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Nun war die Viertelstunde vergangen, und Old Shatterhand fragte Feuerherz:»Die Zeit ist um. Was hat der Häuptling der Utahs beschlossen?«

«Bevor ich das sagen kann, «antwortete der Gefragte,»muß ich erst genau wissen, wohin ihr die Geiseln schleppen wollt.«

«Schleppen werden wir sie nicht; sie reiten mit uns. Zwar werden sie gefesselt sein, aber Schmerzen werden wir ihnen nicht bereiten. Wir gehen nach dem Teywipah.«

«Und dann?«

«Hinauf nach dem Silbersee.«

«Und so weit sollen die Geiseln mit euch reiten. Die Hunde der Navajoes können bereits da oben angekommen sein; sie würden unsre Krieger töten.«

«So weit wollen wir sie nicht mitnehmen; sie sollen uns bis in das Thal der Hirsche begleiten. Ist uns bis dorthin nichts geschehen, so nehmen wir an, daß ihr euer Wort gehalten habt, und lassen sie frei.«

«Ist das wahr?«

«Ja.«

«Werdet ihr es mit uns durch die Pfeife des Friedens berauchen?«

«Nur mit dir allein; das genügt, denn du redest und rauchst im Namen der andern.«

«So nimm dein Calumet, und brenne es an.«

«Nimm lieber das deinige.«

«Warum? Ist nicht deine Pfeife ebensogut wie die meinige? Oder bringt die deinige nur Wolken der Unwahrheit zu stande?«

«Umgekehrt ist es richtig. Mein Calumet spricht stets die Wahrheit; aber der Pfeife der roten Männer ist nicht zu trauen.«

Das war eine schwere Beleidigung; darum rief Feuerherz, indem seine Augen vor Zorn funkelten:»Wäre ich nicht gebunden, so würde ich dich töten. Wie darfst du es wagen, unser Calumet zu strafen!«

«Weil ich ein Recht dazu habe. Die Pfeife des» großen Wolfes «hat uns wiederholt belogen, und du hast dieselbe Schuld auf dich geladen, indem du ihm Krieger gabst, uns zu ergreifen. Nein, es wird nur aus deinem Calumet geraucht. Willst du das nicht, so nehmen wir an, daß du es nicht ehrlich meinst. Entscheide schnell! Wir haben keine Lust, mehr Worte zu verlieren.«

«So bindet mich los, damit ich die Pfeife bedienen kann!«

«Das ist nicht nötig. Du bist Geisel und mußt gefesselt bleiben, bis wir dich im Thal der Hirsche freigeben. Ich selbst werde dein Calumet bedienen und es dir an die Lippen halten.«

Feuerherz zog es vor, nicht mehr zu antworten. Er mußte auch diese Beleidigung auf sich nehmen, da es sich um sein Leben handelte. Old Shatterhand nahm ihm die Pfeife vom Halse, stopfte sie und steckte sie in Brand. Dann stieß er den Rauch gegen oben, unten und die vier Himmelsrichtungen und erklärte dann in kurzen Worten, daß er das zwischen ihm und Feuerherz gegebene Versprechen halten werde, wenn die Utahs auf alle Feindseligkeit verzichteten. Feuerherz wurde auf die Füße gestellt und in die vier Windrichtungen gedreht. Dabei mußte er dieselben sechs Züge aus der Pfeife thun und für sich und die Seinen das Gegenversprechen leisten. Die Zeremonie war damit beendet.

Nun mußten die Utahs die noch fehlenden, den Weißen zurückbehaltenen Gegenstände abliefern. Sie thaten es, denn sie sagten sich, daß sie sehr bald wieder in den Besitz derselben kommen würden. Dann wurden die Pferde der Weißen und der Geiseln gebracht. Das war gerade, als der Tag zu grauen begann. Die Weißen hielten es für geraten, ihren Abzug möglichst zu beschleunigen. Sie mußten sich dabei der äußersten Vorsicht bedienen und durften sich nicht die mindeste Blöße geben, durch welche den Roten irgend ein Vorteil geworden wäre.

Die fünf ausgewählten Krieger und die Häuptlinge wurden auf ihre Pferde gebunden; dann nahmen je zwei Weiße einen von ihnen in die Mitte und hielten die Revolver bereit, sofort zu schießen, falls die Indianer sich gegen die Abführung der Geiseln wehren sollten. Der Zug setzte sich in Bewegung nach dem Seitencanon, aus welchem der Hobble-Frank und die Tante Droll sich in das Lager geschlichen hatten. Die Roten verhielten sich ruhig; nur die finstern Blicke, mit denen sie den Bleichgesichtern folgten, bewiesen, von welchen Gefühlen sie beherrscht waren.

Fünfzehntes Kapitel

Eine Indianerschlacht

Auf den glücklichen Ausgang dieses Abenteuers war niemand stolzer als Droll und Hobble-Frank, deren klugem Eingreifen dieser Erfolg, wenigstens die Schnelligkeit desselben, zu verdanken war. Sie ritten hinter den Gefangenen nebeneinander. Als sie das Lager verlassen hatten, sagte Droll, indem er sein eigentümliches, listiglustiges Kichern hören ließ:»Hihihihi, is das eene Freede für meine alte Seele! Na, werde sich de Indianersch ärgere, daß se uns so fortreite lasse müsse! Meenste nich, Vetter?«

«Freilich!«nickte Frank.»Das war een Genieschtreech, wie er nich besser im Buche schtehen kann. Und weeßte, wer die Hauptmatadoren dabei gewesen sind?«

«Nu?«

«Du und ich, wir zwee beeden. Ohne uns lägen die andern noch in Ketten und Banden, gerade wie Prometheus, der jahraus und ein nur Adlerlebern essen darf.«

«Na, weeßte, Frank, ich denke, daß die sich ooch noch herausgefunde hätte. Leute wie Winnetou, Shatterhand und Firehand lasse sich nich so leicht an de Marterpfähle binde. Die sind schon oft noch schlimmer drangewese und lebe heutigestags noch.«

«Das gloobe ich zwar ooch, aber schwer geworden wäre es ihnen doch. Ohne unsre internationale Schneidigkeet wäre es ihnen zwar nich unmöglich, aber ooch nich so leicht geworden, sich aus dieser verteufelten Falle zu kontrapunktionieren. Ich bin zwar nich schtolz droff, aber es is immerhin eene erhebende Gefühlsempfindung, wenn man sich sagen kann, daß man neben hervorragenden Geistesgaben ooch noch eene Ausdehnung der Intelligenz besitzt, welche selbst das schnellste Pferd nich einzuholen vermag. Wenn ich mich schpäter zur Ruhe gesetzt habe und eemal bei guter Tinte bin, werde ich meine Momoiranden schreiben, was alle berühmten Männer thun. Nachher wird die Welt erscht recht erkennen, zu welchen Hallucinationen een eenziger Menschengeist die kompetenten Fähigkeeten besitzt. Du bist ooch so een hochbegabter Ehrenerdenbürger, und wir können mit dem Schtolze unsres imitierten Selbstbewußtseins uns daran erinnern, daß wir nich nur deutsche Landsleute, sondern sogar konfigurierte Vettern und Verwandte sind.«

Jetzt war der Zug im Nebenkanon angekommen. Er bog nicht links ab nach dem Hauptcanon ein, sondern wendete sich nach rechts, um dem ersteren zu folgen. Winnetou, welcher den Weg am genauesten kannte, ritt wie gewöhnlich an der Spitze. Hinter ihm kamen die Jäger, dann die Rafters, welche die Gefangenen in der Mitte hatten. Diesen folgte die Sänfte, in welcher sich Ellen befand; ihr Vater ritt nebenher, und den Schluß bildeten wieder einige Rafters.

Ellen hatte sich seit gestern außerordentlich brav gehalten; sie war glücklicherweise von den Roten nicht so streng behandelt worden wie die erwachsenen und männlichen Gefangenen. Als diese letzteren sich von ihren Banden befreit hatten und zu den Häuptlingen gesprungen waren, um sich derselben zu bemächtigen, war sie ganz allein an dem von Old Shatterhand ausgelöschten Feuer zurückgeblieben. Ein Glück, daß die Roten nicht daran gedacht hatten, sich ihrer zu bedienen, um die Freiheit der Geiseln zu erzwingen!

Der schmale Canon stieg ziemlich steil empor und mündete nach vielleicht einer Stunde auf die weite, offene Felsenebene, welche von den dunkeln Massen der Rocky-Mountains begrenzt zu werden schien. Hier drehte Winnetou sich um und sagte:»Meine Brüder wissen, daß die Roten uns folgen werden. Wir wollen jetzt Galopp reiten, um eine möglichst große Strecke zwischen sie und uns zu bringen.«

Infolgedessen gab man den Pferden die Sporen und trieb dieselben so sehr an, wie es die Rücksicht auf die Sänfte und die Ponnies, welche dieselbe trugen, erlaubte. Später erlitt diese Schnelligkeit eine Unterbrechung durch einen für die Reiter sehr erfreulichen Umstand. Man erblickte nämlich ein Rudel Gabelantilopen, und es gelang, zwei derselben zu umkreisen und zu erlegen. Das gab hinreichend Proviant für den heutigen Tag.