«Hast du so wenig Hirn wie der Schakal der Prairie?«fuhr der» große Wolf «ihn an.»Es gilt, Rache an diesen bleichen Kröten zu nehmen.«
«Aber sie sind nun unsre Freunde und Brüder!«
«Nein.«
«Wir haben die Pfeife des Friedens mit ihnen geraucht!«
«Wem gehörte diese Pfeife?«
«Old Shatterhand.«
«Nun, so gilt der Schwur für ihn, aber nicht für uns. Warum war er so dumm, sich nicht meiner Pfeife zu bedienen! Siehst du das nicht ein?«
«Der» große Wolf «hat stets recht, «antwortete der Mann, welcher mit der Sophistik seines Häuptlings vollständig einverstanden war. Die Ausrede desselben mußte jeden Krieger der Utah gewiß zufriedenstellen.
«Morgen früh werden die Seelen der Bleichgesichter in den ewigen Jagdgründen sein, um uns später dort zu bedienen, «fuhr der Häuptling fort.
«Du willst sie überfallen?«
«Ja.«
«Da ist unsre Zahl zu klein, und wir können auch nicht durch den Spalt zurück, weil man denselben bewachen wird.«
«So nehmen wir einen andern Weg und holen uns so viele Krieger, wie wir bedürfen. Liegen nicht ihrer genug drüben im P'a-mow? Und führt nicht weiter oben ein Weg quer durch den Canon, den die Bleichgesichter nicht zu kennen scheinen? Die Leichen und ihre Pferde bleiben hier und zwei von euch als Wächter dabei. Wir andern reiten nordwärts.«
Dieser Entschluß wurde ausgeführt. Der Wald war zwar nur schmal, bildete aber einen stundenlangen Streifen, an welchem die Utahs im Galopp hinritten, bis die Höhe sich allmählich niedersenkte nach einer Schlucht, welche quer durch die Felsen führte. Durch diese Schlucht gelangte der» große Wolf «in den Hauptcanon, in welchem die Weißen sich befanden; freilich mündete die Schlucht wenigstens drei englische Meilen oberhalb der Lagerstelle. Gegenüber der ersteren schnitt ein enger Seitencanon in den Hauptcanon ein, doch war derselbe nicht ganz so schmal wie die Felsenspalte, in welcher heute das Zusammentreffen der Weißen mit den Roten stattgefunden hatte. Dorthin wendete sich der» große Wolf «mit seinen Leuten. Er schien den Weg sehr genau zu kennen, denn er irrte trotz der Dunkelheit nicht ein einziges Mal und führte sein Pferd so sicher, als ob er sich auf einer breiten, deutschen Heerstraße befände.
Der jetzige Canon hatte kein Wasser und stieg bergan. Bald erreichten die Roten die Scheitelhöhe der weiten Felsenebene, in welche das vielverzweigte Netz der Canons tief eingeschnitten ist. Da war es hell; der Mond stand leuchtend am Himmel. Im Galopp ging es über die Ebene, und nach einer halben Stunde fiel die Gegend in Gestalt eines breiten, sanften Einschnittes leise nieder. Rechts und links blieben die Felsen als schützende Wände stehen, immer höher werdend, je tiefer das Terrain sich senkte, und dann tauchten vorn üppige Wipfel auf, unter denen viele Feuer brannten. Es war ein Wald, ein wirklicher Wald, mitten auf oder in der von Stürmen glatt gefegten und von der Sonne ausgetrockneten und zu Stein gedorrten Ebene.
Dieser Wald verdankte sein Dasein einzig nur der Depression des Bodens. Die Stürme heulten darüber hin, ohne ihn zu treffen, und die Niederschläge konnten sich sammeln, um eine Art See zu bilden, dessen Wasser das Erdreich auflöste und für die Wurzeln fruchtbar machte. Das war der P'a-mow, der Wald des Wassers, nach welchem der» große Wolf «wollte.
Es hätte des Mondlichtes gar nicht bedurft, um sich hier zurechtfinden zu können, so zahlreich waren die Feuer, welche hier brannten. Da gab es ein reges Lagerleben, und zwar das Leben eines Kriegslagers. Man sah kein Zelt, keine Hütte. Die vielen roten Krieger, welche man erblickte, lagen an den Feuern entweder auf ihren Decken oder auf der bloßen Erde; dazwischen lagen oder standen und weideten ebenso viele Pferde. Das war der Ort, an welchem sich die Scharen der Utahs aller Stämme zum Kriegszuge zu versammeln hatten.
Als der» große Wolf «bei dem ersten Feuer ankam, hielt er an, stieg ab, winkte seinen Leuten, hier zu warten und rief einem der am Feuer sitzenden den Namen» Nanap neav «zu. Diese beiden Worte bedeuten» alter Häuptling«. Es war also jedenfalls der Oberanführer sämtlicher Utahstämme gemeint. Der Angeredete erhob sich und führte den» großen Wolf «nach dem See, an welchem ein großes, von den übrigen abgesondertes Feuer brannte. An demselben saßen vier Indianer, alle mit der Feder des Adlers geschmückt. Einer derselben mußte das Auge ganz besonders auf sich ziehen. Er hatte sein Gesicht nicht bemalt; es war von unzähligen tiefen Falten durchzogen. Sein Haar hing schloßweiß und lang auf den Rücken herab. Dieser Mann war gewiß wenigstens achtzig Jahre alt, und doch saß er so aufrecht, stolz und kräftig da, als wären es fünfzig weniger. Er richtete das Auge scharf auf den Ankommenden, ohne aber ein Wort, einen Gruß zu sagen, auch die andern schwiegen. Der» große Wolf «setzte sich stumm nieder und blickte vor sich hin. So verging eine ganze Weile; dann endlich erklang es aus dem Munde des Alten:»Der Baum wirft im Herbst die Blätter ab; wenn er sie aber vorher verliert, so taugt er nichts und soll umgehauen werden. Vor drei Tagen trug er sie noch. Wo sind sie heute hin?«
Diese Frage bezog sich auf die Adlerfedern, welche der» große Wolf «nicht mehr trug; sie enthielt einen für jeden tapfern Krieger niederschlagenden Vorwurf.
«Morgen wird der Schmuck wieder prangen, und am Gürtel die Skalpe von zehn und zwanzig Bleichgesichtern!«antwortete der» große Wolf«.
«Ist der» große Wolf «von Bleichgesichtern besiegt worden, daß er die Zeichen seiner Tapferkeit und Würde nicht mehr tragen darf?«
«Von einem Bleichgesichte nur, aber von demjenigen, dessen Faust schwerer ist als die Hände von hundert weißen Männern.«
«Das könnte nur Old Shatterhand sein.«
«Er ist es.«
«Uff!«entfuhr es dem Alten, und» uff!«stimmten die andern ein. Dann fragte er. So hat der» große Wolf «diesen berühmten Weißen gesehen?«
«Ihn und noch viele andre, Old Firehand, Winnetou, den langen und den dicken Jäger, einen Trupp, wohl fünfmal zehn Köpfe stark. Ich bin gekommen, Euch ihre Skalpe zu bringen.«
Der Indianer soll seine Gefühle verbergen können; besonders wird dies von den Alten und Häuptlingen verlangt; aber das, was diese vier Anführer jetzt hörten, erschütterte ihre Selbstbeherrschung derart, daß sie in Ausrufungen der Freude, der Verwunderung und des Staunens ausbrachen. Das Gesicht des Alten nahm einen solchen Ausdruck der Spannung an, daß fast keine Falte mehr zu bemerken war.
«Der» große Wolf «mag erzählen!«forderte er den Genannten auf.
Dieser kam der Aufforderung nach. Sein Bericht war nicht mit der Wahrheit übereinstimmend; er war bemüht, sich und sein Thun in ein gutes Licht zu stellen. Die andern saßen regungslos und hörten dem Erzähler mit größter Aufmerksamkeit zu. Als er geendet hatte, fragte der Älteste der Häuptlinge:»Und was will der» große Wolf «jetzt thun?«
«Du wirst mir noch fünfzig Krieger geben, mit denen ich diese Hunde überfalle. Ihre Skalpe müssen noch vor der Morgenröte an unsern Gürteln hangen.«
Die Falten des Alten kamen wieder zum Vorschein; seine Brauen zogen sich zusammen, und seine Adlernase schien doppelt so dünn und scharf zu werden.»Noch vor der Morgenröte?«fragte er.»Sind das Worte eines roten Kriegers? Die Bleichgesichter haben uns überfallen, beraubt und unsre Männer getötet. Jetzt ziehen sie mit Macht heran, unser Blut zu vergießen und rufen auch die Scharen der Navajos herbei. Sie haben es auf unsern Untergang abgesehen, und nun der große Geist die Berühmtesten und Vornehmsten von ihnen in unsre Hände gegeben hat, sollen sie schnell und schmerzlos sterben wie ein Kind im Arme der Mutter. Was sagen meine roten Brüder zu diesen Worten des» großen Wolfes«?«
«Die Weißen müssen an den Marterpfahl, «antwortete der eine Häuptling.»Wir müssen sie lebendig fangen, «meinte der zweite.