoffnungen des Hutmachers hielten nicht lange an. Julián gab die Träume vom Prado zugunsten eines sehr viel verderblicheren Lasters auf. Er hatte die Leihbibliothek in der Calle del Carmen entdeckt und suchte in jeder Rast, die ihm der Vater im Hutladen gewährte, das Heiligtum der Bücher auf, um bändeweise Romane, Poesie und Geschichte zu verschlingen. Einen Tag vor seinem dreizehnten Geburtstag verkündete er, er wolle eine Person namens Robert Louis Stevenson sein, ganz offensichtlich ein Ausländer. Der Hutmacher sagte, er werde es mit Mühe und Not zum Steinklopfer bringen. Nun hatte er die endgültige Gewißheit, daß sein Sohn nichts weiter war als ein Narr.

Oft wälzte sich Antoni Fortuny vor Wut und Frustration im Bett hin und her und fand keinen Schlaf. Im Grunde seines Herzens liebte er diesen Jungen, sagte er sich. Und er liebte, auch wenn sie es nicht verdiente, ebenfalls die Nutte, die ihn vom ersten Tag an betrogen hatte. Er liebte beide von ganzer Seele, aber auf seine Weise, und die war die richtige. Er bat Gott nur darum, ihm den Weg zu zeigen, wie sie alle drei glücklich sein könnten, nach Möglichkeit ebenfalls auf seine Weise. Er flehte den Herrn an, ihm ein Zeichen zu senden, ein Flüstern, ein klein wenig von seiner Gegenwart. Gott, in seiner unendlichen Weisheit und vielleicht überhäuft vom Ansturm von Bitten so vieler gequälter Seelen, gab keine Antwort. Während Antoni Fortuny in Gewissensbissen und Kümmernis zerfloß, erlosch Sophie langsam auf der andern Seite der Wand und sah ihr Leben in einem Strudel von Betrug, Verlassenheit und Schuld Schiffbruch erleiden. Sie liebte den Mann nicht, dem sie diente, aber sie fühlte sich ihm zugehörig, und die Möglichkeit, ihn zu verlassen und mit ihrem Sohn anderswohin zu gehen, schien ihr undenkbar. Bitter erinnerte sie sich an Juliáns richtigen Vater, und mit der Zeit lernte sie ihn hassen und alles verachten, was er vorstellte, doch war es genau das, wonach sie sich im Grunde sehnte. Da es an Gesprächen fehlte, begann sich das Ehepaar anzuschreien. Beschimpfungen und scharfe Vorwürfe flogen wie Messer durch die Wohnung und durchlöcherten jeden, der sich in den Weg zu stellen wagte, üblicherweise Julián. Später erinnerte sich der Hutmacher nie genau, warum er seine Frau geschlagen hatte, sondern nur an das Aufbranden und die Scham danach. Dann schwor er sich, das würde nie wieder vorkommen und wenn nötig würde er sich den Behörden stellen, damit man ihn in die Strafanstalt verbanne.

Mit Gottes Hilfe wiegte sich Antoni Fortuny in der Gewißheit, daß er ein besserer Mann werden könne, als es sein Vater gewesen war. Doch über kurz oder lang landeten seine Fäuste wiederum in Sophies zartem Fleisch, und mit der Zeit spürte er, daß er, wenn er sie nicht als Ehemann besitzen konnte, es als Henker tun würde. So ließ die Familie Fortuny die Jahre verstreichen, brachte ihre Herzen und Seelen zum Verstummen, bis sie alle vor lauter Schweigen die Worte vergessen hatten, um ihre wirklichen Gefühle auszudrücken, und einander zu Fremden wurden, die unter ein und demselben Dach zusammenlebten.

Ich war erst nach halb drei wieder in der Buchhandlung. Als ich eintrat, warf mir Fermín vom oberen Ende einer Leiter einen sarkastischen Blick zu, wo er den Nationalen Episoden unseres berühmten Benito Pérez Galdós Glanz verlieh.

»Wie freue ich mich, Sie zu sehen. Wir dachten schon, Sie seien nach Amerika gefahren, um dort Ihr Glück zu machen, Daniel.«

»Ich bin unterwegs aufgehalten worden. Wo ist mein Vater?«

»Da Sie nicht gekommen sind, hat er sich aufgemacht, um die restlichen Bestellungen abzuliefern. Ich soll Ihnen sagen, daß er diesen Nachmittag nach Tiana geht, um die Privatbibliothek einer Witwe zu schätzen. Ihr Vater gehört zu denen, die die Dinge erledigen, ohne große Worte zu machen. Sie sollen nicht auf ihn warten, um zu schließen.«

»War er böse auf mich?« Fermín schüttelte den Kopf, während er katzenflink die Leiter herunterglitt.

»Keine Spur. Ihr Vater ist ein Heiliger. Zudem hat er sich sehr gefreut, als er sah, daß Sie sich eine Freundin zugelegt haben.«

»Was?« Fermín blinzelte und leckte sich die Lippen.

»Oh, Sie Spitzbube, und das haben Sie einfach für sich behalten. Was für ein Mädchen — um den Verkehr zum Erliegen zu bringen. Und so was von elegant. Man sieht, daß sie gute Schulen besucht hat, aber da ist auch eine gewisse Einladung in ihrem Blick… Ich sage Ihnen, wenn ich mein Herz nicht an die Bernarda verloren hätte — ich hab Ihnen ja noch nicht einmal erzählt, wie das neulich war mit dem Nachmittagskaffee… Da haben die Funken gesprüht, sag ich Ihnen, die Funken, als wär’s das Feuerwerk zum Sonnenwendfest…«

»Fermín«, unterbrach ich ihn, »wovon zum Teufel reden Sie?«

»Von Ihrer Freundin.«

»Ich habe keine Freundin.«

»Na ja, ihr jungen Leute nennt das ja jetzt anders, Bekannte oder so…«

»Fermín, von vorne, bitte. Wovon reden Sie?« Fermín Romero de Torres schaute mich verwirrt an.

»Nun — heute mittag, vor einer Stunde oder anderthalb, ist eine klasse Señorita in den Laden gekommen und hat nach Ihnen gefragt. Ihr Vater und meine Wenigkeit waren lebendigen Leibes anwesend, und ich kann Ihnen zweifelsfrei versichern, daß das Mädchen keineswegs wie ein Gespenst aussah. Ich könnte Ihnen sogar Ihren Geruch beschreiben. Nach Lavendel, aber süßer. Wie ein frisch gebackenes Milchbrötchen.«

»Hat das Milchbrötchen etwa gesagt, es sei meine Freundin?«

»Nicht mit genau diesen Worten, aber sie hat so beiläufig gelächelt, Sie wissen schon, und gesagt, sie erwartet Sie am Freitagnachmittag. Wir haben bloß zwei und zwei zusammengezählt.«

»Bea«, murmelte ich.

»Ergo gibt es sie doch«, bemerkte Fermín erleichtert.

»Ja, aber sie ist nicht meine Freundin.«

»Dann weiß ich nicht, worauf Sie noch warten.«

»Sie ist die Schwester von Tomás Aguilar.«

»Von Ihrem Freund, dem Erfinder?« Ich nickte.

»Um so mehr. Nicht gerade die Schwester von Cary Grant, wissen Sie — aber sie sieht fantastisch aus. Ich an Ihrer Stelle würde mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen.«

»Bea hat schon einen Freund. Einen Leutnant, der dient.«

Fermín seufzte irritiert.

»Oh, die Armee, Gebrechen und Bollwerk der Affenzunft. Desto besser, so können Sie ihm ohne Gewissensbisse Hörner aufsetzen.«

»Sie spinnen, Fermín. Bea wird ihn heiraten, sobald er den Militärdienst zu Ende gebracht hat.« Er lächelte mir verschmitzt zu.

»Tja, ich habe so ein merkwürdiges Gefühl, daß dem nicht so ist, die heiratet nicht.«

»Was wollen denn Sie wissen.«

»Von Frauen und andern weltlichen Beschäftigungen wesentlich mehr als Sie. Wie uns Freud lehrt, begehrt die Frau das Gegenteil dessen, was sie denkt oder erklärt, was genau besehen gar nicht so schrecklich ist, denn der Mann gehorcht, wie uns Perogrullo lehrt, im Gegensatz dazu dem Diktat seines Genital- oder Verdauungsapparats.«

»Halten Sie mir keinen Vortrag, Fermín, ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen. Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann resümieren Sie.«