«Wer ist da?«fragte er.
«Ich, Nintropan-Hauey, «antwortete es.
«Ach, der Indianer. Schlafe doch!«
«Hier ein Mann geschlichen; hat etwas Böses gethan; ich ihn gesehen; er aber schnell fort.«
«Wohin?«
«Nach vorn, wo Cornel liegen; er vielleicht selbst gewesen.«
«Pshaw! Wozu sollte er oder ein andrer hier schleichen! Schlafe und störe die andern nicht.«
«Ich schlafe, aber dann auch nicht schuld, wenn Böses geschehen.«
Der Offizier horchte nach vorn, und da sich dort nichts hören ließ, beruhigte er sich. Er war überzeugt, daß der Rote sich geirrt habe.
Es verging eine lange, lange Zeit; da wurde er von dem Ausguck nach dem Buge gerufen.
«Sir, «sagte der Mann,»ich weiß nicht, woran es liegen mag, aber das Wasser kommt schnell höher; das Schiff sinkt.«
«Unsinn!«lachte der Offizier.
«Kommt her und seht.«
Er blickte hinab, sagte nichts und eilte fort nach der Kajüte des Kapitäns. Nach zwei Minuten kam er mit diesem wieder auf das Deck. Sie hatten eine Laterne mit und leuchteten mit derselben über Bord. Eine zweite Laterne wurde geholt. Der Lieutenant stieg in die Hinter- und der Kapitän in die Vorderluke, um den Kielraum zu untersuchen. Die Tramps hatten sich von derselben entfernt. Nach schon kurzer Zeit kam er herauf und begab sich mit eiligen Schritten nach hinten zum Steuermann.
«Er will nicht Lärm schlagen, «flüsterte der Cornel den Seinen zu.»Aber paßt auf, daß der Steamer ans Ufer gehen wird!«
Er hatte recht. Die Matrosen und Arbeiter wurden heimlich geweckt, und das Schiff veränderte seine Richtung. Ohne einige Unruhe konnte das nicht geschehen; die Deckpassagiere erwachten, und einige Kajütenreisende kamen aus ihren Kabinen.
«Es ist nichts, Mesch'schurs; es hat keine Gefahr, «rief ihnen der Kapitän zu.»Wir haben etwas Wasser im Raume und müssen es auspumpen. Wir legen an, und wer Angst hat, kann einstweilen ans Ufer gehen.«
Er wollte beruhigend wirken; aber es fand das Gegenteil statt. Man schrie; man rief nach Rettungsgürteln; die Kabinen entleerten sich. Alles rannte durcheinander. Da fiel der Schein der Vorderlaterne auf das hohe Ufer. Das Schiff machte eine Wendung, daß es parallel zu demselben kam, und ließ den Anker fallen. Die beiden Landebrücken erwiesen sich als lang genug, sie wurden ausgelegt und die Ängstlichen drängten sich an das Land. Allen voran waren natürlich die Tramps, welche schnell im Dunkel der Nacht verschwanden.
An Bord geblieben waren außer den Schiffsleuten nur Old Firehand, Tom, Droll und der alte Bär. Der erstere war in den Raum gestiegen, um das Wasser zu sehen. Mit dem Lichte in der Rechten und dem Bohrer in der Linken kam er wieder herauf und fragte den Kapitän, welcher das Herbeischaffen der Pumpen beaufsichtigte:»Sir, wo hat dieser Bohrer seinen Platz?«
«Dort im Werkzeugkasten, «antwortete ein Matrose.»Er lag am Nachmittage noch drin.«
«Jetzt lag er im Zwischendeck. Die Spitze hat sich an den Schiffsplatten umgebogen. Ich wette, daß das Schiff angebohrt worden ist.«
Man kann sich den Eindruck, den diese Worte hervorbrachten, denken. Es kam ein Neuer dazu. Der Ingenieur hatte vor allen Dingen Frau und Tochter ans Ufer gebracht; dann war er auf das Schiff zurückgekehrt, um seinen Anzug zu vervollständigen. Jetzt kam er aus seiner Kabine und rief, daß alle es hörten:»Ich bin bestohlen! Neuntausend Dollar. Man hat das Gazefenster zerschnitten und sie mir vom Tische genommen!«
Und da rief der alte Bär noch lauter:»Ich wissen, Cornel hat gestohlen und Schiff angebohrt. Ich ihn sehen; aber Offizier nicht glauben. Fragen schwarzen Feuermann! Er trinken mit Cornel; er gehen fort in Salon und wischen Fenster; er kommen und trinken wieder; er sagen müssen alles.«
Sofort scharten sich der Kapitän, der Offizier, der Steuermann und die Deutschen um den Indianer und den Ingenieur, um sie genauer zu vernehmen. Da ertönte vom Lande, unterhalb der Stelle, an welcher das Schiff lag, ein Schrei.
«Das sein junger Bär, «rief der Indianer.»Ich ihn nachgeschickt dem Cornel, welcher schnell ans Land; er sagen wird, wo Cornel sein.«
Und da kam der junge Bär in eiligstem Laufe über die Landebrücke gesprungen und rief, auf den Fluß deutend, welcher von den vielen inzwischen angebrannten Lichtern des Schiffes weit hinaus erleuchtet wurde:»Dort rudern hinaus! Ich nicht gleich finden Cornel, dann aber sehen großes Boot, welches haben abgeschnitten hinten und hinein, um hinüber ans andre Ufer.«
Jetzt war die Hauptsache, wenn auch nicht alles klar. Man sah das entfliehende Boot. Die Tramps jubelten und schrieen höhnisch herüber, die Schiffsleute und ein großer Teil der Passagiere antworteten ihnen wütend. In der allgemeinen Aufregung achtete man nicht auf die Indianer, welche verschwunden waren. Endlich gelang es, der mächtigen Stimme Old Firehands, Ruhe herzustellen, und da hörte man auch eine andre Stimme unten vom Wasser herauf:»Der alte Bär kleines Boot geborgt. Er hinter dem Cornel her, um zu rächen. Kleines Boot drüben lassen und anbinden, Kapitän wird es finden. Häuptling der Tonkawa nicht lassen entkommen Cornel. Großer Bär und kleiner Bär müssen haben sein Blut. Howgh!«— Die beiden hatten sich das Vorderboot genommen und ruderten nun hinter den Flüchtigen her. Der Kapitän fluchte und schimpfte gewaltig, doch umsonst.
Während nun die Deckhands mit dem Auspumpen des Schiffes begannen, wurde der schwarze Feuermann verhört. Old Firehand trieb ihn mit scharfen Fragen so in die Enge, daß er alles gestand und jedes Wort berichtete, welches gesprochen worden war. Daraus erklärte sich nun alles. Der Cornel war der Dieb und hatte das Schiff angebohrt, um noch vor der Entdeckung des Diebstahles mit seinen Leuten an das Land entkommen zu können. Dem Neger sollte sein Verrat nicht ungestraft hingehen. Er wurde angebunden, damit er nicht entfliehen, sondern am Morgen die ihm vom Kapitän zu bestimmenden Hiebe erhalten könne. Gerichtlich war er freilich nicht zu belangen.
Es stellte sich sehr bald heraus, daß die Pumpen das Wasser leicht bewältigten und das Schiff sich nicht in Gefahr befand, sondern in kurzer Zeit die Fahrt fortsetzen konnte. Die Passagiere kehrten also von dem unwirtlichen Ufer an Bord zurück und machten es sich bequem. Der Zeitverlust kümmerte sie nicht, ja, viele freuten sich sogar über die interessante Unterbrechung der langweiligen Reise.
Am wenigsten Interesse konnte freilich der Ingenieur dieser Unterbrechung abgewinnen. Er war da um eine bedeutende Summe Geldes gekommen, welche er ersetzen mußte. Old Firehand tröstete ihn, indem er ihm sagte:»Noch ist Hoffnung vorhanden, das Geld wieder zu erhalten. Fahrt in Gottes Namen mit Eurer Frau und Tochter weiter. Ich treffe bei Eurem Bruder wieder mit Euch zusammen.«
«Wie? Ihr wollt mich verlassen?«
«Ja, ich will diesem Cornel nach, um ihm seinen Raub abzujagen.«
«Aber das ist doch gefährlich!«
«Pshaw! Old Firehand ist nicht der Mann, sich vor diesen Tramps, denn das sind sie gewiß, zu fürchten.«
«Und dennoch bitte ich Euch, es zu unterlassen. Ich will die Summe lieber verlieren.«
«Sir, es handelt sich nicht bloß um Eure neuntausend Dollar, sondern um mehr. Die Tramps haben durch den Neger erfahren, daß auch Tom Geld bei sich hat, auf welches seine Gefährten am Black-bear-Flusse warten. Ich täusche mich gewiß nicht, wenn ich meine, daß sie sich dorthin wenden, um ein neues Verbrechen auszuführen, bei welchem es sich um Menschenleben handeln kann. Die beiden Tonkawa sind wie gute Schweißhunde hinter ihnen her und beim Anbruche des Tages folgen wir ihrer Fährte, nämlich ich, Tom, Droll und dessen Knabe Fred. Nicht wahr, Mesch'schurs?«