»Sehr gut. Wir werden Fermín darauf hetzen und es uns von Velázquez vergolden lassen.« Wir arbeiteten weiter, als wäre es reine Routine. Mein Vater schaute mich noch immer an. Gleich kommt’s, dachte ich.
»Gestern ist ein sehr sympathisches junges Mädchen hiergewesen. Fermín sagt, es ist die Schwester von Tomás Aguilar?«
»Ja.« Mein Vater wog den Zufall mit einem Na-da-schau-herGesicht ab und gab mir eine Minute Waffenruhe, bevor er wieder zum Angriff überging, diesmal so, als wäre ihm plötzlich etwas in den Sinn gekommen.
»Übrigens, Danieclass="underline" Heute wird hier nicht viel los sein, und ich denke, vielleicht möchtest du dir den Tag frei nehmen. Außerdem habe ich in letzter Zeit das Gefühl, du arbeitest zuviel.«
»Es geht mir gut, danke.«
»Schau, ich hab sogar daran gedacht, Fermín hierzulassen und mit Barceló ins Liceo zu gehen. Heute nachmittag wird Tannhäuser gegeben, und er hat mich eingeladen — er hat mehrere Parkettplätze.« Mein Vater tat so, als wäre er in seinen Katalog vertieft. Er war ein miserabler Schauspieler.
»Seit wann magst du denn Wagner?« Er zuckte die Schultern.
»Einem geschenkten Gaul… Außerdem ist es mit Barceló egal, was für eine Oper gegeben wird, er kommentiert während der ganzen Vorstellung das Spiel und kritisiert die Kostüme und das Tempo. Er erkundigt sich oft nach dir. Vielleicht besuchst du ihn mal in seinem Laden.«
»Irgendwann in den nächsten Tagen.«
»Also, wenn du einverstanden bist, überlassen wir das Ruder heute Fermín und amüsieren uns ein wenig, es ist fällig. Und wenn du etwas Geld brauchst…«
»Papa, Bea ist nicht meine Freundin.«
»Wer spricht denn da von Freundinnen? Wie gesagt, ganz wie du willst. Wenn du was brauchst, nimm’s dir aus der Kasse, aber hinterlass eine Notiz, damit Fermín keinen Schrecken kriegt, wenn er Kasse macht.« Danach spielte er den Zerstreuten und verlor sich mit einem breiten Lächeln im Hinterzimmer. Ich schaute auf die Uhr. Halb elf Uhr vormittags. Um fünf war ich mit Bea im Kreuzgang der Uni verabredet, und sehr zu meinem Leidwesen zeichnete sich ab, daß mir der Tag endlos lang würde.Kurze Zeit später kam Fermín von der Wohnung des Uhrmachers zurück und teilte uns mit, ein Kommando von Nachbarinnen habe eine Dauerwache aufgestellt und pflege den armen Don Federico, bei dem der Arzt drei gebrochene Rippen, mehrfache Prellungen und einen Rektalriß wie aus dem Lehrbuch diagnostiziert habe.
»Hatten Sie irgendwelche Auslagen?« fragte mein Vater.
»Ich habe mir erlaubt, ihm ein paar Blumen, ein NenucoKölnisch-Wasser und drei Fläschchen Pfirsich-Fruco zu bringen, das schmeckt ihm am besten.«
»Gut. Und er selbst, wie geht es ihm?«
»Beschissen, wozu es leugnen. Allein wenn ich ihn so sehe, wie er im Bett zusammengeknäuelt daliegt und wimmert, er will sterben, überfällt mich die Lust zu morden, das glauben Sie gar nicht. Am liebsten würde ich mich auf der Stelle bis an die Zähne bewaffnet bei der Kripo aufbauen und ein halbes Dutzend dieser Arschlöcher mit dem Stutzen umlegen, angefangen bei dieser Eiterpustel von Fumero.«
»Immer mit der Ruhe, Fermín. Ich verbiete Ihnen strikt, irgend etwas zu unternehmen.«
»Zu Befehl, Señor Sempere.«
»Und die Pepita, wie hat sie es aufgenommen?«
»Mit beispielhafter Geistesgegenwart. Die Nachbarinnen haben sie mit der Brandyflasche behandelt, und als ich sie zu sehen bekam, war sie schon ganz wehrlos und benommen aufs Sofa gekippt, wo sie geschnarcht hat wie ein Eber und Fürze von sich gegeben, daß die Lampe wackelt.«
»Wie sie leibt und lebt. Fermín, ich möchte Sie bitten, heute im Laden zu bleiben, ich werde eine Weile zu Don Federico gehen. Danach bin ich mit Barceló verabredet. Und Daniel hat auch einiges zu erledigen.« Ich schaute eben rechtzeitig auf, um Fermín und meinen Vater dabei zu ertappen, wie sie einen einvernehmlichen Blick wechselten.
»Ihr seid mir zwei schöne Kuppler«, sagte ich.Sie lachten immer noch über mich, als ich stinksauer zur Tür hinausging.
Durch die Straßen fegte eine kalte, schneidende Brise; eine stahlgraue Sonne beschien den Horizont der Dächer und Glockentürme im Gotischen Viertel. Es dauerte noch mehrere Stunden bis zu meinem Rendezvous mit Bea im Kreuzgang der Universität, und so beschloß ich, bei Nuria Monfort mein Glück zu versuchen, im Vertrauen darauf, daß sie noch unter der Adresse wohnte, die mir ihr Vater vor langer Zeit gegeben hatte.
Die hinter den alten römischen Stadtmauern versteckte Plaza de San Felipe Neri ist nur gerade ein Luftloch im Labyrinth der Sträßchen des Gotischen Viertels. Die Mauern der Kirche sind übersät mit Einschußlöchern des Maschinengewehrfeuers aus den Tagen des Krieges. An diesem Morgen spielte eine Gruppe kleiner Jungen Soldaten. Eine junge Frau, deren Haar von silbernen Strähnen durchzogen war, saß mit einem halb aufgeschlagenen Buch in den Händen auf einer Bank und ließ den Blick zwischen den Knaben hindurch ins Unbestimmte schweifen. Gemäß meinen Angaben wohnte Nuria Monfort in einem Hauseingangs des Platzes. Auf dem geschwärzten Steinbogen über dem Eingang konnte man noch das Baujahr lesen: 1801. Im dunklen Hausflur war eine Treppe zu erkennen, die spiralförmig hinanstieg. Ich betrachtete die wabenartigen Blechbriefkästen, deren Inhaber auf verblichenen Kartontäfelchen zu lesen waren.
Miquel Moliner / Nuria Monfort 3° 2a
Ich stieg ganz langsam hinauf, aus Angst, das Haus würde einstürzen, wenn ich auf diesen winzigen Puppenhausstufen fester aufträte. Auf jedem Absatz befanden sich zwei Türen ohne Nummer oder sonstiges Unterscheidungsmerkmal. Im dritten Stock angekommen, entschied ich mich aufs Geratewohl für die eine Tür und klopfte an. Das Treppenhaus roch feucht, nach altem Gemäuer. Ich klopfte mehrmals erfolglos. Da versuchte ich es bei der andern Tür, an die ich dreimal mit der Faust hämmerte, da aus dem Innern die Rundfunksendung Besinnliche Momente mit Pater Martín Calzado herausdröhnte.
Eine Frau in türkisblau wattiertem Karo-Hausmantel und Pantoffeln und unter einem Helm von Lockenwicklern öffnete mir die Tür. Im Dämmerlicht sah sie aus wie ein Taucher. Hinter ihr widmete Pater Martín Calzados inzwischen samtweiche Stimme einige Worte dem Sponsor des Programms, dem Kosmetikhersteller Aurorin, dessen Produkte von den Lourdes-Wallfahrern bevorzugt wurden und als wahres Wundermittel gegen Pusteln und rücksichtslose Wucherer galten.
»Guten Tag. Ich suche Señora Monfort.«
»Die Nurieta? Da haben Sie sich in der Tür geirrt, junger Mann. Das ist gegenüber.«
»Verzeihen Sie, aber ich habe geklopft, und da war niemand.«
»Sie sind doch nicht etwa ein Gläubiger, oder?« fragte die Nachbarin.
»Nein. Ich komme im Auftrag von Señora Monforts Vater.«
»Ah, gut. Die Nurieta ist unten und liest. Haben Sie sie nicht gesehen, bevor sie raufgekommen sind?« Wieder auf der Straße, stellte ich fest, daß die Frau mit den silbernen Haaren und dem Buch in den Händen noch immer auf der Bank saß. Ich betrachtete sie aufmerksam. Nuria Monfort war eine mehr als attraktive Frau mit einem Gesicht für Schaufensterpuppen und Studioaufnahmen, aber ihre Jugendlichkeit schien ihr durch den Blick ins Unbestimmte zu entschwinden. In ihrer fragilen, wie hingepinselten Figur hatte sie etwas von ihrem Vater. Zwar sah das Gesicht im Zwielicht zehn Jahre jünger aus, aber auf Grund der Silbersträhnen und der Züge, die sie älter machten, schätzte ich sie auf etwas über vierzig.
»Señora Monfort?« Sie schaute mich an, als erwachte sie zögernd aus einer Trance.
»Mein Name ist Daniel Sempere. Ihr Vater hat mir vor einiger Zeit Ihre Adresse gegeben und mir gesagt, Sie könnten mir vielleicht etwas über Julián Carax erzählen.« Da schwand alle Verträumtheit aus ihrem Gesicht, und ich ahnte, daß es keine gute Idee gewesen war, ihren Vater zu erwähnen.