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»Und keiner mißtraut dir?«

»Nein.«

»Dann folge mir zum Kommandanten!«

»Noch einen Moment! Ich habe euern Gefährten mitgebracht.«

»Wen? Stiller?«

»Ja, er war dort in Gefahr und kann hier mehr helfen.«

»Und was habt ihr mit dem Gefangenen gemacht?«

»Den haben wir gut festgebunden. Wenn ihn seine Kameraden nicht inzwischen befreit haben, werden wir ihn so wieder vorfinden.«

Der Neger legte beide Hände auf die Lippen und pfiff. Man konnte es für den Laut eines Vampirs halten, einer der großen, in Südamerika zahlreichen Fledermäuse. Einen Augenblick später überstieg ein Mann die Gartenmauer und sprang gerade neben Carmaux herunter.

»Wie freue ich mich, dich lebendig wiederzusehen!« sagte Stiller.

»Ich desgleichen!« antwortete Carmaux.

»Wird mir der Kapitän auch keine Vorwürfe machen, daß ich die Hütte verlassen habe?«

»Er wird zufrieden sein. Ein Tapfrer mehr ist im gegenwärtigen Moment sehr vonnöten. Kommt, Freunde!«

Es fing nun an, hell zu werden.

Die Sterne erbleichen schnell in jenen Regionen. Der Nacht folgt plötzlich der Tag, denn die Sonne geht fast mit einem Male auf und verscheucht mit der Macht ihrer Strahlen die Dunkelheit.

Die Einwohner von Maracaibo waren Frühaufsteher. Fenster wurden geöffnet, und Köpfe wurden sichtbar. Hier und dort hörte man Stimmen und allerlei Geschwätz, lautes Niesen und Gähnen. Sicher besprach man die Ereignisse der Nacht, die alle in nicht geringen Schrecken versetzt hatten; denn die Flibustier waren überall in den spanischen Kolonien des Golfs von Mexiko gefürchtet.

Carmaux, der jede Begegnung vermeiden wollte, da er fürchtete, von einem der Tavernengäste erkannt zu werden, lief schnell zurück, gefolgt von Mokko und Stiller.

Bei dem Gäßchen fand er denselben Soldaten vor, der, die Hellebarde auf der Schulter, noch immer von einer Ecke zur andern auf und ab schritt.

»Schon zurück, Herr Advokat?« fragte er.

»Was wollt Ihr, Freundchen?« antwortete Carmaux. »Mein Klient hat Eile gehabt, dieses Jammertal zu verlassen.«

»Hat er Euch jenen Prachtneger vererbt? Caramba! Das ist ja ein Koloß, der Tausende von Piastern wert ist!«

»Erraten! Er hat ihn mir geschenkt. Auf Wiedersehn!«

Sie bogen geschwind um die Ecke und eilten die Gasse entlang bis zum Hause des Notars. Hier traten sie ein und verrammelten sofort die Tür.

Der Schwarze Korsar harrte schon voller Ungeduld.

»Nun?« fragte er erwartungsvoll. »Auch Stiller ist hier? Wo ist der Leichnam meines Bruder?«

Carmaux berichtete alles in kurzen Worten, auch was er erlebt hatte.

»Die Nachrichten sind ernst«, sagte der Kapitän. »Sobald die Spanier das Land außerhalb der Stadt und die Küste besetzt halten, weiß ich nicht, wie ich meine ›Fólgore‹ erreichen soll. Für mich fürchte ich nicht, aber für mein Schiff, das vom Geschwader des Admirals Toledo überrascht werden kann.«

»Donnerwetter«, rief Carmaux, »das fehlte noch!«

»Das Abenteuer wird schlecht ausgehen«, murmelte Stiller. »Bah, wir sollten schon seit zwei Tagen hängen! Da können wir ja froh sein, noch vierundzwanzig Stunden gelebt zu haben!«

Der Schwarze Korsar ging sinnend im Zimmer auf und nieder. Er war unruhig. Plötzlich blieb er vor dem im Bette festgebundenen Notar stehen und fragte ihn mit drohendem Blick: »Kennst du die Umgebung von Maracaibo?«

»Ja, Exzellenz«, antwortete der arme Mann mit zitternder Stimme.

»Kannst du uns, ohne daß wir von deinen Mitbürgern überrascht werden, aus der Stadt herauslassen und an einen sichern Ort führen?«

»Wie könnte ich das, Herr? Sobald wir aus meinem Hause heraus wären, würde man uns erkennen und uns festnehmen. Dann würde mich die Schuld treffen, daß ich versucht hätte, Euch zu retten, und der Gouverneur, der keinen Scherz versteht, würde mich erhängen.«

»Ah, man hat Furcht vor van Gould!«

Der Korsar knirschte mit den Zähnen, während seine Augen blitzten. »In der Tat, der Mann ist energisch, stolz und auch grausam. Er versteht es, sich so in Positur zu setzen, daß alle vor ihm zittern. Aber doch nicht alle. Eines Tages werde ich ihn erzittern lassen ... An jenem Tage soll er den Tod meiner Brüder mit dem Leben bezahlen!«

»Ihr wollt den Gouverneur töten?« fragte der Notar ungläubig.

»Schweig, Alter, wenn dir deine Haut lieb ist!« rief Carmaux.

Der Korsar schien weder die eine noch die andere Bemerkung gehört zu haben. Er war an das Fenster des anstoßenden Flurs getreten, von dem man die Gasse überblicken konnte.

»Wir sind da in eine schöne Bredouille geraten«, wandte sich Stiller an den Neger. »Hat unser schwarzer Gevatter in seinem Schädel nicht irgendeine gute Idee, die uns aus dieser durchaus nicht lustigen Lage heraushilft? Ich fühle mich nicht ganz sicher in diesem Hause!«

»Vielleicht habe ich eine«, sagte Mokko.

»Nur heraus damit!« rief Carmaux. »Ist deine Idee ausführbar, so kriegst du einen Bruderkuß von mir.«

»Dann müssen wir aber bis zum Abend warten.«

»Wir haben ja vorläufig keine Eile.«

»Zieht euch alle als Spanier an und geht ruhig aus der Stadt hinaus!«

»Ich habe ja schon die Kleider des Notars an. Genügt das nicht?«

»Wie soll ich mich denn verkleiden?«

»Nehmt ein schönes Musketier- oder Hellebardierkostüm! Wenn ihr als Bürger hinausgeht, werden euch die Truppen draußen auf dem Lande sofort anhalten.«

»Potzblitz, das ist ein Gedanke!« rief Carmaux. »Du hast recht, Gevatter Kohlensack! Als Soldaten verkleidet, wird uns niemand fragen nach Namen und Ziel, besonders nicht bei Nacht. Man wird uns für eine Runde halten. So können wir bequem das Weite suchen und uns einschiffen!«

»Aber wo die Kleider herbekommen?« fragte Stiller.

»Wo? Man überwältigt einfach einige Soldaten und zieht sie aus«, meinte Carmaux resolut. »Du weißt doch, daß wir eine leichte Hand haben!«

»Solcher Gefahr sich aussetzen ist gar nicht nötig«, sprach der Neger. »Ich bin bekannt in der Stadt; niemand wird mich für verdächtig halten, so kann ich Kleider und Waffen kaufen.«

»Gevatter, du bist ein prächtiger Mensch!«

In diesem Augenblick hörte man einen dumpfen Schlag, der auf der Treppe widerhallte.

»Donnerwetter, da klopft jemand!«

Der Korsar kam vom Flur herein: »Da scheint jemand nach dem Notar zu fragen!«

»Es wird einer meiner Klienten sein«, seufzte der Gefangene. »Vielleicht würde ich durch ihn ein gutes Stück Geld verdienen, während ich es ...«

»Was da! Kein Wort mehr, du Schwätzer!« sagte Carmaux.

Es folgte ein zweiter, stärkerer Schlag.

»Öffnet, Herr Notar! Schnell, schnell!«

»Carmaux!« sagte der Korsar, der einen raschen Entschluß gefaßt hatte: »Wenn wir uns widersetzen, kann der Mann draußen glauben, daß den Alten der Schlag gerührt habe! Dann wird er den Alkalden vom Stadtviertel benachrichtigen!«

»Ja, was soll ich machen, Kommandant?«

»Öffnen und dann den Unwillkommenen gut binden und hier hinlegen, damit er dem Notar Gesellschaft leiste!«

Ein dritter Schlag erfolgte, der beinahe die Tür zersprengt hätte. Carmaux öffnete.

»Oh, was für eine Wut habt Ihr, mein Herr!«

Ein elegant gekleideter junger Mann von etwa zwanzig Jahren trat rasch ein. Es hing ein kleiner, feiner Dolch am Gürtel.

»Ist das eine Art, Personen, die Eile haben, warten zu lassen?« schrie er. »Caramba!«

Als er Carmaux und den Neger sah, hielt er überrascht inne.

Dann wich er einen Schritt zurück, aber das Tor hatte sich schon hinter ihm geschlossen.

»Wer seid Ihr?« fragte er.

»Zwei Diener des Herrn Notars!« antwortete Carmaux mit einer tiefen Verbeugung.

»Ah«, rief der junge Mann aus. »Ist Don Turillo mit einem Male so reich geworden, daß er sich den Luxus erlaubt, zwei Diener zu halten?«