Выбрать главу

»Ein braver Mann«, murmelte Carmaux. »Wenn wir wieder nach Maracaibo kommen, werden wir ihn aufsuchen.«

Nach zehn Minuten waren sie ohne Hindernisse an den Rand des Waldes gelangt, in dem sich die Hütte des Schlangenbeschwörers befand. Beim Zurückschauen sahen sie noch eine große Rauchwolke, untermischt mit Funkenregen, aufsteigen, die der Wind über den See von Maracaibo wehte.

»Armer Teufel!« sagte Carmaux. »Der wird den Verlust seines Hauses und Weinkellers nicht überleben, für einen solchen Geizhals ist der Schlag zu groß.«

Man rastete einige Minuten im Schatten eines Bitterholzbaumes, um zu erforschen, ob auch kein Späher in der Nähe sei. Schweigen herrschte im Haine. Nach einer Viertelstunde Eilmarsch durch den Tropenwald erreichte man die Hütte, aus der lautes Klagen kam.

»Donnerwetter!« rief Carmaux. »Das ist ja unser Gefangener, den wir an den Baumstamm gebunden haben. Ich hatte ihn ganz vergessen!«

»Wollt ihr mich denn Hungers sterben lassen?« rief der Soldat. »Dann hängt mich doch lieber auf!«

»Ist jemand hier gewesen?« fragte der Korsar.

»Nein, nur Vampire!«

Nachdem er dem Neger befohlen hatte, die Leiche seines Bruders unter dem Blätterwerk aufzunehmen, befreite er den Soldaten, der schon fürchtete, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, und sagte: »Ich könnte vor allem den Tod meines Bruders an dir rächen, auch den seiner unglücklichen Gefährten, die noch auf dem Platz dieser vermaledeiten Stadt hängen, aber ich versprach, dich zu begnadigen, und der Schwarze Korsar hält sein Wort. Du bist frei, doch du mußt mir schwören, zum Gouverneur zu gehen, ihm meinen Namen zu nennen und daß ich diese Nacht, in Gegenwart der auf der Brücke meines Schiffs versammelten Seeleute und angesichts der Leiche des Roten Korsaren, einen Eid schwöre werde, vor dem er zittern soll. Dafür, daß er meine beiden Brüder getötet hat, werde ich alle zugrunde richten, die den Namen van Gould tragen. Sage ihm, daß ich es Gott, dem Meere und der Hölle geschworen habe und daß wir uns bald wiedersehen werden!«

Dann löste er die Fesseln des Gefangenen, der ihn ganz verdutzt ansah, drehte ihn an den Schultern herum und fuhr fort: »Wende dich nicht mehr um, damit ich nicht bereue, dir das Leben geschenkt zu haben!«

»Ich danke Euch«, sagte der Spanier, »und verspreche, Euren Willen zu erfüllen!«

Der Korsar sah ihn im Dickicht verschwinden.

»Gehen wir, die Zeit drängt!«

--

Ein verhängsnisvoller Schwur

Der kleine Trupp marschierte, vom Neger geführt, der alle Wege und Stege im Walde kannte, rasch vorwärts, um noch vor Morgen das Golfufer zu erreichen. Alle waren besorgt, daß das Schiff, welches am Eingang des Sees kreuzen sollte, festgehalten worden wäre, da, wie man wußte, der Gouverneur von Maracaibo Boten nach Gibraltar geschickt hatte, um den Admiral von Toledo zu Hilfe zu rufen.

So war zu befürchten, daß das stark bewaffnete und von Hunderten von tapferen Seeleuten, meist Biskayern, bemannte Geschwader schon den See passiert und die »Fólgore« zerstört hatte.

Der Korsar hüllte sich in Schweigen, aber man merkte ihm die Unruhe an. Zuweilen blieb er stehen, um etwas zu erlauschen.

Oft mußten die Fliehenden bei einigen vom Blitze zerstörten Baumgiganten oder bei sumpfigen Gewässern Umwege machen, die Zeitverlust bedeuteten.

Um zwei Uhr morgens hörte Carmaux ein fernes Brausen, das die Nähe des Meeres ankündigte.

»Wenn alles gutgeht, so sind wir in einer Stunde an Bord«, sagte er zum Kapitän.

Dieser nickte nur mit dem Kopfe.

Der Seemann hatte sich nicht getäuscht. Das Rauschen der Wellen wurde immer deutlicher. Man hörte auch in Zwischenräumen den Schrei der früh erwachenden Wildgänse, Tieren mit schwarzem Gefieder und weißem Kopfe. Sie schwammen am Ufer des Golfs.

Ein niedriges, von Sumpfpflanzen bedecktes Gestade wurde sichtbar, das sich, so weit das Auge reichte, in wunderlichen Kurven nach Nord und Süd ausdehnte. Der Himmel war von den Ausdünstungen der ungeheuren Sümpfe in Nebel gehüllt. Noch herrschte tiefe Finsternis, aber das Meer wurde hier und dort wie von Feuerlinien nach allen Richtungen durchzuckt.

Die Wogenkämme schienen Feuer zu sprühen, und der Gischt, der am Ufer lag, hatte einen herrlichen, phosphoreszierenden Schimmer. Manchmal blitzten weite Stellen im Meere, die vorher schwarz wie Tinte gewesen waren, hell auf, als ob sie von unten elektrisch erleuchtet würden.

»Meeresleuchten!« rief Stiller.

»Der Teufel soll es holen!« brummte Carmaux. »Haben sich denn die Fische mit den Spaniern verbunden, um uns die Flucht zu erschweren?«

»Nein«, antwortete Stiller, geheimnisvoll auf den Leichnam weisend, den der Neger trug. »Die Wellen blitzen, um anzudeuten, daß sie den Roten Korsaren aufnehmen wollen!«

»Es muß wohl so sein«, murmelte Carmaux.

Der Schwarze Korsar blickte indessen über das Meer in die Ferne. Er unterschied einen großen Schatten, dessen Umrisse sich deutlich auf der schimmernden See abzeichneten.

»Die »Fólgore« ist da!« rief er erfreut. »Sucht die Schaluppe!«

Carmaux und Stiller orientierten sich, an welchem Punkte des Gestades sie sich befänden. Dann eilten sie die Küste gegen Norden hinauf und suchten überall inmitten der Sumpfpflanzen, die ihre Wurzeln und gelben Blätter in den leuchtenden Wellen badeten, nach dem Boot. Endlich, nach einem Kilometer Weges, hatten sie es entdeckt.

Sie fuhren schnell zu der Stelle, wo der Kapitän und der Neger auf sie warteten. Dort legten sie die in den schwarzen Mantel gewickelte Leiche zwischen zwei Bänke, bedeckten das Gesicht sorgsam und ruderten nun mit aller Kraft vorwärts.

Der Neger, der das Gewehr des gefangenen Spaniers zwischen den Knien hielt, hatte sich an den Bug gesetzt, während der Korsar am Heck saß, dem toten Bruder gegenüber. Er überließ sich wieder seinen melancholischen Gedanken. Unbeweglich saß er da, den Kopf in die Hände gestützt und die Augen auf die Leiche gerichtet, deren Formen sich unter dem schwarzen Tuche abzeichneten. Es war, als ob er seine ganze Umgebung vergessen hätte, selbst sein Schiff, das sich immer mehr vom schimmernden Meere abhob und wie ein großer, schwimmender Wal aussah. Die Oberfläche, auf der es dahinglitt, nahm sich wie gesponnenes Gold aus.

Indessen glitt auch das Boot rasch durch die Wellen. Das Wasser flammte um den Kahn, und der Gischt, den die Ruder aufspritzten, erschien wie von Feuer durchglüht.

Unter den Wolken trieben in jener Lichtorgie eine Unzahl seltsamer Mollusken ihr Spiel. Die großen Medusen wurden sichtbar. Die Knollenquallen tanzten wie Leuchtkugeln beim Hauch der nächtlichen Brise. Einige glänzten, als ob Diamanten über sie verstreut wären. Wieder andere leuchteten wie glühende Lava. Sie sahen mit ihren sonderbaren Schwänzen wie achtspitzige Malteserkreuze aus. Die zierlichen Segelquallen schimmerten, befreit von ihrer Schale, im sanften, bläulichen Licht, Scharen von andern Meerestieren mit runden, stachligem Körper gaben blaßgrüne Reflexe.

Fische jeder Art schnellten empor und tauchten wieder unter, leuchtende Furchen hinterlassend. Polypen jeglicher Form sandten bunte Lichter nach allen Richtungen hin, während an der Oberfläche des Wassers große Seekühe schwammen, die in jenem Jahrhundert noch häufig vorkamen. Mit ihren langen Schwänzen und ihren Seitenflossen erzeugten sie beachtliche Wellen.

Die von den kräftigen Armen der beiden Flibustier geruderte Schaluppe flog wie ein schwarzer Schatten rasch über die flammenden Wogen. So wäre sie eine gute Zielscheibe für die Kanonen des spanischen Geschwaders gewesen, hätte sich Admiral Toledo jetzt in jenen Gewässern befunden.

Aber nicht nur Befürchtungen, die feindlichen Schiffe zu sichten, machten die beiden Seeleute unruhig; auch abergläubische Gedanken hatten inmitten des funkelnden Meeres sich ihrer bemächtigt. Der Tote, den sie im Boote hatten, und die Gegenwart des düstern Kapitäns, den sie nie anders als in Trauerkleidung gesehen, flößten ihnen Angst ein. Sie konnten den Augenblick nicht erwarten, endlich an Bord der »Fólgore« bei ihren Kameraden zu sein.