»Ich glaube, du solltest mal deinen Kopf anschauen lassen, Elsie«, sagte er abgestoßen.
Sie fing an, hysterisch zu weinen, und warf sich an seine Brust. »Entschuldige — es tut mir leid, Bärchen. Du weißt ja nicht, wie das ist, wenn ich nicht bei dir sein kann. Ich werde so schwermütig. Und so eifersüchtig.«
Er umarmte sie steif. »Es gibt keinen Grund zur Eifersucht.«
»Aber das weiß ich ja nicht«, entgegnete sie und schlang ihm die dünnen Arme um die Mitte. »Ich stell mir dauernd vor, du tust mit anderen Frauen das Gleiche, was du mit mir tust. Es ist so schön, Liebster. Ich mag es.« Sie zog ihn fester an sich. »Du magst es doch auch, nicht?«
Sie wollte seine Hand zu ihrer Brust führen, aber er zuckte zurück, wie vom elektrischen Schlag getroffen. »Nicht«, sagte er scharf.
»Warum nicht?«
»Weil es nicht in Ordnung ist.«
Ihre Augen hinter den Brillengläsern blitzten ärgerlich. »Letztes Jahr fandest du es aber völlig in Ordnung. Du kannst nicht mit mir rummachen und dann so tun, als wäre nichts gewesen, Norman. Ich bin kein billiges Flittchen, das du einfach abservieren kannst, wenn dir langweilig wird. Ich bin die Frau, die du heiraten willst.«
Er wandte sich zur Tür. »Ich muss die Hühnerställe sauber machen«, brummte er. »Wir reden nachher.«
Norman stürzte sich in die Arbeit, um sich Elsie vom Leib zu halten. Sie sah ihm von der Hüttentür aus teilnahmslos zu. Er wusste nicht, was er tun sollte. Ihr ins Gesicht sagen, dass es vorbei war? Oder weiter hoffen, dass sie es von selbst begreifen würde? Selbst Elsie, so eigen sie war, musste doch einsehen, dass es keinen Sinn hatte, einen Mann zu heiraten, der sie nicht liebte.
Aber am Abend benahm sie sich, als wäre nichts geschehen. Das Bett war frisch gemacht, und Norman war wieder ihr „einziger liebster Schatz”. Es war, als hätte sie den ganzen Tag darauf verwendet, sich zu überlegen, wie sie ihn wieder für sich gewinnen konnte. Keine bösen Blicke. Kein Aufstampfen. Keine Berührungen. Nur kräftiges selbstgekochtes Essen und viel heiteres Lachen — und ein endloser Schwall zärtlicher Worte.
Irgendwie empfand Norman es als beleidigender, als wenn sie sich ihm mit Gewalt aufgedrängt hätte. Denn es unterstellte, dass er oberflächlich und gefühllos war. Glaubte sie wirklich, dass für ihn die Liebe einzig durch den Magen ging? Und dass Mahlzeiten mit Lächeln und albernen Koseworten aufgetragen werden sollten?
Als er sie am Sonntagnachmittag endlich zum Bahnhof brachte, war er nahe daran, sie zu erwürgen. Wieso merkte sie nicht, wie sehr sie ihn abstieß? Mehr als alles andere verabscheute er die Berührung ihrer rissigen, abgekauten Fingernägel auf seiner Haut.
KAPITEL 5
Crowborough — Sommer 1924
Pfingsten lernte Norman bei einer Tanzveranstaltung Bessie Coldicott kennen. Es war kurz nach dem Wochenende mit Elsie. Bessie war das genaue Gegenteil von Elsie. Sie war jung. Sie war hübsch. Sie war herzlich und verständnisvoll. Und sie flirtete gern. Das Beste war, dass sie Norman nahm wie er war — als einen jungen Mann, der in schwierigen Zeiten versuchte, sich eine Existenz aufzubauen.
Er fand es wunderbar, dass sie so gar nichts von ihm verlangte. Bessie war nicht ständig von der Angst geplagt, sitzen zu bleiben; mit ihr ließ sich über all die Dinge reden, die nichts mit Hochzeitsglocken zu tun hatten. Plötzlich konnte Norman so sein, wie er gern sein wollte. Ein bisschen Teufelskerl. Ein bisschen Spaßvogel.
Es war wie eine Wiedergeburt. Statt wie bei Elsie immer wieder in dumpfes Schweigen zu verfallen, war er in Bessies Gegenwart vergnügt und komisch. Keine Woche nach dem Tanzabend begannen sie, sich regelmäßig zu sehen.
»Bin ich deine erste Freundin?«, fragte sie ihn eines Tages.
»Nein.«
»Wie waren die anderen?«
»Konnten dir nicht das Wasser reichen. Die Erste sah aus wie ein Pferd.« Er lachte. »Die Zweite wie ein Pferdearsch.«
Bessie tänzelte ihm davon. »Ich glaube dir nicht. Sie waren bestimmt hübsch, und du hast bestimmt mehr als zwei gehabt. Heute können die Männer sich's doch aussuchen.«
»Ich war ein Spätzünder… aber jetzt hole ich auf.« Er lief ihr nach und fasste sie um die Taille. »So zum Beispiel.« Er küsste sie auf die vollen, weichen Lippen.
Ihre Augen blitzten übermütig. »Bild dir bloß nichts ein, Norman Thorne. Ich habe genug andere Verehrer, und ein paar von ihnen mag ich genau so gern wie dich.«
Das wusste er. Alle Männer fanden Bessie attraktiv. Das war Teil ihres Reizes. Die Jagd. Der Kitzel des Wettstreits um sie. Wenn Elsie von anderen Männern auch so angesehen worden wäre, hätte er sie vielleicht mehr geschätzt. Aber nach Elsie hatte sich nie einer umgedreht.
Jedes Mal, wenn ein Brief von Elsie kam, hatte Norman Gewissensbisse, weil er sie zappeln ließ. Aber wie allen Moglern war ihm das eigene Glück am wichtigsten. An den zwei oder drei Wochenenden, an denen Elsie in diesem Sommer herunterkam, schaffte er es, allzu heftige Streitereien zu meiden und sie bei Laune zu halten. Ihre Stimmungen konnten ihm nicht mehr so viel anhaben, seit er wusste, dass er später, wenn sie weg war, mit Bessie zusammen sein und lachen konnte.
Am schwierigsten war es, sich Elsie in der Hütte vom Leib zu halten. Sie bedrängte ihn unablässig, drückte sich an ihn und bat ihn, sie zu entkleiden, wie er das früher immer getan hatte. Sie erklärte, sie habe sich verändert.
»Ich habe jetzt keine Angst mehr vor dem Akt, Schatz«, lockte sie. »Das ist etwas ganz Natürliches, wenn zwei Menschen sich lieben.«
»Und wenn du schwanger wirst?«
»Du kannst einen Gummi nehmen, wenn du willst.«
»Ich habe keine mehr«, log er. »Ich habe sie weggeworfen. Aber es ist sowieso zu gefährlich, Else. Dein Vater macht einen Riesenkrach, wenn du plötzlich mit einem unehelichen Kind dastehst.«
»Das ist mir gleich, Bärchen. Ich möchte dir zeigen, wie viel du mir bedeutest. Und wie soll ich das tun, wenn ich mich dir nicht hingebe?« Tränen traten ihr in die Augen. »Bitte, Norman, tun wir's doch. Du sollst jetzt schon wissen, wie gut ich für dich sein werde.«
Er war schlau genug zu erkennen, dass dies nicht der wahre Grund dafür war, dass sie mit ihm schlafen wollte. In seinen Augen wurde ihre Beziehung zur Schachpartie, bei der jeder sich bemühte, den anderen in die Ecke zu drängen. Norman wollte Elsie zu der Erkenntnis bringen, dass keine Zukunft mit ihm auf sie wartete. Und Elsie wollte Norman mit einer Schwangerschaft an sich binden.
In den dunklen Nachtstunden versuchte Norman oft, sich einzureden, dass er Elsie heiraten sollte. »Besser der Teufel, den du kennst, als der, den du nicht kennst«, sagte er laut vor sich hin.
Er hatte vier Jahre lang sein Leben mit ihr geteilt. Sie wusste mehr über ihn als sonst ein Mensch auf Erden. Es gab sogar Momente, da machte ihm der Gedanke, dass sie nicht mehr da sein würde, Angst. Vielleicht würde er auch Bessies überdrüssig werden.
Manchmal fragte er sich, ob er sich überhaupt etwas aus Frauen machte. Seine Hühner brachten ihm mehr Zuneigung entgegen als die Menschen. Es griff ihm immer noch ans Herz, wenn er ihnen die Hälse umdrehen und ihr schönes Federkleid rupfen musste.
Er liebte es zu sehen, wie sie angerannt kamen, wenn er nach ihnen rief. Mit langen Hälsen und strampelnden Beinen. Die jungen trippelten so schnell, dass sie über seine Füße fielen, wenn er ihnen entgegenging. Manche waren so zutraulich, dass sie sich streicheln ließen, andere flohen ängstlich piepsend.
Er hatte einen jungen Hahn, der ein richtiger Kampfhahn war, ein Welsummer mit blauschwarzem Schwanzgefieder und einem prächtigen roten Kamm. Norman nannte ihn Satan, wegen des Bösen, das in seinen runden Augen lauerte. Wenn ein Junghahn im Nachbarauslauf sich zu nahe heranwagte, sprang Satan gegen den Maschendraht und versuchte, ihn anzugreifen. Er wachte eifersüchtig über seine Hennen. Norman bewunderte das.