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«Beleidige mich nicht!«brauste der andre auf.»Ich habe die Macht, euch alle zu verderben. Nimmst du uns die Bande ab, so soll euch verziehen werden. Thust du es aber nicht, so werdet ihr von tausend unbeschreiblichen Qualen erwartet!«

«Ich verlache deine Drohung; du befindest dich in unsrer Gewalt, und wir werden mit dir thun, was uns beliebt. Je ruhiger du dich in deine Lage fügst, desto erträglicher wird sie sein. Wir sind Christen und erfreuen uns nicht daran, unsern Feinden Schmerzen zu bereiten.«

Indem er dies sagte, befreite er den Navajo, welcher ein noch junger Mann war, von seinen Fesseln. Dieser sprang auf, reckte und dehnte seine Glieder und bat:»Gib diese Hunde in meine Hand, damit ich mir ihre Skalpe nehmen kann! Je milder du mit ihnen bist, desto mehr werden sie dich betrügen.«

«Du hast keinen Teil an ihnen, «antwortete Old Shatterhand» Du wirst vielleicht mit uns ziehen; aber wenn du es wagst, sie auch nur mit dem Finger zu berühren, würde ich dich mit meinen eigenen Händen töten, Nur wenn wir sie leben lassen, können sie uns Nutzen bringen; ihr Tod aber würde uns schaden.«

«Was könnte das für ein Nutzen sein?«fragte der Rote verächtlich.»Diese Hunde sind zu nichts gut.«

«Darüber habe ich dir keine Erklärung zu geben. Willst du sicher zu den Deinen gelangen, so hast du dich nach unserm Willen zu richten.«

Man sah es dem Gesichte des Navajo an, daß er nur ungern auf die Erfüllung seines Wunsches verzichtete, aber er mußte sich fügen. Um ihm einigermaßen zu Willen zu sein, übergab Old Shatterhand ihm die Bewachung der gefallenen Utahs und versprach ihm den Skalp desjenigen von ihnen, der es wagen würde, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Das beruhigte den Mann und war zugleich ein kluges Arrangement, da es jedenfalls keinen aufmerksameren und unermüdlicheren Aufseher geben konnte als ihn, der so lüstern nach den Kopfhäuten der Gefangenen war.

Nun galt es vor allen Dingen noch, die ermordeten Weißen zu besichtigen. Sie boten einen Anblick dar, dessen Beschreibung am besten unterlassen bleibt. Sie waren unter großen Qualen gestorben. Die Männer, welche bei den Leichen standen, hatten schon viel gesehen und erfahren; aber sie konnten sich eines Schauders nicht erwehren, als sie die zerstochenen Körper und verunstalteten Gliedmaßen der Toten erblickten. Die Tramps hatten geerntet, was und wie von ihnen gesäet worden war. Am schlimmsten war es dem Cornel ergangen. Er hing verkehrt am Marterpfahle, mit dem Kopf nach unten. Er war, ganz wie seine Gefährten, von allen Kleidern entblößt; die Roten hatten die Anzüge unter sich verteilt, und es war nicht das kleinste Stück derselben zu sehen.

«Jammerschade!«sagte Old Firehand.»Hätten wir doch eher kommen können, um die Ermordung dieser Leute zu verhindern!«

«Pshaw!«antwortete der alte Blenter.»Habt Ihr etwa auch noch Mitleid mit diesen Kerls? Und wenn wir zur rechten Zeit gekommen und es euch gelungen wäre, ihnen das Leben zu retten, der Cornel hätte doch sterben müssen. Mein Messer hätte auf alle Fälle ein Wort mit ihm gesprochen.«

«So war es nicht gemeint, denn ihren Tod bedauere ich nicht, wenn ich auch wünsche, daß derselbe ein weniger grausamer hätte sein mögen. Aber das Papier, das Papier, die Zeichnung, welche der Cornel bei sich trug! Die wollte ich haben; die brauchten wir! Und nun ist sie fort; jedenfalls verloren.«

«Vielleicht finden wir sie. Jedenfalls geraten wir noch mit den Utahs zusammen, und dann wird es wohl auf irgend eine Art zu ermöglichen sein, in den Besitz des Anzuges zu gelangen, den wir dann untersuchen werden.«

«Schwerlich! Wir kennen ja die Kleidungsstücke nicht, welche er zuletzt getragen hat; sie sind wohl nicht beisammen geblieben, sondern unter mehrere Rote verteilt worden. Wie will man sie wieder zusammenbringen? Die Zeichnung ist verloren, und jener alte Häuptling Ikhatschi-tabli, von welchem Engel sie erhalten hat, ist tot; ein zweites Exemplar ist ja nicht mehr zu bekommen.«

«Ihr vergeßt, «fiel Watson, der frühere Schichtmeister in Sheridan, ein,»daß dieser Häuptling einen Sohn und auch einen Enkel hatte, welche zwar nicht anwesend waren, aber doch eigentlich bei ihm am Silbersee wohnten. Sie werden, wie sich ganz von selbst versteht, das Geheimnis kennen und sind gewiß, ob im Guten oder im Bösen, das ist gleich, dazu zu bringen, es uns mitzuteilen.«

«Ein Indianer läßt sich zu so etwas nicht zwingen, besonders wenn es sich um Gold und Silber handelt; er stirbt lieber, als daß er dem verhaßten Weißen zum Reichtum verhilft.«

«Es fragt sich, ob er uns zu den Verhaßten zählt. Die beiden» Bären «sind vielleicht den Weißen freundlich gesinnt.«

«Die» beiden Bären?«fragte Old Firehand.»Hießen sie so?«

«Ja doch! Der» große «und der» kleine Bär«.«

«Alle Wetter! Wie konnte mir das entgehen! Jawohl, es fällt mir ein, daß das ihre Namen waren. Wie ist es nur möglich, daß ich nicht sofort an die beiden Tonkawa gedacht habe, welche sich mit uns auf dem Dampfer befanden! Nintropan-Hauey und Nintropan-Homosch, der» große Bär «und der» kleine Bär«, so hießen sie doch!«

«Die zwei Nintropan wohnen droben am Silbersee, «bestätigte jetzt Winnetou.»Ich kenne sie; sie sind meine Freunde und waren den Bleichgesichtern stets gewogen.«

«Wirklich? Das ist gut, sehr gut; denn da ist alle Hoffnung vorhanden, daß sie uns die gewünschte Auskunft geben werden. Leider gibt es jetzt Kampf dort oben, und die Utahs befinden sich zwischen uns und dem See. Wir werden wohl nicht hindurchkommen.«

«Wir brauchen nicht hindurch, nicht an den Utahs vorüber; denn ich kenne einen Weg, welchen noch kein Weißer und noch kein Utah betreten hat. Er ist zwar sehr beschwerlich, aber wenn wir bald aufbrechen, werden wir noch vor ihnen und sogar schon vor den Navajoes oben sein.«

«So wollen wir uns beeilen. Wir haben hier nichts mehr zu thun, als diese Weißen zu begraben, die wir doch nicht hängen lassen können. Das ist bald geschehen, wenn wir sie nebeneinander legen und mit Steinen bedecken. Dann machen wir uns sofort auf den Weg. Ich hoffe das beste, zumal wir so viele Geiseln haben und wir also die Utahs wohl zwingen können, auf friedliche Vorschläge einzugehen.«

Sechzehntes Kapitel

Am Silbersee

Es war eine gewaltige Scenerie, welche sich den Augen der Weißen bot, als sie nach einigen Tagen sich dem Ziele ihres beschwerlichen Rittes näherten. Sie ritten in einem langsam aufsteigenden Canon, an dessen beiden Seiten mächtig hohe Felsenmassen aufstarrten, und zwar in einem Farbenglanze, welcher die Augen beinahe blendete. Kolossale Sandsteinpyramiden, eine neben der andern stehend, oder sich coulissenartig vor- und hintereinander schiebend, strebten in einzelnen, verschieden gefärbten Lagerungen und Stockwerken zum Himmel empor. Bald bildeten diese Pyramiden gradlinige senkrechte Wände; bald waren sie mit ihren vielen Pfeilern und vorspringenden Ecken, Spitzen und Kanten mit steinernen Schlössern oder phantastischen Citadellen zu vergleichen. Die Sonne stand hoch, schräg über diesen großartigen Formationen und ließ dieselben in einer geradzu unbeschreiblichen Farbenpracht erglänzen. Gewisse Felsen schillerten im hellsten Blau, andre tief goldigrot; zwischen ihnen lagen gelbe, olivengrüne und im feurigsten Kupfer funkelnde Lagerungen, während in den Furchen ein gesättigt blauer Schatten ruhte. Aber dieses Gepränge, bei welchem dem Beschauer die Augen übergehen wollten, war ein totes; es fehlte ihm das Leben, die Bewegung. Es floß kein Wassertropfen zwischen diesen Felsen; kein Halm fand Nahrung auf dem tiefen Grunde, und an den starren Mauern war kein grünender Zweig, kein einziges Blatt, dessen Grün dem Auge wohlgethan hätte, zu bemerken. Aber daß es zu Zeiten hier Wasser gab, und zwar in gewaltiger Menge, das bewiesen die Spuren, welche zu beiden Seiten deutlich am Gestein zu erkennen waren. In diesen Zeiten bildete der jetzt trockene Canon das Bett eines Stromes, welcher seine reißenden Fluten tief und breit in den Colorado ergoß. Dann war die Schlucht wochenlang für jeden menschlichen Fuß gesperrt, und wohl schwerlich konnte ein kühner Westmann oder Indianer es wagen, sich den Wogen auf schwankem, gebrechlichem Canoe anzuvertrauen. Die Sohle des Canon bestand dementsprechend aus einer tiefen Lage rundgescheuerter Steine, deren Zwischenräume mit Sand ausgefüllt waren. Das gab eine sehr beschwerliche Bahn, denn die runden Steine wichen bei jedem Schritte unter den Hufen der Pferde und ermüdeten die Tiere so, daß man von Zeit zu Zeit Halt machen mußte, um sie ausruhen zu lassen. Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou ritten voran. Der erstere widmete der Umgebung eine auffällige Aufmerksamkeit. Man sah ihm an, daß er nach einer Stelle suchte, welche ihm jedenfalls von Wichtigkeit war.