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Die Fallen von Rhuidean

Sobald die Tür verschwunden war, befand er sich in vollkommener Dunkelheit. Die Schwärze erstreckte sich in alle Richtungen, und doch konnte er sehen. Er nahm weder Wärme noch Kälte wahr, obwohl er ja naß war — überhaupt keine Sinneswahrnehmung. Er existierte nur. Einfache, graue Steinstufen erhoben sich vor ihm. Jede Stufe hing frei in der Luft, und so zog sich diese Treppe dahin, bis sie in der Entfernung nicht mehr zu sehen war. Er hatte so etwas schon zuvor gesehen, oder zumindest etwas Ähnliches, und er wußte, sie würde ihn dorthin führen, wo er hinwollte. So lief er die unmögliche Treppe empor, und immer wenn er den Fuß von einer Stufe hob und seinen feuchten Fußabdruck hinterließ, verblaßte diese Stufe hinter ihm und verschwand. Nur vor ihm warteten weitere Stufen und auch nur die, die ihn an sein Ziel führen würden. Auch das war das gleiche wie damals.

Habe ich sie mit Hilfe der Macht erzeugt, oder existieren sie auf irgendeine Weise?

Bei dem Gedanken begann der graue Boden unter seinen Stiefeln zu verblassen, und die anderen vor ihm liegenden Stufen wurden durchscheinend. Verzweifelt konzentrierte er sich auf sie: grauer Stein, ganz wirklich. Real! Das Verschwimmen hielt inne, und die Stufen konkretisierten sich. Nur waren sie jetzt nicht mehr so einfach und roh, sondern glänzten, und die Kanten waren kunstvoll eingefaßt. Er erinnerte sich schwach daran, das schon einmal so gesehen zu haben.

Er wagte nicht mehr, zu lange darüber nachzudenken, und hastete statt dessen achtlos weiter. Drei Stufen nahm er auf einmal, als er so durch die endlose Schwärze jagte. Sie würden ihn an sein Ziel bringen, aber wie lange würde es dauern? Welchen Vorsprung hatte Asmodean? Kannte der Verlorene einen schnelleren Weg? Da war eben wieder das gleiche Problem: Der Verlorene besaß alle notwendigen Kenntnisse, während er nur die Verzweiflung kannte.

Er verzog das Gesicht schmerzhaft, als er wieder nach vom blickte. Die Treppe hatte sich seinen langen Schritten angepaßt. Die Stufen hingen in so weitem Abstand voneinander im Leeren, daß er von einer zur anderen springen mußte. Dazwischen befand sich nur die endlose, schwarze Tiefe, tief wie... Er fand keinen Vergleich. Hier endete ein Sturz vielleicht niemals. Er zwang sich, die klaffenden Lücken zu ignorieren und weiterzulaufen. Die alte, halb verheilte Wunde an seiner Seite begann zu pulsieren. Er war sich dessen nur schwach bewußt. Doch daß er es überhaupt bemerkte, obwohl er in Saidin gehüllt war, zeigte ihm, daß die Wunde beinahe wieder aufgebrochen sein mußte. Beachte es nicht. Der Gedanke schwebte über dem Nichts in seinem Innern. Er wagte nicht, diesen Wettlauf zu verlieren, auch wenn er sich dabei umbrachte. Hörte denn diese Treppe niemals auf? Wie weit war er gekommen?

Plötzlich sah er vor sich in einiger Entfernung und etwas zur Linken eine Gestalt, einen Mann, wie ihm schien, in rotem Mantel und roten Stiefeln, der auf einer silbrig schimmernden Plattform stand und auf ihr durch die Dunkelheit glitt. Rand mußte ihn gar nicht genauer sehen, um zu wissen, daß es Asmodean war. Der Verlorene rannte nicht wie ein ausgepumpter Bauernjunge einher, sondern fuhr auf diesem Was-es-auch-war durch die Schwärze.

Rand blieb unvermittelt auf einer der Stufen stehen. Er hatte keine Ahnung, was das für eine Plattform war, die wie Metall glänzte, doch... Die Stufen vor ihm verschwanden. Die Steinplatte unter seinen Stiefeln begann, immer schneller vorwärts zu gleiten. Er spürte keinen Wind im Gesicht, der ihm gesagt hätte, daß er sich bewegte, sah keinen festen Anhaltspunkt, der ihm überhaupt eine Bewegung hätte deutlich machen können, aber er holte Asmodean gegenüber eindeutig auf. Er wußte nicht einmal, ob er das mit Hilfe der Macht fertigbrachte. Es schien einfach so zu geschehen. Die Steinstufe bebte, und er zwang sich, mit dem Nachdenken darüber aufzuhören. Ich weiß noch nicht genug.

Der dunkelhaarige Mann stand entspannt da, eine Hand in die Hüfte gestützt, und mit der anderen rieb er sich nachdenklich über das Kinn. Weiße Spitzen hingen ihm über den Nacken herunter und verbargen seine Hände fast zur Hälfte. Sein roter Mantel mit dem hohen Kragen schimmerte noch stärker als Satin und war von eigenartigem Schnitt. Rockschöße hingen ihm bis fast auf die Knie. Der Mann hing an etwas, das wie schwarze Fäden wirkte, ähnlich wie Stahldrähte, die sich von ihm in die umgebende Dunkelheit hinauszogen. Die hatte Rand mit Sicherheit bereits einmal gesehen.

Asmodean wandte den Kopf, und Rand schnappte erstmal nach Luft. Die Verlorenen konnten ja ihre Gesichter verändern oder zumindest anderen ein verändertes Gesicht vortäuschen, wie Lanfear es schon öfters gemacht hatte, aber das hier waren die Gesichtszüge von Jasin Natael, dem Gaukler! Er war so sicher gewesen, daß es Kadere sein werde, mit diesen Raubvogelaugen, deren Ausdruck sich nie änderte.

Im gleichen Augenblick bemerkte Asmodean ihn und fuhr zusammen. Die silbrige Platte unter dem Verlorenen schoß vorwärts, und plötzlich raste ein riesiger Feuervorhang, wie ein dünner Ausschnitt aus einer monströsen Flamme, nach hinten auf Rand zu — eine Meile hoch und eine Meile breit.

Er schlug verzweifelt mit der Macht zu, und in dem Augenblick, als die Feuerwand ihn zu erreichen drohte, zerbarst sie in unzählige Funken, die davonflogen und rasch verglimmten. Doch während der Feuervorhang noch verflog, raste bereits ein zweiter auf ihn zu. Er zerschlug ihn und ein dritter wurde sichtbar, und nach dem dritten dann ein vierter. Asmodean entkam mittlerweile, soviel war Rand klar. Wegen der Flammenvorhänge konnte er den Verlorenen nicht mehr sehen. Zorn glitt über die Oberfläche des Nichts, und er raffte soviel der Macht wie möglich zusammen.

Eine Feuerwalze erfaßte den auf ihn zurasenden roten Flammenvorhang und überrollte ihn. Das war nun keine dünne Scheibe mehr, sondern eine wilde, hoch aufragende Feuerwoge, wie vom Sturmwind vorwärtsgetrieben. Er bebte unter dem Ansturm der Macht, die ihn durchtobte. Zorn auf Asmodean krallte sich in die Oberfläche des Nichts.

Ein Loch öffnete sich in der feurigen Oberfläche. Nein, als Loch durfte man es nicht bezeichnen, denn als es Asmodean auf seiner schimmernden Plattform in Rands Richtung durchgelassen hatte, schloß es sich wieder. Der Verlorene hatte sich wohl mit einer Art Schutzschirm umgeben.

Rand zwang sich dazu, den fernen Zorn außerhalb des Nichts zu ignorieren. Nur in der kalten Ruhe innerhalb konnte er Saidin berühren. Wenn er den Zorn einließ, würde das Nichts zerspringen. Die Feuerwogen hörten zu existieren auf, als er den Strom der von ihm ausgehenden Macht unterbrach. Er wollte den Mann fangen und nicht umbringen.

Noch schneller glitt die Steinplatte durch die Dunkelheit. Er kam Asmodean immer näher. Mit einemmal blieb die Plattform des Verlorenen in der Dunkelheit stehen. Vor ihm entstand eine helle Öffnung, und durch die sprang er. Die silbrige Scheibe verschwand, und die Tür begann sich zu schließen. Rand schlug wild entschlossen mit der Macht zu. Er mußte die Tür offenhalten. Sobald sie geschlossen wäre, hätte er keine Ahnung mehr, wohin Asmodean geflohen war. Das Schrumpfen der Öffnung hielt inne. Ein von blendendem Sonnenschein erfülltes Viereck war geblieben, groß genug, um durchzusteigen. Er mußte es offenhalten und erreichen, bevor Asmodean zu weit weg war...

In dem Augenblick, als er an Anhalten dachte, stand seine Stufe auch schon still. Sie stand still, doch er wurde vorwärtsgeschleudert, direkt durch die Türöffnung hindurch. Sein Stiefel blieb an etwas hängen, doch dann überschlug er sich bereits auf hartem Boden und blieb schließlich atemlos liegen.

Er rang erst einmal nach Luft und richtete sich dann mühsam auf, denn er wagte nicht, auch nur einen Moment länger hilflos liegenzubleiben. Immer noch erfüllte ihn die Eine Macht mit Leben und Verderbnis. Seine Schrammen waren genauso fern von ihm wie sein mühevolles Luftholen, ebenso fern wie der gelbliche Staub, der ihn und seine feuchte Kleidung bedeckte. Und doch war er zur gleichen Zeit jeder winzigen Bewegung der glühendheißen Luft gewahr, jedes noch so kleinen Risses im harten Lehmboden. Schon verdunstete die Feuchtigkeit auf Hemd und Hose im Sonnenschein. Er befand sich in der Wüste, im Tal unterhalb des Chaendaer, keine fünfzig Schritt vom nebelumwallten Rhuidean entfernt. Die Tür war verschwunden.