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Man konnte keinen zwingen zu heiraten, bevor er dazu bereit war.

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86 Clifford Gardens

Kensal Rise

London

30. Januar 1923

Mein liebster Norman,

jetzt ist das Schlimmste überhaupt passiert. Mr. Hanley hat mir heute gekündigt, Deine kleine Elsie hat also keine Arbeit mehr. Er war so gemein, Liebster. Er hat gesagt, dass er mich wegen der anderen entlässt. Sie haben wieder Lügenmärchen über mich erzählt, und nur, weil sie es nicht ertragen können, dass ich glücklich bin. Sie sind neidisch auf meinen Ring und neidisch, dass ich verlobt bin. Ich hasse sie alle miteinander.

Mein Vater sagte, ich muss mir eine neue Stellung suchen, aber das muss ich nicht, wenn wir bald heiraten können. Bitte sag, dass das geht. Ich kann es nicht erwarten, Deine Frau zu werden, Bärchen. Ich könnte mir in Deiner Nähe eine Stellung als Stenotypistin suchen und jeden Abend heim in die Hütte kommen. Wir schaffen das leicht, wenn ich verspreche, mit Kindern ein oder zwei Jahre zu warten.

Ach, mein Liebster, ich liebe Dich so sehr. Bitte, bitte sag ja.

Deine Dich liebende

Elsie xxx
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Blackness Road

Crowborough

Sussex

3. Februar 1923

Liebe Elsie,

Es tut mir leid, dass Du Deine Arbeit verloren hast, aber ich finde, Dein Vater hat recht. Du musst Dir in London eine neue Stellung suchen. In der Hütte kann man nicht leben, und keine Ehefrau kann versprechen, keine Kinder zu bekommen. Sie kommen einfach, ob es einem nun passt oder nicht.

Zur Zeit ist es so kalt, dass das Trinkwasser für die Hühner jede Nacht gefriert. Ich muss im Mantel schlafen, um nicht auch zu Eis zu erstarren. Das würde Dir überhaupt nicht gefallen. Und niemand stellt eine Stenotypistin ein, die weder sich selbst noch ihre Kleider ordentlich waschen kann.

Geduld ist eine Tugend, Elsie. Wenn wir jetzt heiraten, werden wir bestimmt nicht so glücklich werden, wie wenn wir damit noch etwas warten. Deshalb ist es meiner Ansicht nach besser, geduldig zu sein.

Ich wünsche Dir, dass Du schnell eine neue Arbeit findest.

Dein Dich liebender

Norman

KAPITEL 4

Wesley Geflügelfarm, Blackness Road — Sommer 1923

Mit der Zeit graute Norman vor Elsies Wochenendbesuchen. Die Fröhlichkeit des vergangenen Jahres war Wutausbrüchen und tiefer Niedergeschlagenheit gewichen. Sie nörgelte ständig an ihm herum: weil er sich weigerte, einen Hochzeitstermin festzusetzen; weil er kein Geld hatte; weil sie sich elend fühlte, was, wie sie sagte, seine Schuld war.

Plötzlich konnte sie sich in keiner Stellung länger halten. Nachdem sie neun Jahre lang bei derselben Firma gearbeitet hatte, war ihr jetzt innerhalb von fünf Monaten dreimal gekündigt worden. Auch daran gab sie Norman die Schuld.

»Dauernd fragen sie mich, wann ich heirate, und ich kann ihnen keine Antwort geben«, sagte sie. »Hinter meinem Rücken lachen sie mich aus.«

»Bestimmt nicht, Else. Jeder weiß doch, dass man erst ein bisschen was auf der hohen Kante haben muss, wenn man heiraten will. Es gibt massenhaft Burschen und Mädchen, denen es genauso geht wie uns.«

Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Doch, sie machen sich über mich lustig — und dafür hasse ich sie. Ich kann nicht in einem Büro arbeiten, wo die Leute mich dauernd schief anschauen.«

»Bist du sicher, dass es nicht von dir ausgeht? Wenn man jemanden schief ansieht, sieht der dich natürlich auch schief an. Ist doch klar.«

Aber solche Dinge sagte man besser nicht. Mr. Cameron hatte ihn ja schon darauf hingewiesen, dass man seiner Tochter am besten ihren Willen ließ. Und ihr „ihren Willen lassen” bedeutete, dass Norman allem zustimmen musste, was sie sagte. Elsie hatte niemals Schuld. Wenn in ihrem Leben etwas schiefging, waren immer die anderen schuld.

Manchmal glaubte Norman es sogar. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er ihr zuerst Hoffnungen gemacht und diese dann wieder zerstört hatte. Aber wenn er sich nicht mit ihr verlobt hätte, wäre sie noch unglücklicher gewesen. Ein Ring bewies, dass er sie liebte. Und erlaubte ihm, sie zu berühren.

War das vielleicht einer der Gründe, warum ihm auf einmal vor ihren Besuchen graute? Es blieb jetzt nicht mehr dabei, dass er sich brav an ihren bekleideten Körper drückte. Nun durfte er sie entkleiden und ihre nackte Haut fühlen, wenn sie in Stimmung war. Mehr allerdings durfte er nicht. Wenn er ihr seine Liebe wirklich beweisen wollte, musste er ihr zeigen, dass er seine Triebe beherrschen konnte.

»Ich bewahre mich für unsere Hochzeitsnacht, Bärchen. Eine Frau muss rein in die Ehe gehen. Du darfst alles andere, nur nicht mit mir schlafen. Das wäre eine Sünde.«

Wenn sie nicht da war, träumte er von ihr, und wenn sie da war, packte ihn die Wut. »Erst reizt du mich und dann schreist du „Hände weg!”«, sagte er jedes Mal wütend, wenn sie ihn wegstieß. »Das kannst du nicht machen. Ich habe Gummis. Warum nehmen wir die nicht?«

»Das ist unanständig.«

»Ist doch egal.«

»Ich will darüber nicht reden.«

»Gut, dann nehmen wir eben keine Gummis. Ich habe versprochen, dass ich dich heirate, wovor hast du dann solche Angst? Ich lass dich nicht im Stich.«

»Bis jetzt hast du nichts andres getan«, entgegnete sie eingeschnappt, stieg in ihr Kleid und zog es über. »Wenn du einen Tag festsetzen würdest, könnte ich es mir überlegen, aber ich verschenk mich doch nicht für einen billigen Ring.«

»Letzten Sommer hast du anders geredet. Letzten Sommer hast du gesagt, du würdest es dir überlegen, wenn ich dir verspreche, dich zu heiraten.«

»Dann heirate mich.«

»Wozu? Du tischst mir ja doch nur die nächste Ausrede auf. Woher soll ich wissen, dass du es überhaupt jemals tust, Else?«

»Ich will schließlich ein Kind.«

»Und was passiert, wenn du es hast? Manchmal glaube ich, du willst nur ein neues Spielzeug, an dem du deine Launen auslassen kannst.«

Es waren fruchtlose Auseinandersetzungen, die zu nichts führten und sie nur gegeneinander aufbrachten. Beide waren sexuell frustriert. Norman versuchte, damit fertig zu werden, indem er noch härter arbeitete. Elsie schwankte zwischen Stimmungen dumpfer Niedergeschlagenheit und romantischer Schwärmerei, der sie in ihren Liebesbriefen Luft machte.

Ach, mein liebster Schatz… unsere Liebe ist wie ein Märchen, und eines Tages wird es von uns heißen, „sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende”… Ich bete dich an, mein Geliebter… Du bist mein Ein und Alles. Ich weiß, wir werden in Deiner kleinen Hütte zurechtkommen… und Elsie verspricht Dir, Dich immer zu lieben… Ach, mein Liebster, Du ahnst ja nicht, wie viel Du mir bedeutest… Ich träume von dem Tag, an dem wir zusammen sind. Auf immer und ewig, Deine einzige wahre Liebe, Elsie

Norman wusste nicht, was er von solchen Briefen halten sollte. Er hatte den Eindruck, dass Elsie sich, sicher daheim in London, in die Rolle einer Märchenprinzessin hineinsteigerte. Vergessen war das harte Leben auf der Farm, sie sah nur idyllische Schönheit. Aber wie sollte er sie glücklich machen, wenn die Wirklichkeit — Schmutz, Gestank und Schulden — so anders aussah?

Die ständigen Schwankungen in der Beziehung belasteten Norman. Aber noch mehr belasteten ihn seine fortwährenden Geldsorgen. So sehr er sich anstrengte, er kam auf keinen grünen Zweig.