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Die Berge traten immer näher. Die Hochebene schien an den Fuß derselben zu stoßen; dies war aber keineswegs der Fall, da das Thal des Grand River dazwischen lag. Gegen Mittag, als die Strahlen der Sonne so heiß herniederbrannten, daß sie Mensch und Tier belästigten, gelangte man an eine schmale Stelle der felsigen Ebene, welche sich abwärts senkte.»Das ist der Anfang eines Canons, welcher uns zum Flusse führen wird, «erklärte Winnetou, indem er dieser Senkung folgte. Es war, als hätte ein Riese hier den Hobel angesetzt, um eine tief und immer tiefer gehende Bahn in den harten Stein zu schneiden. Die Wände rechts und links, erst kaum bemerkbar, dann manns-, nachher haushoch, stiegen immer höher an, bis sie oben scheinbar zusammenstießen. Hier in der Enge wurde es dunkel und kühl. Von den Wänden sickerte Wasser herab, welches sich auf der Sohle sammelte und bald fußtief wurde, so daß die durstigen Pferde trinken konnten. Und eigentümlich, dieser Canon zeigte nicht die leiseste Windung. Er war schnurgerade in den Felsen eingefressen, so daß, lange bevor man sein Ende erreichte, vorn ein heller Strich zu sehen war, welcher desto breiter wurde, je mehr man sich demselben näherte. Das war der Ausgang, das Ende des mehrere Hundert Fuß tiefen Einschnittes.

Als die Reiter bei demselben anlangten, bot sich ihnen ein beinahe überwältigender Anblick dar. Sie befanden sich im Thale des Grand River. Dieses war vielleicht eine halbe englische Meile breit, der Fluß strömte in der Mitte hin und ließ zu seinen beiden Seiten einen Grasstreifen frei, welcher von der senkrecht ansteigenden Canonwand begrenzt wurde. Das Thal lief von Nord nach Süd, gerade wie mit dem Lineal gezogen, und die beiden Felsenwände zeigten nicht den engsten Riß oder den kleinsten Vorsprung. Darüber stand die glühende Sonne, welche hier trotz der Tiefe des Canons das Gras dem Verdorren nahe brachte.

Kein einziger Riß? Und doch! Gerade den Reitern gegenüber gab es am rechten Ufer des Flusses einen ziemlich breiten Einschnitt, aus welchem ein sehr ansehnlicher Bach geflossen kam. Dorthin deutete Winnetou, indem er sagte:»Diesem Bache müssen wir aufwärts folgen; er führt nach dem Thale der Hirsche.«

«Aber wie kommen wir hinüber?«fragte Butler, welchem es um seine Tochter zu thun war.»Der Fluß ist zwar nicht reißend, scheint aber tief zu sein.«

«Oberhalb des Bacheinflusses gibt es eine Furt, welche so seicht ist, daß das Wasser in dieser Jahreszeit die Sänfte nicht berühren wird. Meine Brüder mögen mir folgen!«

Man ritt quer über das Gras bis an die Uferstelle, an welcher sich die Furt befand. Dieselbe lag so, daß man, am jenseitigen Ufer angekommen, auch noch den Bach überschreiten mußte, um an das rechte Ufer desselben zu gelangen, welches breiter und also bequemer zu passieren war als das linke. Winnetou trieb sein Pferd in das Wasser, und die andern folgten ihm. Er hatte recht gehabt; das Wasser reichte ihm lange nicht bis an die Füße. Dennoch blieb er, in der Nähe des andern Ufers angekommen, plötzlich halten und stieß einen halblauten Ruf aus, als ob er eine Gefahr entdeckt habe.

«Was gibt's?«fragte Old Shatterhand, welcher hinter ihm ritt.»Hat sich das Flußbett verändert?«

«Nein; aber da drüben sind Männer geritten.«

Er deutete nach dem Ufer. Old Shatterhand trieb sein Pferd mehrere Schritte weiter und sah nun auch die Fährte. Sie war breit, wie von vielen Reitern; das Gras hatte sich noch nicht ganz wieder erhoben.

«Das ist wichtig!«sagte Old Firehand, welcher sich den beiden genähert hatte.»Wir wollen diese Fährte untersuchen; unterdessen müssen die andern im Wasser bleiben.«

Die drei ritten vollends an das Ufer, stiegen dort ab und betrachteten die Eindrücke mit ihren Kenneraugen.

«Das waren Bleichgesichter, «sagte Winnetou.

«Ja, «stimmte Old Shatterhand bei.»Indianer wären hintereinander geritten und hätten keine so breite, augenfällige Spur verursacht. Ich möchte behaupten, daß diese Leute keine echten Westmänner sind. Ein Jäger, welcher Erfahrung besitzt, ist weit vorsichtiger. Ich schätze den Trupp auf dreißig bis vierzig Personen.«

«Ich ebenso, «meinte Old Firehand.»Aber Weiße, hier, unter den gegenwärtigen Verhältnissen! Das müssen Neulinge sein, unvorsichtige Menschen, welche es sehr notwendig haben müssen, hinauf in die Berge zu kommen.«

«Hm!«brummte Old Shatterhand.»Ich glaube, zu erraten, wen wir da vor uns haben.«

«Nun, wen?«

«Den roten Cornel mit seiner Abteilung.«

«Alle Wetter! Möglich ist's. Meiner Berechnung nach können die Kerle hier sein. Und das stimmt auch mit dem, was du von Knox und Hilton erfahren hast. Wir müssen die Spur — «

Er wurde von Winnetou unterbrochen, welcher an den Bach gegangen war und, in das Uferwasser zeigend, sagte:»Meine Brüder mögen hierherkommen. Es ist der rote Cornel gewesen.«

Sie gingen hin und sahen in das Wasser. Dieses war brunnenhell; man konnte den Grund ganz deutlich erkennen und sah eine Reihe von Eindrücken, welche neben der Stelle, an welcher die Reiter den Bach überschritten hatten, von dem einen Ufer nach dem andern führte.

«Ehe die Reiter hinüber sind, «erklärte der Apache,»ist einer von ihnen abgestiegen, um die Tiefe des Wassers zu untersuchen. Es sind also dumme Menschen gewesen, denn jedes offene Auge sieht, daß das Wasser niemand bis über die Beine reicht. Und womit hat der Mann den Bach untersucht? Meine Brüder mögen es mir sagen.«

«Mit einer Hacke, deren Stiel er in der Hand gehabt hat. Das ist aus dem Eindrucke deutlich zu erkennen, «antwortete Old Firehand.

«Ja, mit einer Hacke. Diese Leute wollen also nicht jagen, sondern graben. Es war der rote Cornel.«

«Ich bin ganz derselben Meinung; dennoch aber müssen wir es für möglich halten, daß es auch andre gewesen sein können.«

«Dann könnten nur Goldgräber hier vorbei sein, «sagte Old Shatterhand.»Und das bestreite ich.«

«Aus welchen Gründen?«

«Erstens sind Goldgräber erfahrene Leute, welche nicht so unvorsichtig sind, und zweitens können wir bei den Spuren von vierzig Pferden auf vielleicht zehn Packpferde rechnen; bleiben dreißig Reiter; Goldgräber aber wandern nicht in so bedeutenden Trupps in den Bergen und Canons umher. Nein, es ist der rote Cornel mit seinen Leuten. Ich möchte es beschwören.«

«Auch ich bezweifle es nicht. Wo aber sind sie hin? Da drüben rechts abgebogen, also nicht weiter den Grand River hinab, sondern am Bache empor nach dem Thale der Hirsche. Sie reiten also den Utahs gerade in die Arme.«

«Das ist ihr Schicksal, welches sie sich selbst bereitet haben. Wir können es nicht ändern.«

«Oho!«rief Old Firehand.»Wir müssen es ändern.«

«Müssen? Warum? Haben sie es verdient?«

«Nein. Aber wir müssen den Plan, die Zeichnung haben, welche der Cornel gestohlen hat. Wenn wir diese Zeichnung nicht bekommen, erfahren wir nie, wo die Schätze des Silbersees liegen.«

«Das ist wahr. Du willst diesen Halunken nachreiten, um Sie zu warnen?«

«Um sie nicht zu warnen, sondern um sie selbst niederzuschlagen.«

«Das ist unmöglich. Bedenke, welchen Vorsprung sie haben!«

Old Firehand bückte sich nieder, um das Gras nochmals zu untersuchen und sagte dann im Tone der Enttäuschung:»Leider! Sie sind vor fünf Stunden hier gewesen. Wie weit ist es bis nach dem Hirschthale?«

«Vor Abend können wir es nicht erreichen.«

«So muß ich meine Absicht aufgeben. Sie befinden sich in der Gewalt der Roten, noch ehe wir die Hälfte des Weges zurückgelegt haben. Wie aber steht es mit den Boten, welche von den Yampa-Utahs nach diesem Thale geschickt werden sollten? Sie sind jedenfalls noch vor uns aufgebrochen, und wir haben doch keine Fährte von ihnen gesehen.«

«Diese Männer sind wohl nicht geritten, sondern gelaufen, «erklärte Winnetou.»Zu Fuß ist der Weg viel kürzer, da ein Mokassin über Stellen gelangen kann, an denen Pferd und Reiter die Hälse brechen würden. Meine Brüder mögen nicht an den Cornel denken, sondern daran, daß wir diese Spuren verwischen müssen.«