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»Und dann dies«, fuhr der Mann fort und stieß ein angekettetes Mädchen nach vorn. Anmutig blieb sie vor Kliomenes stehen.

»Ist sie hübsch?« fragte dieser.

Irgend etwas an dem Mädchen kam mir bekannt vor, aber ich vermochte ihre Züge unter dem dünnen Schleier nicht auszumachen. Der Pirat hinter ihr riß den Schleier ab und ließ ihn zu Boden fallen. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Es war die ehemalige Lady Florence aus Vonda. Inzwischen kannte ich sie unter dem Namen Florence, als Sklavin Miles’ aus Vonda. Vermutlich war sie nicht mehr sein Eigentum. Ein prächtiges Beutestück!

»Sie ist hübsch«, stellte Kliomenes fest.

»Ja«, antwortete der Pirat.

»Mädchen«, sagte Kliomenes.

»Ja, Herr?«

»Wie wurdest du gefangengenommen?«

»Mit Gewalt«, antwortete sie. »Mein Herr, Miles aus Vonda, fuhr auf dem Schiff Blume von Siba von Victoria ab.« Ich kannte das Schiff. Siba ist eine Stadt am Vosk, östlich von Sais gelegen. »Sein Ziel war Turmus. Er hatte zwei Sklaven bei sich, mich und einen Kampfsklaven namens Krondar.« Meiner Ansicht nach hatte Miles aus Vonda töricht gehandelt. Ich hatte Florence bei unserem Gespräch in der Taverne angedeutet, daß es derzeit gefährlich sei, auf dem Fluß zu reisen. Doch offenbar hatte der stolze Vondaner meinen Vorschlag mißachtet zu warten, bis er sich einem Konvoi anschließen konnte. Bestimmt hatten ihm andere Ähnliches geraten, denn in den Tavernen und auf den Märkten am Fluß gab es kaum ein anderes Thema. »Westlich von Tafa wurden wir von zwei Schiffen angegriffen. Wie ich erfahren habe, war das eine Schiff die Galeere Talia aus dieser Festung, unter Sirnaks Kommando, der hier neben mir steht. Das andere war die Galeere Tamira. Ihr Kapitän Reginald steht im Sold Ragnar Voskjards.«

»Du solltest doch die Tamira in die Nähe der Kette zurückbegleiten«, sagte Kliomenes zu dem Piraten, der ihm die Beute präsentierte. »Wie konntest du dich da unterwegs solchen prosaischen Dingen widmen?«

»Es war leichte Beute – Gold, das förmlich im Sand lag, Früchte, die zum Pflücken vor meiner Nase hingen!« antwortete der Pirat achselzuckend.

»Die Tamira befördert die Losungsworte, das weißt du«, sagte Kliomenes.

»Die sind sicher«, antwortete der Pirat.

»Was ist die Tamira?« fragte ich den Piraten neben mir.

»Das Kundschafterschiff Ragnar Voskjards«, antwortete er und bestätigte damit meine Vermutung. Um meinen Plan in die Tat umzusetzen, der dann vermutlich von der Erdensklavin Peggy verraten worden war, hatte ich mich als Kapitän von Kundschafterschiffen ausgegeben, angeblich von Ragnar Voskjard vorausgeschickt. Inzwischen war bereits das echte Vorausschiff der Piraten eingetroffen und wieder auf dem Rückweg nach Westen, um sich vermutlich dort mit dem Voskjard zu treffen. Daß sie nur ein Schiff geschickt hatten, deutete auf eine gewisse Überheblichkeit der Piraten aus dem Westen hin. Hatten sie wirklich so wenig zu befürchten?

»Die Kette ist noch nicht durchtrennt worden?« fragte ich. Das bisher geführte Gespräch brachte mich auf diesen Gedanken. Andererseits wußte ich nicht recht, wie Voskjards Kundschafterschiff hier hätte erscheinen können, wenn es keinen Weg durch die Kette gab.

»Nein«, antwortete der Pirat neben mir.

»Wie ist das Schiff dann herübergekommen?« wollte ich wissen.

»Ein einzelnes Schiff, das sich als Handelsgaleere ausgibt, hat da keine Mühe«, erwiderte er.

»Ah, die Kette wurde für die Tamira geöffnet?«

»Wie für alle Schiffe, die in ehrlichen Geschäften unterwegs sind.«

»Es gab keine Schwierigkeiten?«

»Wir haben Freunde an der Kette«, bemerkte der Pirat.

»Ich verstehe.«

»Der Kundschafter wird zurückkehren, wie er gekommen ist.«

»Aha.« Innerlich schäumte ich vor Wut. Wie sinnlos, wie wirkungslos war doch die Kette!

Kliomenes betrachtete die Schätze vor sich.

»Ist dies wirklich eine gerechte Teilung der Beute der Blume von Siba?«

»Ich finde sogar, wir haben den besseren Teil«, sagte der Pirat vor der Plattform.

»Ich verstehe«, sagte Kliomenes.

»Auf dem Fluß sind im Moment keine großen Werte unterwegs«, fuhr der Pirat fort. »Die Leute haben Angst. Die Beute bleibt meistens in den Städten.«

»Wenn wir uns erst mit dem Voskjard verbündet haben«, sagte Kliomenes, »können wir uns das Zeug nach Belieben aus den Häusern holen.«

»Richtig, Kapitän!« rief der Pirat.

»Die Münzen, der Schmuck und die Perlen kommen zum allgemeinen Schatz«, befahl Kliomenes, und der Piratenkapitän rief Helfer herbei, die die Dinge hinaustrugen.

»Das Mädchen«, fuhr Kliomenes nachdenklich fort und betrachtete die Sklavin, die mit gesenktem Kopf vor ihm kniete. »Behaltet sie in der Festung. Ich selbst werde heute abend prüfen, was sie wert ist.«

Das schluchzende Mädchen wurde aus dem Saal gezerrt.

Nun fiel Kliomenes’ Blick auf mich, und ich wurde nach vorn gestoßen. Unaufgefordert kniete ich nieder. Das löste bei den versammelten Piraten Gelächter aus. Ich war der letzte Tagesordnungspunkt dieses Morgens. Er hatte mich bis zuletzt aufgehoben.

»Ich hätte dich schon vor langer Zeit umbringen sollen«, sagte Kliomenes. »In der Taverne des Tasdron.«

»Verzeih mir, Kapitän«, sagte ich mit gesenktem Kopf.

»Wie mir berichtet wird, bist du ein Prahlhans und Lügner«, fuhr Kliomenes fort.

»Nein, nein, Kapitän«, sagte ich hastig.

»Er behauptet«, meldete der Pirat, der mich zur Audienz geführt hatte, »daß er dich und Policrates täuschte, indem er den Kurier des Ragnar Voskjard spielte.«

»Ist dir dein Ansehen bei den anderen Sleen an der Winde so wichtig, daß du solche Lügen riskierst?« fragte Kliomenes.

Ich hob den Kopf nicht. Ich schien zu zittern.

»Du hast ihn doch gewarnt, nicht wahr?« wandte sich Kliomenes an den Mann neben mir.

»Oft sogar, Kliomenes«, antwortete dieser. »Doch noch heute früh wiederholte er seine Behauptungen. Er glaubte wohl, ich sei außer Hörweite.«

»Ich verstehe.«

»Außerdem hat er sich gestern herabwürdigend über dich geäußert.«

»Was hat er gesagt?« Kliomenes war amüsiert.

»Er nannte dich – einen Dummkopf«, antwortete der Pirat.

Die Anwesenden lachten. Kliomenes aber, das merkte ich, als ich den Kopf hob, schien sich nicht zu amüsieren. Anscheinend gab es in der Festung Vorbehalte gegen ihn – vielleicht war man eifersüchtig auf ihn und fürchtete ihn. Vielleicht gab es sogar Männer, die ihm am liebsten den Stellvertreterposten nach Policrates streitig gemacht hätten. Kliomenes sah sich um, und das Gelächter verstummte sofort.

»Verzeih, Kapitän!« sagte ich.

»Der Kurier – oder der Mann, der sich als Ragnar Voskjards Kurier ausgab – war einigermaßen vertraut mit dem Schwert«, sagte Kliomenes.

»Verzeih, Kapitän«, flehte ich.

»Töte ihn nicht, Kliomenes«, sagte einer der Männer in der Nähe der Thronplattform. »Er könnte uns noch nützlich sein, wenn es darum geht, den echten Kurier Ragnar Voskjards freizubekommen, der von unseren Feinden in Victoria bestimmt gefangengehalten wird.«

»Die würden niemals einen so wichtigen Mann gegen diesen wertlosen Burschen austauschen, einen Hafenarbeiter!« sagte Kliomenes mit Nachdruck.

»Warte auf Policrates«, beharrte der Mann. »Er soll in dieser Sache entscheiden.«

»Wenn Policrates nicht hier ist«, sagte Kliomenes, »führe ich das Kommando.«

»Das bestreite ich nicht«, sagte der Mann und trat zornig einen Schritt zurück.

Kliomenes wandte sich wieder in meine Richtung. »Wenn du also wirklich der Mann bist, der hier als Ragnar Voskjards Kurier auftrat, dann mußt auch du dich mit dem Schwert auskennen.«

»Verzeih, Kapitän!« wiederholte ich.

»Gebt ihm ein Schwert!« befahl Kliomenes.

Der Mann neben mir, der mich hergebracht hatte, zog seine Klinge blank. Mit dem Griff voran hielt er sie mir hin.

»Nein«, sagte ich. »Nein!«

»Greif zu!« rief Kliomenes gelassen.