Nein, das wollte er nicht. Er wollte einen Sohn, auf den er stolz sein konnte. Mit Bessie. Aber angesichts Elsies aufflammender Wut zögerte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie du schwanger geworden sein sollst«, entgegnete er kleinlaut. »Wie ist es passiert?«
Das war die Frage, auf die sie gewartet hatte. Mit einem mit leiser Stimme hervorgebrachten Wortschwall fiel sie über ihn her und beschwor ihn, ihr zu glauben. Der Arzt habe ihr erklärt, dass intime Zärtlichkeiten weit gefähr- liher waren, als die meisten Leute ahnten. Die meisten Kinder seien nicht geplant gewesen, sondern durch Missgeschick entstanden. Eine Frau brauchte einen Mann nur zu berühren, damit seine Spermien in sie hineinwandern konnten.
Norman schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie denn?«
»Wenn sie sich danach selbst berührt. Hier…« Sie wies abwärts.
Konnte das stimmen?
»Ich habe deine Knöpfe aufgemacht«, fuhr sie fort. »Da muss es passiert sein.« Sie senkte die Stimme zu einem bedeutungsschweren Flüstern. »Du weißt doch, ich war nackt.«
Norman ballte die zwischen seinen Knien herabhängenden Hände zu Fäusten und starrte zum Tisch hinunter. Obwohl er mit Bessie oft genug im Bett gewesen war, beschränkte sich sein Wissen über den Zeugungsvorgang auf das, was seine Hühner ihm vormachten. »So einfach kann es unmöglich sein, Else. Satan muss immer richtig ran.«
»Satan ist ein Huhn, Bärchen. Bei Menschen ist das anders.«
Wirklich?
Er wünschte, er könnte Bessie fragen. Oder auch seinen Vater. Auch als die Bedienung ihnen den Tee und die Scones brachte, plapperte Elsie ungeniert weiter von der kleinen Familie, die sie im kommenden Sommer schon sein würden. Doch ihr fröhlicher Ton klang gekünstelt, als ginge es ihr mehr darum, Fremde zu überzeugen als Norman.
Als er sie später zum Bahnhof brachte, befahl sie ihm, so schnell wie möglich alles für die Hochzeit vorzubereiten. »Ich sage meinen Eltern, dass es noch vor Weihnachten so weit ist.«
Den Kuss, den sie ihm geben wollte, lehnte er ab. »Du hältst eine Menge für selbstverständlich, Elsie.«
»Sollte ich das nicht?«, fragte sie mit einem Zittern der Furcht in der Stimme. »Es ist dein Kind, Norman. Du musst mich heiraten.«
»Und wenn ich es nicht tue?«
»Dann bringe ich mich um«, schluchzte sie unter Tränen. »Und das ist dann deine Schuld.«
Als Bessie an diesem Abend zu ihm kam, fragte er sie, ob eine Frau schon schwanger werden könne, wenn sie das Glied eines Mannes berührte, solange er noch seine Kleider anhatte. Sie kicherte. »Du meinst, so?«, fragte sie und griff ihm zwischen den Beinen an die Hose.
»Nein. Wenn sie ihre Hand durch den Hosenschlitz schiebt — und sich danach selber anfasst.«
»So?« Sie knöpfte seine Hose auf und berührte kurz seinen Penis, bevor sie sich unter den Rock griff.
Er fasste sie um die Mitte und drückte seine Lippen an ihren Hals. »Ich habe heute Morgen einen Kerl getroffen, der sagte, seine Schwester wäre auf die Weise schwanger geworden.«
»Er lügt«, erklärte Bessie und lachte wieder. »Die Frau hat's bestimmt getrieben, dass die Wände gewackelt haben, und jetzt hat sie Angst vor ihren Eltern.«
»Genau das habe ich mir auch gedacht.«
»Wer ist der Kerl?«
»Kennst du nicht.« Er drückte sie sachte zum Bett hinunter. »Und ich würde es dir auch nicht sagen. Wenn die Frau lügen will, ist das ihre Sache.«
»Man darf nur nicht so blöd sein, solchen Quatsch zu glauben. Wenn anfassen genug wäre — da wären alle Frauen auf der Welt schwanger.«
Blackness Road
Crowborough
Sussex
25. November 1924
Liebe Elsie,
ich habe lange über das nachgedacht, was Du mir gestern gesagt hast, und ich muss Dir sagen, ich glaube nicht, dass Du schwanger bist. Aus diesem Grund werde ich wegen der Hochzeit nichts unternehmen. Es gibt ein paar Dinge, die ich Dir nicht gesagt habe. Das ganze letzte Jahr war sehr schwierig für mich. Der Hof ist verschuldet, und jemand anders hat mir über meine Schwierigkeiten hinweggeholfen. Ich bin im Moment in einem großen Zwiespalt und brauche Zeit, um mir über eine Entscheidung klar zu werden.
Dein
86 Clifford Gardens
Kensal Rise
London
26. November 1924
Mein einziger liebster Norman,
ich verstehe das nicht. Natürlich bin ich schwanger. Warum willst Du mir das nicht glauben? Und wer ist dieser jemand anders? Ich finde wirklich, Du schuldest mir eine Erklärung.
Deine Dich liebende
Blackness Road
Crowborough
Sussex
27. November 1924
Liebe Elsie,
ich habe Dir nicht gesagt, dass spätabends immer eine Frau zu mir kommt. Es hat angefangen, als Du wieder eine Nervenkrise hattest und wieder einmal vom Leben nichts mehr wissen wolltest. Ich habe einfach die Hoffnung verloren, dass wir jemals miteinander glücklich werden. Diese andere Frau ist anders. Sie bringt mich zum Lachen und unterstützt mich, wenn es einmal ganz schlimm ist. Ich empfinde sehr viel für sie, sonst hätte ich nicht getan, was ich getan habe.
Es tut mir leid.
Dein
Blackness Road
Crowborough
Sussex
27. November 1924
Lieber Dad,
ich könnte Deinen Rat gebrauchen. Ich stecke in Schwierigkeiten mit dem Hof und mit Elsie. Wäre es Dir möglich, mich in den nächsten Tagen mal zu besuchen?
Tut mir leid, wenn ich Dir Umstände mache.
Dein Dich liebender Sohn,
86 Clifford Gardens
Kensal Rise
London
28. November 1924
Lieber Norman,
Du hast mir das Herz gebrochen. Ich hätte nie gedacht, dass Du mich so belügen könntest. Ich habe mich Dir hingegeben und Dir meine ganze Liebe geschenkt, und Du hast mich betrogen. Wie armselig muss ein Mann sein, der seine Frau im Stich lässt, nur weil sie schlechte Nerven hat. Es ist Dir anscheinend ganz gleich, wie es mir geht. Du schreibst nicht ein einziges Wort von Liebe, obwohl ich zu Dir gestanden habe, als Du keine Arbeit hattest.
Ich erwarte, dass Du mit dieser Frau Schluss machst und mich heiratest. Teile mir postwendend mit, welchen Tag Du gewählt hast. Ich werde Dich immer und ewig lieben, trotz allem, was Du getan hast.
Deine Dich liebende
KAPITEL 8
Blackness Road — Sonntag, 30. November 1924
Norman erschrak fast zu Tode, als Elsie ihm auf den Arm schlug. Er machte gerade die Hühnerställe sauber und hatte die Straße nicht im Blick. Er summte vor sich hin und dachte an Bessie.
»Was zum Teufel -« rief er, duckte sich und riss abwehrend die Arme in die Höhe. Er hatte überhaupt nicht mit Elsie gerechnet.
Sie schlug mit beiden Fäusten auf ihn ein. »Ich hasse dich«, schrie sie ihn an. »Wer ist die andere Frau? Wie heißt sie? Warum hast du auf meinen Brief nicht geantwortet?«
Norman wehrte die Schläge ab. Er hatte sie noch nie so außer sich erlebt. Ihr Haar war wirr, ihr Gesicht rot vor Wut. »Ich habe deinen Brief erst heute Morgen bekommen«, log er.