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Während des ersten Tages nach dem Begräbnis des Roten Korsaren war nichts auf dem Flibustierschiff vorgefallen. Der Kommandant hatte sich weder an Bord noch auf der Schiffbrücke blicken lassen. Er überließ seinem Leutnant die Leitung des Fahrzeugs. Nicht einmal Carmaux und Stiller hatten ihn gesehen.

Jedoch wußte man, daß er den Neger mit in die Kajüte genommen hatte.

Als Carmaux den Vizekommandanten darüber befragen wollte, wurde er mit einer Geste zurückgewiesen, die besagen sollte: »Kümmere dich nicht darum. Was geht es dich an?«

Am Abend verwickelte sich ein Teil der Segel infolge der plötzlichen Windstöße, die in jenen Gegenden häufig vorkommen und fast immer Unglück bringen.

Endlich sahen die beiden Seeleute, die in der Nähe der Kajüte herumstrichen, aus der Luke am Heck den Wollkopf des Afrikaners auftauchen.

»Da ist ja unser Gevatter!« rief Carmaux. »Hoffentlich können wir jetzt erfahren, ob sich der Kommandant noch an Bord befindet, oder ob er mit seinen Brüdern auf dem Meeresgrunde Zwiesprache hält. Dem finsteren Manne ist das zuzutrauen!«

»Ja, ja«, antwortete Stiller, der sehr abergläubisch war. »Er kommt mir immer wie ein Meeresgott vor, aber nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir!«

»He, Freundchen!« rief Carmaux dem Neger zu: »Es ist endlich Zeit, daß du wieder zu deinen weißen Kameraden kommst!«

»Aber der Kapitän hat mich doch festgehalten«, antwortete Mokko.

»Große Neuigkeit das! Was macht denn der Kommandant?«

»Er ist trauriger denn je.«

»Na, ich habe ihn niemals lustig oder lachend gesehen, nicht einmal auf der Tortuga.«

»Es liegt ihm immer nur die Rache im Sinn.«

»Die er ausführen wird. Er ist der Mann, der seinen schrecklichen Schwur erfüllt. Ich möchte nicht in der Haut des Gouverneurs noch in der seiner Verwandten stecken!«

»Van Gould muß einen bittern Haß auf den Schwarzen Korsaren haben, aber dieser Haß wird ihm verhängnisvoll werden. Und kennst du den Grund, weißer Gevatter?«

»Man sagt, daß van Gould beschlossen habe, die drei Brüder zu vernichten, noch ehe er nach Amerika gekommen sei und Spanien seine Dienste angeboten habe.«

»Als er sich noch in Europa befand? Also müssen sie sich vorher gekannt haben!«

»Ja, so sagt man, weil nämlich gerade zu derselben Zeit, als van Gould sich zum Gouverneur von Maracaibo ernennen ließ, drei herrliche Schiffe vor der Tortuga erschienen, die von dem Schwarzen, dem Roten und dem Grünen Korsaren befehligt wurden. Es waren drei bildschöne Männer, mutig wie die Löwen, kühne, unerschrockene Seefahrer. Der Grüne war der jüngste und der Schwarze der älteste von ihnen, aber alle waren gleich an Kraft und Tüchtigkeit. Kein Flibustier auf der Tortuga kam ihnen in Handhabung der Waffen gleich. Diese drei sollen die Spanier im Golf von Mexiko in Schrecken versetzt haben. Kaum zu zählen waren die von ihnen geraubten Schiffe und vernichteten Städte. Niemand konnte ihren schnellen und gut bewaffneten Freibeuterfahrzeugen widerstehen.«

»Ich glaub' es schon«, erwiderte der Neger, »man braucht nur dieses Schiff hier zu sehen!«

»Es kamen jedoch auch traurige Tage für sie«, fuhr Carmaux in seiner Erzählung fort. »Als der Grüne Korsar einst mit seinem Schiff von der Tortuga absegelte, hatte er das Unglück, mitten in das spanische Geschwader zu geraten. Er wurde nach einem verzweifelten Kampfe besiegt, gefangengenommen, nach Maracaibo geführt und dort von van Gould gehenkt.«

»Ich erinnere mich«, sagte Mokko, »sein Leichnam wurde jedoch nicht den wilden Tieren vorgeworfen.«

»Nein, weil es dem Schwarzen Korsaren gelang, mit wenigen Getreuen heimlich nach Maracaibo zu kommen, ihn dort zu rauben und dann im Meer zu versenken.«

»Ich hörte davon. Man sagte, daß van Gould aus Wut darüber, daß er nicht auch den Bruder fassen konnte, die vier Wächter, die mit der Wache über die Gehenkten betreut waren, erschießen ließ.«

»Dann war die Reihe an den Roten Korsaren gekommen, der ja nun auch im Karibischen Meer begraben liegt. Aber der dritte Bruder ist der mächtigste. Er wird die ganze Familie der van Goulds ausrotten!«

»Ja, ja, Gevatter! Er wird bald nach Maracaibo gehen; denn er hat mich über alle Einzelheiten befragt. Er will mit einer Flotte die Stadt angreifen!«

»Pierre Nau, der gefürchtete Olonese, ein Freund des Schwarzen Korsaren, ist auch noch auf der Tortuga. Der wird ihm helfen.«

Er unterbrach sich, stieß den Neger und Stiller an, der nahe bei ihm stand, und flüsterte: »Da ist er! Kann er einem nicht Furcht einflößen? Er sieht wirklich wie ein Meereswesen aus!«

Beide hatten nach der Kommandobrücke geschaut. Dort stand der Korsar, wie immer ganz in Schwarz gekleidet, mit seinem großen, über die Stirn gezogenen Hute, dessen lange Feder im Winde wehte.

Jetzt ging er mit gekreuzten Armen, das Haupt auf die Brust geneigt, langsam auf der Brücke auf und nieder, ohne daß man seine Tritte hörte.

Leutnant Morgan wachte auf der andern Seite der Brücke. Er wagte nicht, seinen Kapitän anzureden.

»Wie ein Gespenst!« murmelte Stiller.

»Und Morgan paßt zu ihm«, meinte Carmaux. »Der ist auch nie lustig. Alle beide haben sich gefunden.«

Plötzlich ertönte ein Ruf durch die Dunkelheit. Er kam aus der Höhe des Hauptmastes. Die Stimme rief zweimaclass="underline" »Ein Schiff in Sicht – seewärts!«

Der Schwarze Korsar hatte seinen Gang jäh unterbrochen. Er stand einen Augenblick still und schaute über das Meer. Dann wandte er sich an Morgan: »Laßt die Lichter auslöschen!«

Nach Empfang des Kommandos beeilten sich die Seeleute des Vorderdecks, die beiden großen Lampen an Bord und Steuerbord zu bedecken.

Als Dunkelheit auf der »Fólgore« herrschte, fragte der Kapitän den Mastwächter nach der Fahrtrichtung des gesichteten Schiffs.

»Es fährt gen Süden, Kommandant!«

»Nach der Küste von Venezuela zu?«

»Ich glaube!«

»In welcher Entfernung?«

»In sechs oder sieben Meilen!«

»Täuschst du dich auch nicht?«

»Nein, ich kann die Laternen genau unterscheiden!«

Der Korsar rief kurz: »Alle Mann auf Deck!«

Kaum eine halbe Minute hatte es gedauert, bis die ganze aus einhundertundzwanzig Flibustiern bestehende Mannschaft auf Deck erschien: die Männer vom Takelwerk an den Segeln, die Mastwächter hoch oben, die besten Schützen in den Mastkörben und auf der Schiffsschanze und die andern Seeleute längs der Brüstung verteilt. Die Artilleristen standen hinter ihren Geschützen, die Lunte in der Hand.

Die auf den Flibustierschiffen herrschende Ordnung und Disziplin übertraf die auf den Kriegsschiffen der größten seefahrenden Nationen. Die meist aus dem Auswurf der französischen, italienischen, holländischen, deutschen und englischen Häfen zusammengesetzten Mannschaften, die sich hier im Golf von Mexiko zusammenfanden, hatten sich wohl oft allen Lastern ergeben, fürchteten sich aber nicht vor dem Tode. Sie waren unglaublich kühn und der größten Taten fähig. Sie gehorchten wie Lämmer, in der Erwartung, sich in den Kämpfen wie Tiger gebärden zu können. Diese Seefahrer wußten, daß ihre Anführer keine Fahrlässigkeit ungestraft lassen würden und daß ihnen bei der geringsten Disziplinlosigkeit ein Kopfschuß mit der Pistole oder zumindest die Aussetzung auf eine einsame Insel drohte.