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Und ganz entgegengesetzt dem Brauche der Indianer, jeden Angriff mit einem Kriegsgeheule zu begleiten, arbeiteten diese Utah fast vollständig lautlos, und erst dann, als die Weißen laut wurden, erhoben auch sie ihr gellendes Geschrei, welches weithin durch die Nacht erklang und von den Wänden des Canons vervielfältigt zurückgeworfen wurde.

Dabei gab es ein Gewühle von Körpern, Armen und Beinen, welche in der Finsternis nicht voneinander zu unterscheiden waren. Nur drei einzelne Gruppen waren trotz der Dunkelheit einigermaßen zu erkennen, drei Gruppen, welche nicht weit voneinander entfernt sich hart an der Felsenwand bewegten. Die Mittelpunkte derselben waren Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou, welche infolge ihrer großen Geistesgegenwart und Erfahrenheit nicht in der Weise wie die andern hatten überrumpelt werden können. Sie waren aufgesprungen und hatten mit dem Rücken gegen die Felswand Deckung gesucht. Nun vertheidigten sie sich mit den Messern und Revolvern gegen die übermächtigen Feinde, welche sich ihrer Klingen nicht bedienen durften, weil die Weißen lebendig gefangen werden sollten. Die drei mußten doch trotz ihrer berühmten Geschicklichkeit, Gewandtheit und Körperkraft unterliegen. Sie wurden von den Roten so eng umdrängt, daß es ihnen schließlich unmöglich wurde, die Arme zur Abwehr zu bewegen. Sie wurden auch niedergewürgt und wie ihre Gefährten gebunden. Ein markdurchdringendes Geheul der Roten verkündete, daß der Überfall gelungen sei.

Nun gebot der» große Wolf«, ein Feuer anzuzünden. Als die Flamme desselben den Kampfplatz beleuchtete, ergab es sich, daß unter den Stichen und Schüssen der drei vorhin Genannten über zwanzig Rote verwundet oder gar getötet worden seien.

«Dafür sollen diese Hunde zehnfache Qualen erdulden!«zürnte der Häuptling.»Wir schneiden ihnen das Leder in Streifen vom Leibe. Sie alle sollen eines schauderhaften Todes sterben, und nicht einer von ihnen wird die Sterne des morgenden Abends schauen. Nehmt die Toten, die Pferde und die Waffen der Bleichgesichter. Wir müssen zurückkehren.«

«Wer soll die Wunderbüchse des weißen Jägers anrühren?«fragte einer.»Sie geht von selber los und tötet denjenigen, welcher sie angreift, und noch viele andre dazu.«

«Wir lassen sie liegen und errichten auf ihr einen Steinhaufen, damit kein roter Mann die Hand an sie legt. Wo ist sie?«

Man suchte nach ihr, ohne sie zu finden; sie war verschwunden. Als der» große Wolf «Old Shatterhand nach ihr fragte, gab dieser keine Antwort. Als er vorhin im Kampfgewühle erwacht und aufgesprungen war, hatte man ihm den Stutzen aus der Hand gerissen und fortgeschleudert. Der Häuptling ließ Feuerbrände nehmen, um das klare, durchsichtige Wasser des Baches zu beleuchten. Derselbe war so seicht, daß man jedes auf seinem Grunde liegende Steinchen erkennen konnte, aber der Stutzen wurde nicht gesehen. Die Yampa-Utahs hatten das Gewehr am Tage in den Händen Old Shatterhands gesehen und konnten das Verschwinden desselben nicht begreifen. Vielleicht lag es in der Felsenspalte. Man untersuchte diese eine weite Strecke hinein, natürlich mit Hilfe von Bränden, doch auch vergeblich. Die Folge war, daß selbst diejenigen Roten, welche bisher noch gezweifelt hatten, daß das Gewehr Old Shatterhands übernatürliche Eigenschaften besitze, sich jetzt der Meinung der andern anschlossen. Die Zauberbüchse konnte, solange man hier verweilte, ihre unbegreiflichen Kräfte zur Geltung bringen, darum gebot der» große Wolf«, welchem es selbst unheimlich wurde:»Bindet die Gefangenen an die Pferde, und dann fort von hier! Ein böser Geist hat das Zaubergewehr verfertigt. Wir dürfen nicht hier bleiben, bis es uns seine Kugeln sendet.«

Diesem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet, und als die Roten aufbrachen, war seit dem Beginn des Kampfes nicht viel über eine Stunde vergangen.

«Nicht einer von ihnen wird die Sterne des morgenden Abends schauen, «hatte der Häuptling gesagt. Er glaubte, daß alle Weißen in seine Hände geraten seien, und doch war dies nicht der Fall. Es wurde bereits gesagt, daß Old Firehand einen Wachtposten in den Felsenspalt beordert habe, um einen Überfall durch die etwa zurückkehrenden Yampa-Utahs zu verhüten. Dieser Posten war — Droll, welcher erst nach zwei Stunden abgelöst werden sollte. Der Hobble-Frank hatte sich ihm freiwillig angeschlossen, um mit ihm von der lieben Heimat zu plaudern. Sie saßen, natürlich mit allen ihren Waffen versehen, in tiefer Finsternis, unterhielten sich flüsternd und lauschten zuweilen in den Felsenriß zurück, ob sich dort etwas hören lasse. Sie fühlten nicht die mindeste Müdigkeit, und es gab so viel zu erzählen, daß ihnen der Stoff gar nicht ausgehen konnte.

Da plötzlich hörten sie am Ausgange des Spaltes ein Geräusch, welches sehr geeignet war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

«Horch!«flüsterte Frank dem» Vetter «zu.»Hast du was gehört?«

«Ja, ich hab's gehört, «antwortete die Tante ebenso leise.»Was is das gewesen?«

«Es müssen mehrere von unsern Leuten offgeschtanden sein.«

«Nee, das is es nich. Das müsse viele, viele Menschen sein. Das is ee Fußgeschtrampel von wenigstens zweehundert — «

Er hielt erschrocken inne, denn jetzt waren die Überfallenen erwacht und erhoben ihre Stimme.

«Donner und's Messer, das is Kampf!«fuhr der Hobble-Frank auf.»Ich gloobe, wir sind mehrschtenteels überfallen worden!«

«Ja, überfalle sind wir worde!«stimmte Droll bei.»Das müsse rote Halunke sein, wenn's nötig is!«

Der nächste Augenblick bewies, daß diese Vermutung die richtige war, denn es erscholl das Kampfgeheul der Indianer.

«Gott schteh uns bei; sie sind's wirklich!«rief Frank.»Droff, off sie! Komm rasch hinaus!«

Er ergriff den Arm Drolls, um ihn mit sich fortzuziehen; aber dieser wegen seiner Pfiffigkeit bekannte Jäger hielt ihn zurück und sagte, vor Aufregung allerdings beinahe zitternd:

«Bleib da! Nich so schnell hinaus! Wenn die Indianersch itzt bei Nacht eenen Überfall unternehme, so sind ihrer so viele beisamme, daß mer so vorsichtig wie möglich zu sein hat. Wolle erscht sehe, wie de Sache schteht. Nachher wisse mer, was mer zu mache habe. Mer müsse uns niederlege und vorwärts krieche.«

Dies thaten sie. Sie schoben sich an Händen und Füßen bis zum Ausgang hin. Da erkannten sie trotz der Dunkelheit, daß ihre Gefährten verloren seien. Die Übermacht der Roten war zu groß. Links von ihnen war der Kampf entbrannt. Die Schüsse Firehands, Shatterhands und Winnetous knallten, aber nicht lange Zeit, dann ertönte der hundertstimmige Siegesruf der Roten. Gerade vor dem Ausgange der Spalte war freie Bahn.

«Rasch hinter mir her und übersch Wasser nüber!«raunte Droll dem Vetter zu.

Er kroch so schnell und vorsichtig wie möglich auf der Erde hin. Frank folgte ihm. Dabei berührte die Hand des letzteren einen harten, langen Gegenstand; dieser war ein Gewehr mit Kugelschloß.»Old Shatterhands Henrystutzen!«durchzuckte es ihn. Er nahm das Gewehr mit. Die beiden kamen glücklich an das Wasser und dann an das andre Ufer desselben. Dort ergriff Droll den Hobble-Frank bei der Hand und zog ihn fort, abwärts, in südlicher Richtung. Die Flucht gelang ihnen, weil es so finster war und weil ihre Schritte bei dem Geschrei der Indianer nicht gehört werden konnten. Bald aber wurde der Raum zwischen Wasser und Felsen so enge, daß Droll riet:»Mer müsse wieder nüber ans linke Ufer. Da wird die Bahn wohl breeter sein.«

Sie wateten hinüber. Zu ihrem Glücke befanden sie sich schon weit unterhalb der Stelle, wo der Posten gestanden hatte. Sie gingen oder vielmehr sie rannten weiter, bald an die Felsenwand, bald an im Wege liegende Steine stoßend, bis sie die Stimmen der Indianer nicht mehr hörten; da hielt der Hobble-Frank seinen Gefährten an und sagte in vorwurfsvollem Tone:»Nun halte endlich mal schtille, du Tausendsapperlot! Warum biste denn eegentlich fortgerannt und hast mich schmählich verführt, mitzuloofen! Das is doch gegen alle Pflicht und Kameradschaftlichkeet! Haste denn gar keene Ambition im Leibe?«