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Als der Schwarze Korsar sich überzeugt hatte, daß alle auf ihrem Posten waren, wandte er sich an Morgan, der seiner Befehle harrte.

»Glaubt Ihr, daß das Schiff ein Spanier ist?« fragte er.

»Ja, Kommandant!«

»Dann wird es eine verhängnisvolle Nacht für die Gegner werden, manch einer von ihnen wird morgen die Sonne nicht mehr sehen.«

»Sollen wir das Schiff noch heute nacht angreifen?«

»Ja, und laßt es nicht aus den Augen!«

Morgen sprang auf die Brüstung und blickte seewärts. Aus der das rauschende Meer bedeckenden Finsternis tauchten leuchtende Punkte auf.

»Jetzt sind sie vier Meilen entfernt!« rief der Leutnant.

»Und nehmen den Kurs nach Süden?« fragte der Korsar.

»Nach Maracaibo!«

»Also gebt Order, dem fremden Schiff den Weg abzuschneiden! Dann laßt hundert Handgranaten auf Deck schaffen und alles in Gängen und Kabinen sichern!«

»Wenn wir das Schiff in Brand setzen, verlieren wir aber die Gefangenen!«

»Was liegt an ihnen?«

»Aber das Schiff kann Reichtümer bergen. Ich spreche im Interesse unserer Leute.«

»Für sie habe ich Gold! Laßt das Schiff wenden!«

Beim ersten Kommando hörte man die Pfeife des Obermaats. Die Leute vom Takelwerk braßten mit blitzartiger Geschwindigkeit die Segel, während der Steuermann backbord wandte.

Die »Fólgore« machte sofort eine Wendung und stürzte sich, von einer frischen Südostbrise getrieben, auf das signalisierte Fahrzeug, indem sie eine lange weiße Schaumlinie hinter sich ließ. Sie schoß durch die Dunkelheit, leicht wie ein Vogel und fast lautlos, gleich dem märchenhaften Geisterschiff.

Längs der Brüstung standen unbeweglich und stumm die Füsiliere und lugten nach dem feindlichen Schiff aus. Sie hatten ihre großkalibrigen Flinten umklammert, die in ihren Händen eine entsetzliche Waffe waren, da sie nur selten einen Schuß verfehlten. Indessen zündeten die Artilleristen, über ihre Geschütze gebeugt, die Lunte an, bereit, einen Geschoßhagel auf ihre Gegner zu senden.

Der Schwarze Korsar und Morgan hatten die Kommandobrücke nicht verlassen. Sie ließen kein Auge von den beiden leuchtenden Punkten, welche durch die Dunkelheit in kaum drei Meilen Entfernung blitzten.

Carmaux, Stiller und der Neger standen alle drei am Bug und sprachen leise zusammen.

»Wird eine schlechte Nacht geben«, sagte Carmaux. »Ich fürchte, daß der Kommandant keinen einzigen Spanier am Leben lassen wird.«

»Mir scheint, daß der Segler drüben merkwürdig hoch gebaut ist«, meinte Stiller, der die Höhe der Laternen mit dem Wasserspiegel verglich. »Hoffentlich ist es kein Linienschiff, das sich mit dem Geschwader des Admirals Toledo vereinen will!«

»Und wenn schon! Das würde den Schwarzen Korsaren nicht schrecken. Bisher hat noch kein Schiff der ›Fólgore‹ widerstanden. Wir sollen feuern, hat der Kommandant gesagt.«

»Zum Teufel, wenn er so fortfährt, wird eines Tages auch die ›Fólgore‹ mal dran glauben müssen!«

»Die ist felsenfest.«

»Aber auch Felsen brechen manchmal.«

Die Stimme des Schwarzen Korsaren unterbrach das Gespräch. Auf seinen Befehl wurden die Beisegel an der äußersten Spitze dem Haupt- und Fockmast zugefügt.

»Die Jagd beginnt«, fuhr Carmaux fort. »Es scheint, daß das spanische Schiff gut fährt, da es die ›Fólgore‹ zwingt, die Beisegel zu hissen.«

»Ich sage dir, daß wir es mit einem Linienschiff zu tun haben. Sieh doch nur die hohen Masten an!«

»Um so besser! Dann wird es auf beiden Seiten heiß hergehen!«

In diesem Augenblick hallte eine kräftige Stimme von dem feindlichen Fahrzeug herüber. Der Wind hatte das Signal dem Flibustierschiff zugetragen.

Plötzlich blinkte ein heller Schein auf und erleuchtete die Brücke und einen Teil der Masten des spanischen Schiffs. Ein heftiges Dröhnen folgte. Es war ein Kanonenschuß, der mit langem Widerhall verebbte. Das Wasser spritzte am Heck des Korsarenschiffs hoch auf. Der Pfiff in der Luft war den Flibustiern wohlbekannt. Niemand von der Mannschaft sprach ein Wort.

Diese erste Kanonade des gegnerischen Schiffs sollte eine Warnung sein, ihm nicht weiter zu folgen. Es hatte von neuem beigedreht mit dem Bug nach Süden und schien damit anzudeuten, daß es in den Golf von Maracaibo einfahren wolle.

Als der Korsar die Schwenkung bemerkte, wandte er sich an seinen Oberleutnant: »An den Bug, Morgan!«

»Soll ich Befehl zum Schießen geben?«

»Noch nicht, es ist zu dunkel! Bereitet alles vor.«

Am Vorderteil des Schiffs lagen vierzig Mann ausgestreckt, die Gewehre in der Hand und die Eisenpiken neben sich.

»Auf!« kommandierte Morgan. »Macht die Quirlanker zurecht!«

Dann gab er den Leuten hinter der Brüstung weitere Anordnungen.

Fürchtete die Mannschaft schon den Schwarzen Korsaren, so hatte sie fast noch mehr Furcht vor Morgan. Er war fest, unbeugsam und ebenso mutig wie der Erste Kommandant. Von englischer Abstammung, war Morgan erst vor kurzem nach Amerika gekommen. Er hatte sich aber sofort durch seinen Unternehmungsgeist, seine seltene Energie und Kühnheit ausgezeichnet. Beweise davon hatte er unter dem Befehl von Mansfield, einem berühmten Korsaren, gegeben. Später übertraf er an Mut und Tapferkeit alle Flibustier der Tortuga bei dem bekannten Unternehmen gegen Panama, dessen Einnahme man für unmöglich gehalten hatte.

Neben einer ungewöhnlichen Kraft und einem schönen Äußeren besaß er Seelenadel. Gleich dem Schwarzen Korsaren übte auch er eine geheimnisvolle Macht auf die rohen Seeleute aus, die ihm gehorchten, sobald er nur winkte.

Als alles fertig war, stellte sich Morgan neben das Bugspriet auf den Beobachtungsposten, die eine Hand am Säbelgriff, die andere auf der Pistole in seinem Gürtel.

Das feindliche Schiff war jetzt kaum sechs- bis siebenhundert Meter entfernt. Die ihren Namen mit Recht tragende »Fólgore« hatte ihr Ziel erreicht und bereitete sich nun zum Angriff vor.

Obgleich die Nacht dunkel war, konnte man doch das spanische Schiff in allen Einzelheiten erkennen.

Wie Stiller vermutet hatte, war es ein Linienschiff. Mit seinen hohen Wänden, dem erhöhten Deck und den drei bis an die Spitze der Flaggenstöcke mit Segeln bedeckten Mastbäumen hatte es ein imponierendes Aussehen. Das Schlachtschiff war stark bewaffnet und mit einer zahlreichen, zum tapferen Widerstand bereiten Mannschaft gerüstet. Jeder andere Korsar hätte sich wohl gehütet, anzugreifen; denn auch nach einem Sieg wäre wenig Beute gefunden worden. Waren es doch sonst nur die mit reichen Schätzen aus den Minen Mexikos, Yukatans und Venezuelas beladenen Kauffahrteischiffe, die sich die Seeräuber aussuchten! Aber der Schwarze Korsar, der sich um Reichtümer nicht kümmerte, dachte anders.

Da er einen mächtigen Verbündeten van Goulds in diesem Schiffe sah, das später seine Pläne durchkreuzen konnte, griff er es an, noch ehe es das Geschwader des Admirals Toledo verstärken oder zur Verteidigung Maracaibos heranrücken konnte.

Als das spanische Schiff sich hartnäckig verfolgt sah, gab es sich wohl keinem Zweifel mehr über die Absichten des Korsaren hin. So feuerte es aus einer seiner größten Kanonen einen zweiten Schuß aus einer Entfernung von fünfhundert Metern ab.

Diesmal verirrte sich die Kugel nicht ins Wasser. Sie sauste durch das Vormarssegel und den Mastkorb und traf die äußerste Spitze des Girksegels, so daß das schwarze Banner des Piraten sank.

Die beiden Geschützmeister auf Deck wandten sich an den Schwarzen Korsaren, der noch immer am Steuer stand, das Sprachrohr in der Hand, und fragten: »Sollen wir anfangen, Kommandant?«