Выбрать главу

Freilich stimmte ihn der Titel „Der Weise", den Goodwin dem Scheuch verliehen hatte, etwas bedenklich.

„Nehmen wir an, der Scheuch ist ein weiser Mann. Dafür besitze ich aber Kraft. Was kann ihm die Weisheit nützen, wenn ich über eine mächtige Armee verfüge, er aber nur einen Soldaten besitzt, den Langbart. Zwar ist ihm der Eiserne Holzfäller ein verläßlicher Bundesgenosse, aber er wird ja gar nicht dazukommen, ihm zu helfen ... Mein Beschluß steht fest: Ich ziehe aus, die Smaragdenstadt zu erobern."

Guamoko billigte den Plan ihres Herrn, und bald setzte sich Urfins Armee in Bewegung. In wenigen Tagen erreichte sie die erste Schlucht, die den gelben Backsteinweg unterbrach. Hier ereignete sich folgendes.

Die Holzsoldaten waren gewöhnt, auf ebener Erde zu gehen, und hatten keine Ahnung, was eine Schlucht ist. Als die erste Reihe mit Unteroffizier Arum an der Spitze an den Rand des Abgrunds kam, beachtete sie diesen nicht und stürzte in die Tiefe. Sekunden

später kündete ein Dröhnen an, daß die tapferen Krieger auf dem Grunde gelandet waren. Das war für die anderen jedoch keine Lehre. Die zweite Reihe folgte der ersten. Da schrie Urfin mit angstverzerrtem Gesicht: „General! Laßt die Armee halten!" Lan Pirot kommandierte: „Alles halt!"

Es hatte nicht viel gefehlt, und die ganze Holzarmee wäre umgekommen. Nun mußten die Gestürzten aus der Schlucht herausgeholt und repariert werden. Diese Arbeit und der Bau einer verläßlichen Holzbrücke nahmen fünf Tage in Anspruch.

Als die Armee die erste Schlucht überwunden hatte, trat sie in einen Wald, von dem man sich im Lande grausige Dinge erzählte. Dort hausten riesige Tiger, von ungeheurer Kraft und schrecklichem Aussehen. Scharfe Hauer, so lang wie Säbel, ragten ihnen aus dem Rachen. Deshalb wurden sie Säbelzahntiger genannt. Die Käuen erzählten sich viele schreckliche Geschichten vom Tigerwald. Urfin blickte ängstlich nach allen Seiten.

Unheimliche Stille herrschte ringsum. Riesige Bäume, an denen graue Moosgirlanden herabhingen, bildeten ein grünes Gewölbe, unter dem es dunkel und feucht war. We lkes Laub bedeckte den gelben Backsteinweg und dämpfte die schweren Schritte der Holzköpfe.

Eine Weile ereignete sich nichts. Plötzlich aber stürzte Lan Pirot auf Urfin zu. „Gebieter!" schrie er, „in den Büschen lauern wilde Tiere. Sie haben gelbe Augen und weiße Säbel im Rachen... " „Die Säbelzahntiger", rief Urfin entsetzt.

Hinter den Bäumen funkelten zahllose Lichter: die Augen der Bestien. „General! Macht die Armee kampfbereit!" „Zu Befehl, Gebieter!"

Holzsoldaten mit Knüppeln und Säbeln bildeten einen Ring um Urfin. Die Säbelzahntiger knurrten und fauchten im Dickicht, wagten aber nicht, anzugreifen, denn das ungewöhnliche Aussehen der Fremden verwirrte sie. Außerdem witterten sie keine Menschen, die ihr liebster Leckerbissen waren. Plötzlich brachte jedoch ein Windhauch Urfins Geruch an sie heran. Zwei Tiger, die hungriger und ungeduldiger waren als die anderen, faßten sich ein Herz, duckten sich und schnellten aus dem Dickicht. Aber noch ehe ihre gebäumten Körper auf die Mitte des schützenden Kreises um Urfin niedergingen, zückten die Unteroffiziere auf Lan Pirots Befehl blitzschnell ihre Säbel, und diese bohrten sich in die Leiber der aufheulenden Bestien. Im nächsten Augenblick trafen die Knüppel der Soldaten die Köpfe und Flanken der Tiger, die tot zu Boden fielen. Die Holzköpfe zerrten ihre zerschundenen Leiber an den Rand des Weges, während Urfin vor Freude hüpfte und der Armee sein Lob aussprach.

Die anderen Tiger waren über den Vorfall so entsetzt, daß sie keinen neuen Angriff wagten. Sie kauerten eine Weile in den Büschen, funkelten mit den Augen, knurrten noch anstandshalber und verkrochen sich dann beschämt im Gehölz. Urfin dachte zuerst, die Felle der toten Tiere zu beleben. Er würde dann Diener haben, sagte er sich, wie es keine stärkeren im ganzen Wunderland gab. Schon hatte er befohlen, den Tigern die Felle abzuziehen, als er sich eines Besseren besann, und den Befehl

widerrief. Er befürchtete nämlich, die Bestien würden sich nach ihrer Wiederbelebung

gegen ihn erheben und ihm Scherereien bereiten, denen er nicht gewachsen wäre.

Vor der zweiten Schlucht blieben die Holzköpfe selber stehen.

Eine Brücke wurde gebaut, und die Armee setzte ihren Weg fort. Dann kam sie auf ein

weites Feld, das Urfin wieder Ärgernisse brachte, die er weder ahnen noch voraussehen

konnte.

Die Holzköpfe hatten in ihrem kurzen Leben sehr wenig Erfahrungen gemacht, und wenn sie etwas Neues sahen, waren sie verwirrt und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Wären sie an eine dritte Schlucht gekommen, so hätten sie gewiß Vorsicht walten lassen. Zum Unglück kamen sie aber an einen großen Fluß, den man überqueren mußte, um aus dem Land der Käuer in die Smaragdenstadt zu gelangen. Bisher hatten die Holzköpf e aber nur kleine Rinnsale gesehen, über die sie einfach hinwegschritten. General Lan Pirot glaubte, die glatte Fläche des Flusses sei eine nein Art von Straße, über die es sich bequem gehen ließe. Noch ehe Urfin einen Gedanken fassen konnte, brüllte der Generaclass="underline" „Mir nach, meine tapferen Soldaten!" und raste, von den gehorsamen Holzköpfen gefolgt, die Böschung hinunter zum Fluß.

Das Wasser am Ufer war tief, die Strömung reißend. Sie erfaßte den General, die Unteroffiziere und Soldaten, wirbelte sie herum und warf sie gegeneinander. Vergeblich rannte Urfin in heller Verzweiflung am Ufer entlang und schrie gellend: „Halt, Holzköpfe! Halt!"

Die Soldaten gehorchten aber nur den Befehlen ihres Generals, außerdem begriffen sie nicht, was geschehen war, und stürzten, ein Zug nach dem anderen, ins Wasser. Nach drei Minuten stand der Eroberer ohne Armee da. Der Fluß hatte alle Soldaten fortgetragen.

Urfin raufte sich die Haare vor Wut und Verzweiflung. Da sagte die Eule zu ihm:

„Gräm dich nicht, Gebieter! Ich war in meinen jungen Jahren in dieser Gegend und kann mich erinnern, daß der Fluß einige Meilen von hier mit Schilf bewachsen ist. Dort werden unsere Krieger bestimmt steckenbleiben . . ."

Urfin beruhigte sich ein wenig. Er lud das unversehrt gebliebene Tischlerwerkzeug auf

Meister Petz' Rücken und ging das Ufer entlang flußabwärts. Nach anderthalbstündigem

schnellem Marsch kam er an eine Stelle, wo der Fluß breiter und seichter wurde. Im

Wasser zeigte sich Schilfdickicht, in dem sich bunte Punkte bewegten. Urfin atmete

erleichtert auf. Er hatte in den Punkten seine Holzsoldaten erkannt.

Als er Lan Pirot unter ihnen gewahrte, schrie er:

„Hallo, General! Befehlt den Holzköpfen, ans Ufer zu schwimmen!"

„Was bedeutet das, schwimmen?" fragte Lan Pirot.

„Na, meinetwegen könnt ihr waten, wenn's seicht ist."

„Was ist das, waten?"

Urfin spuckte wütend aus und beschloß, ein Floß zu bauen. Die Rettung der Armee nahm mehr als 24 Stunden in Anspruch. Die Holzsoldaten sahen aber jämmerlich aus: Ihre Farbe blätterte ab, die vom Wasser gequollenen Arme und Beine bewegten sich kaum. Eine längere Rast war notwendig. Die Soldaten lagen zugweise, vornean die Unteroffiziere, am Ufer und trockneten, während Urfin sein großes Floß zimmerte.

Der gelbe Backsteinweg führte von da aus nach Norden weiter. Man konnte leicht

erkennen, daß sich schon lange niemand um ihn gekümmert hatte: Er war von Gestrüpp

überwuchert, und nur in der Mitte lag ein schmaler Streifen frei.