John Norman
Der Schurke von Gor
1
Ich schob mich hinter das Mädchen und ergriff sie abrupt, den Mund fest über ihren Mund pressend. Der Müll, den sie aus dem Haus schaffen sollte, ergoß sich über den Boden. Ich zerrte sie rückwärts. Sie wehrte sich und stieß gedämpfte Laute aus. Im Schutz der Reihe der Müllbehälter hinter dem Haus des Oneander von Ar warf ich sie zu Boden. Meine Hand lag an ihrer Kehle und schob den dünnen Stahlkragen unter das Kinn hoch. »Kein Laut!« sagte ich warnend. Sie war blond und trug die kurze, ärmellose weiße Tunika der Haussklavin. Sie war barfuß. »Nimm mich schnell«, sagte sie. »Ich muß bald zurück sein.«
»Wo ist Oneander?« fragte ich nachdrücklich. Mit den Wächtern am Tor des Anwesens hatte ich wenig Glück gehabt. Ich wußte kaum mehr, als daß er zur Zeit nicht in der Stadt war.
»Fort«, antwortete sie. »Nach Norden, geschäftlich.«
»Wohin?« fragte ich. »Wohin?« Meine Hand krampfte sich um ihre Kehle.
»Ich weiß es nicht, Herr«, flüsterte sie. »Ich weiß es nicht! Ich bin doch nur eine Sklavin!«
»Ist die Sklavin Veminia im Haus?« fragte ich. »Eine kleine dunkelhaarige Barbarin aus Vonda, eine Ware des Hauses Andronicus?«
»Sie wurde von Oneander mit zehn anderen nach Norden gebracht«, flüsterte sie.
»Wohin?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wer könnte es wissen?«
»Die Männer in seiner Begleitung«, antwortete sie. »Oneander behält meistens für sich, was er plant.«
»Wer kann es noch wissen?« drängte ich. »Es muß andere geben.«
»Alison«, antwortete sie. »Tanzsklavin im Glockenkragen – sie weiß es vielleicht. Oneander sucht bei ihr oft sein Vergnügen.«
Ich ließ sie los. Erschrocken faßte sie sich an den Sklavenreifen, so fest war mein Griff gewesen.
Ich betrachtete Bauch und Hüften des Tanzmädchens, das vor mir im Takt der lebhaften Musik kunstvolle Verrenkungen machte.
»Hast du schon das Neueste gehört?« fragte der Mann neben mir.
»Nein«, erwiderte ich.
Bis auf zahlreiche Juwelenketten und Armbänder war das Mädchen nackt. An den Ketten und Bändern baumelten zahlreiche Glocken, die einen angenehmen Klang verbreiteten. Sie war blond und stammte angeblich von der Erde. In der Mitte ihrer Stirn hing an einer dünnen Goldkette eine einzelne Perle; sie sah wie ein Tropfen aus.
»Die langerwartete große Schlacht hat stattgefunden«, sagte mein Nebenmann. »Südlich von Vonda. Mehr als viertausend Mann waren darin verwickelt. Es wurde heftig gekämpft. Im Anfang war die Beweglichkeit unserer Formation von großem Vorteil; sie trennten sich, um die angreifenden Tharlarion zwischen unsere Linien zu lassen, und isolierten die Ungeheuer schließlich.« In großer Massierung, das wußte ich, konnten Infanteristen gegen einen Tharlarionangriff wenig ausrichten, allenfalls mit Grabenanlagen oder angespitzten Pfählen. »Dann aber«, fuhr der Mann fort, »wälzte sich die gegnerische Phalanx auf uns zu. Der Kampf schien verloren, es wurde zum Rückzug geblasen, aber dieser Rückzug war von vornherein auf trügerisches Gelände vorgesehen, auf Felshänge und zwischen zerklüftete, rauhe Steinformationen. Unsere Generäle hatten sich das gut überlegt.« Ich wußte auch, daß der mächtigen Phalanx keine starre militärische Formation gewachsen war. In den verschiedenen Reihen der »Phalanx« werden unterschiedlich lange Speere gehalten, die längeren von den hinten stehenden Kämpfern. Gleich einer Lawine braust sie vor, dröhnend, kreischend, vor Stahl strotzend. Ihre Wucht ist unglaublich. Sie vermag Mauern zu zerdrücken. Wenn sich auf dem Schlachtfeld zwei solche Formationen begegnen, ist der Aufprall pasangweit zu hören. Einer Phalanx ist nur mit einer zweiten Phalanx zu begegnen – sonst meidet man sie, versucht darum herumzumanövrieren. »Unsere Hilfstruppen trieben die wildgewordenen und fauchenden Tharlarions in die Phalanx zurück. Am Himmel drängten unsere Tarnkämpfer die Söldner des Artemidorus ab. Anschließend deckten sie die zerschlagene Phalanx mit Pfeilen ein. Als die Speerkämpfer ihre Schilde hoben, um sich vor dem Angriff von oben zu schützen, stürzten sich unsere Regimenter von den Hängen auf die Feinde.«
Ich nickte. Mein Blick galt weiter dem Mädchen dicht vor mir. Angeblich kam sie von der Erde. Ich griff nach meinem Paga, hob ihn von dem Tisch, hinter dem ich mit untergeschlagenen Beinen saß.
Während sie mir ihre Schönheit darbot, sah sie mich an.
»Das Schlachtfeld gehörte uns!« rief der Mann. »Nun ist Vonda unseren Truppen schutzlos preisgegeben!«
Ich nickte. Das Mädchen hatte einen sinnlichen, herausfordernden Blick, sie hatte die Augen einer echten Sklavin. Kaum vorstellbar, daß sie von der Erde stammte.
»Die Frauen Vondas werden bald unsere Sklavenmärkte überschwemmen«, sagte der Mann.
»Schlecht für die Preise«, bemerkte ein anderer düster.
»Angeblich«, sagte ein dritter, »marschieren Streitkräfte aus Port Olni an, um Vonda zu entsetzen.«
»Unsere Männer werden sich nach Nordosten wenden, um ihnen zu begegnen«, bemerkte jemand.
»Bitte, Herr!« flüsterte mir das Mädchen zu und streckte eine kleine Hand in meine Richtung, als wolle sie mich berühren. Unterdessen setzte sie den Tanz fort.
»Du gefällst ihr«, sagte der Mann neben mir.
Ich betrachtete ihre Fesseln und Schenkel, den süß gerundeten Bauch, die Brüste und Schultern, die Lieblichkeit ihrer Erscheinung, ihr Gesicht, ihre Augen, das wirbelnde Haar, den unruhig flirrenden Schmuck an ihrem Körper.
»Herr«, sagte sie und tanzte weiter vor mir, bis die Musik einen lauten Höhepunkt erreichte und endete.
Goreanischer Applaus wurde laut, Fäuste wurden gegen die linke Schulter geschlagen.
Ich stand auf und legte zwei Kupfer-Tarsks auf den Tisch.
Dann ging ich zu dem Mädchen und versetzte ihr mit der Außenseite des Fußes einen Tritt. »In die Nische«, befahl ich.
»Ja, Herr«, antwortete sie, sprang auf und huschte vor mir her zu einer Wandnische. Wieder gab es Beifall, als ich ihr folgte und von innen den Ledervorhang zuzog und verschnürte. Dann drehte ich mich um.
Das Mädchen hockte in der Position der Vergnügungssklavin vor mir, beleuchtet von einer winzigen Lampe.
»Du bist Alison?« fragte ich.
»Ja, Herr.«
»Das ist ein Erdenname.«
»Bitte behandle mich deswegen nicht grausam«, bat sie.
»Kommst du von der Erde?«
»Ja.«
»War Alison dort dein Name?«
»Ja«, antwortete sie. »Meine goreanischen Herren haben ihn mir als Sklavennamen gelassen.«
»Wie bist du nach Gor gekommen?«
»Ich weiß es nicht. Ich legte mich eines Nachts schlafen und erwachte später – wieviel später, weiß ich nicht – und lag nackt und angekettet mit anderen Mädchen in einem Verlies.«
»Kennst du einen Mann namens Oneander aus Ar?« fragte ich.
»Er ist Kaufmann«, flüsterte sie.
»Kennst du ihn?«
»Er kommt manchmal in den Glockenkragen«, flüsterte sie. »Bitte sei nett zu mir, Herr!«
»Aber du kennst ihn?«
»Ja, er sucht bei mir seine Freude, wenn ihm danach ist. Busebius, der Wirt, hat eine Abmachung mit ihm. Manchmal werde ich auch in sein Haus geschickt.«
»Wo ist er?« fragte ich und faßte sie energisch an den Armen. »Wo?«
»In Lara!« rief sie verschreckt. Damit meinte sie eine Stadt aus der Salerianischen Konföderation am Zusammenfluß des Vosk und des Olni. Kein Wunder, daß Oneander seine jüngsten Reisepläne nicht an die große Glocke hängte.
Ich drückte das Mädchen in die Felle.
Manchmal äußert sich ein Mann offen gegenüber einer Sklavin. Vielleicht beeinflußt von Tränken und Genüssen, hatte sich Oneander der Sklavin in seinen Armen anvertraut.
»Ich durfte das nicht verraten«, schluchzte sie.
Es war ein kühner Plan seitens des Kaufmanns. Genaugenommen gab es keinen Krieg zwischen Ar und der Salerianischen Konföderation. Die Auseinandersetzungen mit Städten der Konföderation hatten sich bisher auch nur auf Vonda beschränkt. So war sein Vorhaben zwar weder verräterisch noch ungesetzlich, doch stand es ihm gut an, auf den Straßen Ars nicht darüber zu reden. Lara gehörte zur Salerianischen Konföderation – und das schien auf eine gewisse wirtschaftliche Not hinzuweisen. Da ihm die Märkte von Vonda und vielleicht auch Port Olni und Ti versperrt waren, kam es mir ganz natürlich vor, daß Oneander sich nach Lara wandte.