»Darf ich mal?«
Norman schob ihm einen Stuhl hin. »Bitte sehr.«
Der Inspector stieg hinauf und musterte den Balken. »Er ist sehr sauber. Auf dem oberen Balken liegt Staub — auf dem hier nicht.«
»Zum oberen kommt man schwerer hinauf. Wenn ich da oben etwas aufbewahren würde, könnte ich es nicht herunterholen.«
»Aber wie kommt es, dass da oben keine Federn liegen, Mr. Thorne? Sie scheinen hier ja sehr gründlich sauber gemacht zu haben.«
»Ich tue, was ich kann. Man sollte die Dinge nicht schleifen lassen, nur weil man allein lebt.«
Der Inspector sprang vom Stuhl und schob diesen wieder an den Tisch. »Aber draußen, wo die Hühner sind, sehen Sie das anscheinend nicht so? Die Ausläufe sehen aus wie durchgepflügt.«
»Daran sind die Hühner schuld. Die scharren nach Würmern.«
Der Bursche hatte auf alles eine Antwort, dachte der Inspector. Er beobachtete Norman genau, als er seine nächste Frage stellte. »Wieso ist Elsie am Tag ihres Verschwindens die Blackness Road hinuntergegangen, Mr. Thorne?«
Normans Augen weiteten sich ein wenig. »Ich verstehe nicht.«
»Zwei Zeugen haben sie um zehn nach fünf gesehen. Sie sagten, sie sei in Richtung Ihres Hofs gegangen.«
»Das kann nicht Elsie gewesen sein.«
»Sie erkannten sie auf der Fotografie, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben.«
»Gut, aber sie ist nie angekommen«, erklärte Norman entschieden. »Ich schwöre auf die Bibel, dass ich Elsie Cameron seit Ende November nicht mehr gesehen habe.«
Blackness Road
31. Dezember
Meine liebste Bessie,
ich habe Dich schon so lange nicht mehr gesehen. Ich hatte so sehr gehofft, wir könnten Weihnachten zusammen feiern. Aber allmählich bessert sich die Lage hier. Die Reporter sind weg, und die Polizei glaubt mir jetzt, dass Elsie nicht hier war. Ich frage mich inzwischen, ob sie sich irgendwo heimlich das Leben genommen hat. Sie hat immer damit gedroht, dass sie das tun würde, wenn ich sie enttäusche.
Sie hatte eine merkwürdige Art und keine sehr liebevollen Eltern. Sie haben sie mir aufgedrängt, weil sie von ihren Launen genug hatten. Ich hätte auf meinen Vater hören sollen. Aber wie Du immer sagst, ich war zu jung, um zu wissen, worauf ich mich einließ.
Großes Ehrenwort, Liebste, was ich für Dich empfinde, habe ich für keine andere Frau empfunden. Zu Elsie fühlte ich mich aus Einsamkeit hingezogen. Zu Dir fühle ich mich aus Liebe hingezogen. Liebste Freundin, Du hilfst mir durch die dunklen Stunden. Ich hoffe, dieser Alptraum wird bald vorbei sein, und wir können wieder zusammen sein.
Dein Dich liebender
Groombridge Road
Crowborough
13. Januar
Lieber Norman,
entschuldige, dass ich nicht früher geantwortet habe, aber ich hatte in der Arbeit viel zu tun. Ich glaube, es ist besser, wir sehen uns vorläufig eine Zeitlang nicht. Mein Vater möchte nicht, dass ich mich mit Dir treffe, solange die Polizei noch da ist. Sonst gibt es vielleicht Klatsch. Ich schreibe, wenn ich kann. Meine Eltern sind allerdings nicht allzu erfreut darüber.
Alles Liebe
KAPITEL 11
Wesley Geflügelfarm, Blackness Road — 14. Januar 1925
Ein Schatten verdunkelte die Türöffnung der Hütte. Als Norman von Bessies Brief aufschaute, sah er dort einen Fremden stehen. Hastig wischte er sich mit dem Ärmel seines Pullovers die Tränen aus den Augen. »Ja, was ist?«, fragte er.
»Chief Inspector Gillan, Scotland Yard, Mr. Thorne. Ich bin gekommen, um Sie festzunehmen.«
»Weswegen?«
»Im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Miss Elsie Cameron. Wir haben einen richterlichen Beschluss, der uns erlaubt, Ihr Grundstück umzugraben.«
Norman sah an ihm vorbei zu den Polizeibeamten, die draußen auf Spaten gestützt warteten. »Wo ist der andere Inspector geblieben?«
»Scotland Yard wurde vor einer Woche zugezogen. Seit Ihre Nachbarin, Mrs. Annie Price, vor der Polizei von Sussex ausgesagt hat, leite ich die Ermittlungen in diesem Fall. Sie hat Miss Cameron am Abend des 5. Dezember um fünf Uhr fünfzehn bei Ihnen durchs Tor gehen sehen. «
Norman kannte Annie Price. Sie war eines der von Bessie verachteten „Weiber”, die nichts anderes zu tun hatten, als hinter der Gardine zu stehen und ihre Nachbarn zu bespitzeln. »Das war nicht Elsie«, sagte er.
Der Chief Inspector trat in die Hütte. »Wer war es dann, Mr. Thorne?« Über Normans Schulter hinweg las er Bessies Brief. »Miss Coldicott?«
»Es war überhaupt niemand. Ich war allein hier.«
Gillan schob dem jungen Mann eine Hand unter den Arm und zog ihn auf die Füße. »Ich wette, Elsie liegt irgendwo unter dem Dreck hier, Norman. Aber wenn ich mich irre, werde ich der Erste sein, der sich entschuldigt.«
Vier Stunden später wurde Norman aufgefordert, sich zum Inhalt einer Brühwürfeldose zu äußern, die unter einem Haufen Müll in seinem Geräteschuppen entdeckt worden war. Sie enthielt eine beschädigte Armbanduhr, etwas billigen Schmuck und ein Armband.
»Gehören diese Sachen hier Elsie Cameron?«, fragte Gillan ihn.
»Ja, aber es ist nicht so, wie Sie denken. Sie hat sie dort versteckt, als sie das letzte Mal hier war.«
»Warum? Sie sind doch gar nichts wert.«
Die Frage brachte Norman aus der Fassung. »Keine Ahnung«, antwortete er. »Sie hat mir nicht gesagt, warum.«
Am nächsten Morgen früh um halb zehn zeigte ihm Gillan Elsies kleine Reisetasche. Sie war völlig durchnässt und starrte vor Schmutz. »Erkennen Sie irgendetwas von den Sachen?« Er nahm das Babykleidchen, die zwei Paar Schuhe, den Waschbeutel und eine kaputte Brille heraus.
Norman betrachtete die Gegenstände mit aufgerissenen Augen.
»Die Reisetasche war in der Nähe Ihrer Hütte vergraben. Wir glauben, dass dies Miss Camerons Brille ist. Wer hat sie dahingelegt?«
Norman antwortete nicht.
»Wenn wir ihren Leichnam finden, werden Sie wegen Mordes angeklagt werden. Haben Sie das verstanden? Und auf Mord steht der Tod durch den Strang. Möchten Sie mir vielleicht irgendetwas sagen, was Ihr Leben retten könnte?«
Norman befeuchtete seine spröden Lippen. »Nein«, antwortete er flüsternd.
Zehn Stunden später überlegte er es sich anders. Abends um acht bat er darum, mit Chief Inspector Gillan sprechen zu dürfen.
»Ich habe Elsie nicht getötet«, sagte er, »aber ich weiß, wo ihre Leiche liegt. Sie liegt unter dem Auslauf für die Leghorns.«
»Wollen Sie eine Aussage machen, Norman?«
»Ja.«
»Dann muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass alles, was Sie sagen, zu Protokoll genommen wird und gegen Sie verwendet werden kann.«
Polizeidienststelle Sussex
Aussage von Norman Thorne am 15. Januar 1925 um 20 Uhr 15
Ich war überrascht, als Elsie am Freitag, dem 5. Dezember, auf den Hof kam. Es war kurz nach fünf Uhr abends. Sie war ziemlich aufgebracht. Als ich ihr Tee und ein Butterbrot machte, beruhigte sie sich. Ich fragte sie, warum sie gekommen sei und wo sie übernachten wolle.
Sie erklärte, sie würde in der Hütte übernachten. Und sie sei entschlossen, so lange zu bleiben, bis wir heirateten. Ich sagte, das ginge nicht, und daraufhin gab es einen kleinen Streit. Um halb acht ging ich zu den Coshams, um zu fragen, ob sie für die Nacht ein Zimmer für sie hätten. Aber sie waren nicht da.
Als ich zum Hof zurückkam, war Elsie sehr aufgebracht. Wir stritten uns wegen Bessie Coldicott. Elsie weinte, weil ich ihr untreu gewesen war. Ich machte ihr ein gekochtes Ei, um sie zu trösten. Sie beruhigte sich wieder, bis ich ihr so gegen halb zehn sagte, dass ich zum Bahnhof müsse, um Bessie abzuholen.