«Sei froh, daß es kein größeres Unglück gegeben hat! Wenn du eher kamst, warst du verloren!«
«Haben Sie keene Sorge! Der Hobble-Frank kommt niemals eher, als bis er den Sieg in beeden Händen hat. Was soll nun mit den Kerles geschehen? Ich alleene kann sie nich bewältigen.«
«Wir werden dir helfen. Jetzt rasch hinein! Da unten hat das Schießen aufgehört, und es steht zu erwarten, daß die Utahs nun zurückkehren.«
Die beiden besinnungslosen Indianer wurden in das Versteck gebracht und ebenso gebunden und geknebelt wie die andern. Dann postierte sich Winnetou mit Old Firehand an den Vorhang, um die Vorgänge draußen zu beobachten.
Ja, die Utahs kehrten zurück, und zwar als Sieger. Es wurde eine doppelte Anzahl Feuer angebrannt, mit deren Bränden man den Wald nach den Toten und Verwundeten durchsuchte. Die Navajos hatten die ihrigen mitgenommen, wie es bei den Indianern Sitte ist.
Bei jedem Toten, den man fand, erhob sich ein Klage- und Wutgeheul. Die Leichen wurden zusammengetragen, um ehrenvoll begraben zu werden. Man vermißte mehrere Personen, welche gefangen sein mußten. Unter diesen dachte man sich auch die drei Häuptlinge, welche verschwunden waren, ohne daß eine Spur von ihnen zu finden war. Bei dieser Entdeckung hallte der Wald wieder vom Gebrüll der ergrimmten Krieger. Die zwei noch übrigen Anführer riefen die hervorragenden Krieger zu einer Beratung, bei welcher laute, zornige Reden gehalten wurden.
Das brachte Winnetou auf den Gedanken, sich hinauszuschleichen, um vielleicht zu erfahren, was die Utahs beschließen würden. Dies wurde ihm gar nicht schwer. Die Roten waren überzeugt, ganz allein zu sein, und hielten also jede Vorsicht für überflüssig. Die zurückgeschlagenen Navajos kamen gewiß nicht wieder, und wenn dies auch geschah, so waren unten am Ausgange des Thales Wachen ausgestellt. Daß sich mitten im Thale noch viel gefährlichere Feinde als die Navajos befanden, davon hatte man ja keine Ahnung. So hörte Winnetou also alles, was vorgenommen werden sollte. Man wollte noch während der Nacht die Toten begraben; die Klaggesänge konnten für später aufgeschoben werden. Jetzt galt es, vor allen Dingen die gefangenen Häuptlinge zu befreien. Das war sogar noch notwendiger, als morgen die Ankunft Winnetous und seiner berühmten weißen Gefährten abzuwarten. Da diese hinauf nach dem Silbersee wollten, mußten sie unbedingt und auf alle Fälle in die Hände der Utahs fallen. Der Häuptlinge wegen mußte so schnell wie möglich aufgebrochen werden, um dieselben zu befreien. Darum sollten alle nötigen Vorbereitungen getroffen werden, um beim Grauen des Tages den Verfolgungsritt antreten zu können.
Jetzt zog Winnetou sich langsam und vorsichtig zurück. In der Nähe des Versteckes angekommen, sah er mehrere Pferde stehen. Diese Tiere waren während des Kampfes scheu geworden und hatten sich von den andern getrennt; es waren ihrer fünf. Da fiel dem Apachen ein, daß die Gefangenen doch transportiert werden müßten, drei Häuptlinge und ein Krieger. Dazu waren vier Pferde nötig. Kein Mensch befand sich in der Nähe. Die Tiere scheuten vor ihm nicht, weil er ein Indianer war. Er nahm eins derselben am Halfter und führte es nach dem Verstecke. Dort saß Old Firehand hinter dem Vorhange und nahm es in Empfang. Auf diese Weise wurden noch drei andre hineingeschafft; sie schnaubten zwar ein wenig, wurden aber von Winnetou sehr bald beruhigt.
Im Innern des Versteckes wurde niemand die Zeit lang. Es gab so viel zu erzählen, zu hören und — zu lauschen. Der Hobble-Frank hatte sich, natürlich in völliger Dunkelheit, an der Seite seines Freundes und Vetters niedergelassen. Früher war er nicht von dem dicken Jemmy gewichen und trotz aller scheinbaren Zerwürfnisse mit ihm stets ein Herz und eine Seele gewesen; seit er aber den Altenburger gefunden hatte, war das anders geworden. Droll wollte nicht gelehrt sein und ließ den Kleinen sprechen, ohne ihn jemals zu verbessern; das band den Hobble mit mächtiger Gewalt an ihn. Übrigens dachte Droll, der erfahrene Westmann, nicht etwa gering von dem Kleinen; er schätzte im Gegenteile dessen gute Eigenschaften in vollem Maße und freute sich auch jetzt aufrichtig über seine Heldenthat. Denn daß Frank erst den Häuptling und dann auch den andern Indianer niedergeschlagen hatte, war kein Werk etwa der Tolldreistigkeit, sondern der Überlegung und Geistesgegenwart. Diese That fand allgemeine Anerkennung, und alle hatten sich lobend ausgesprochen, nur einer noch nicht, nämlich der Lord. Jetzt aber holte er das Versäumte nach. Er saß an der andern Seite des Kleinen und fragte diesen:»Frank, wollen wir wetten?«
«Ich wette nich, «antwortete der Gefragte.
«Warum nicht?«
«Ich habe keen Geld dazu.«
«Ich borge es Ihnen.«
«Borgen macht Sorgen, sagen wir in Sachsen. Übrigens is es nich etwa christlich und kontributär-sozial, eenem armen Menschen Geld zu borgen, um es ihm durchs Wetten wieder abzuluxen. Da kommen Sie bei mir schief an die Ecke. Ich behalte mein Geld, ooch wenn ich keens habe.«
«Aber Sie würden vielleicht gewinnen!«
«Fällt mir gar nich ein! Durchs Wetten mag ich nich reich werden. Es ruht kein Segen drauf. Ich habe meine prinzipiellen Grund- und Gegensätze, in denen ich mich nun eenmal nich irre machen lasse.«
«Das ist schade. Ich wollte dieses Mal mit aller Absicht verlieren, als eine Art Belohnung für Ihre Heldenthat.«
«Een jedes Heldentum belohnt sich in seinem Innern ganz von selbst. Man trägt die accusative Anerkennung in seinen eegenen und heiligsten Herzenslokalitäten mit sich herum. Dem Verdienste seine Krone, und den andern nich die Bohne! Übrigens is es doch wohl een wenigstens multiplizierter Gebrauch, Fürschten und Helden durch eene Wette zu belohnen. Wer geben will, der mag doch geben, und zwar nich indirekt durch eine falsche Wette, sondern gleich direkt mit der Hand in den Mund. Das is in allen höheren Kulturschtaaten so Sitte, und darum wird's auch im Umkreise meiner Persönlichkeet nich andersch eingeführt.«
«So würden Sie es mir also nicht übelnehmen, wenn ich Ihnen ein Geschenk machte?«
«Sogar sehr! Schenken läßt sich der Hobble-Frank nischt; dazu hat er eene viel zu majestätische Ambition; aber een Andenken, so was der gewissenhafte Franzose een Subenir und Kataplasma nennt, das darf man mir schon reichen, ohne befürchten zu müssen, die Lyrasaiten meines Gemütes in mißgestimmte Nebenklänge zu komponieren.«
«Nun, dann haben Sie — ein Andenken also. Ich hoffe, daß Sie sich darüber freuen. Ich habe zwei und kann also eins entbehren.«
Er schob ihm eins seiner Prachtgewehre in die Hände. Frank aber schob es ihm zurück und sagte:»Hörnse, Mylord, Schpaß beiseite! Greifen Sie mich nich off demjenigen Punkte an, wo ich verderblich werden kann! Ich lächle gern und innig, aber ich kann ooch Kanonengesichter schneiden, wenn man meiner unbewachten Interferenz zu nahe tritt. Een kleener Scherz is gut und ooch für die Gesundheet leicht verdaulich; aber an der Nase zupfen, das kann ich mir nich gefallen lassen und laß ich mir nich gefallen; da denk' ich viel zu hoch und diagonal von mir!«
«Aber ich scherze ja nicht; es ist mein völliger Ernst!«
«Was? Sie wollen dieses Gewehr wirklich aus Ihrem Besitztum entlassen?«
«Ja, «entgegnete der Engländer.