»Noch nicht!« erwiderte er.
Ein dritter, noch stärkerer Kanonenschuß erschütterte das Meer, und eine Kugel pfiff durch das Takelwerk des Piratenschiffs.
Ein verächtliches Lächeln umspielte die Lippen des kühnen Flibustiers, aber kein Befehl kam aus seinem Munde.
Die »Fólgore« beschleunigte ihren Kurs und zeigte dem feindlichen Schiff ihren hohen Sporn, der das Meer mit dumpfem Geräusch durchschnitt, voller Ungeduld, mit einem Riesenstoß in den Bauch des spanischen Schiffes vorzudringen. Sie flog dahin wie ein schwarzer Vogel mit einem ungeheurem Schnabel.
Der Anblick dieses Fahrzeugs, das so plötzlich aus dem Meere auftauchte und stumm dahinfuhr, ohne Antwort auf die Herausforderung und ohne ein Zeichen, daß Menschen darauf wären, mußte auf die abergläubischen Seelen der spanischen Seeleute eine eigenartige Wirkung ausüben.
Plötzlich hallte Lärm durch die Finsternis. Eine gebieterische Stimme, wohl die des Kommandanten, übertönte den Tumult: »Braßt an Backbord! ... Stützt den Balken! ... Geschützfeuer! ...«
Ein furchtbares Getöse brach an Bord des Linienschiffes aus, während Feuerblitze die Nacht erleuchteten. Die sieben Geschütze an Steuerbord und die beiden Kanonen auf Deck hatten auf das Korsarenschiff ihre Geschosse gespien. Die Kugeln pfiffen nur so um die Flibustier herum; sie drangen durch die Segel, zerrissen die Taue, vernichteten das Kiel, zertrümmerten die Wände, aber sie konnten dem Rasen der »Fólgore« nicht Einhalt gebieten.
Vom kräftigen Arm des Schwarzen Korsaren geleitet, fuhr sie mit Ungestüm auf das große Schiff los, das noch im letzten Augenblick von dem Steuermann vor einer entsetzlichen Katastrophe gerettet wurde. Aus seinem Kurs gerissen, das Backbord schräg geneigt, entrann es wunderbarerweise dem Stoß, der es mit gespaltener Flanke in die Tiefe schleudern sollte.
Die »Fólgore« fuhr dort vorüber, wo sich vor wenigen Minuten noch das Heck des feindlichen Schiffes befunden hatte. Sie stieß das Schiff mit ihrer Seitenwand, so daß es im Innern erschüttert wurde; sie vernichtete das Girksegel und einen Teil des Gebälks – aber sie konnte ihm sonst nichts weiter anhaben.
Als das Korsarenschiff sein Ziel verfehlt hatte, fuhr es rasch weiter und verschwand in der Finsternis, ohne gezeigt zu haben, ob Mannschaft oder Geschütze an Bord wären.
»Donnerwetter!« rief Stiller, der in Erwartung des furchtbaren Stoßes den Atem angehalten hatte. »Da können die Spanier von Glück sagen! ...«
»Ich hätte kein Gramm Tabak für die Rettung der Mannschaft drüben gewettet«, sagte Carmaux. »Schon sah ich alle untertauchen.«
»Glaubst du, daß der Kommandant den Angriff noch einmal versuchen wird?«
»Die Spanier werden jetzt aufpassen und uns die Zähne zeigen.«
»Sie werden uns gut bombardieren. Wäre es Tag gewesen, so hätte uns die Geschützsalve auch verhängnisvoll werden können!«
»Sie hat aber nur wenig Schaden angerichtet.«
»Still, Carmaux!«
»Was gibt's?«
Der Schwarze Korsar hatte das Sprachrohr erhoben und hineingerufen: »Das Schiff wenden!«
»Wir fangen also wieder an?« brummte Stiller.
»Wirklich! ... Er läßt das spanische Schiff nicht gehen«, bestätigte Carmaux.
»Es scheint auch gar nicht die Absicht zu haben, weiterzufahren.«
In der Tat. Anstatt seine Fahrt fortzusetzen, hielt das Kriegsschiff an und legte sich gegen den Wind, als ob es zur Wiederaufnahme des Kampfes bereit wäre. Es drehte sich jedoch nur langsam, den Schnabel nach vorn, um nicht gerammt zu werden.
Auch die »Fólgore« hatte in einer Entfernung von zwei Meilen gewendet. Statt aber zum Gegner zurückzukehren, beschrieb sie einen großen Kreis um ihn und hielt sich auch immer aus dem Bereich der Geschütze.
»Ich verstehe schon!« sagte Carmaux. »Unser Kapitän will den Morgen abwarten, ehe er sich einläßt und ans Erobern geht!«
»Sicher will er die Fahrt der Spanier nach Maracaibo verhindern!« fügte Stiller hinzu.
»Na, bereiten wir uns nur auf einen ordentlichen Kampf vor! Sollte ich von einer Kanonenkugel zerrissen oder auf Deck des feindlichen Schiffes getötet werden, so ernenne ich dich nach Piratenbrauch zum Erben meines bescheidenen Vermögens.«
»Auf wie hoch stellt es sich denn?« fragte Stiller lachend.
»Auf zwei Smaragde, von denen jeder mindestens fünfhundert Piaster wert ist. Sie sind in meinem Jackenfutter.«
»Das reicht gerade, um sich eine Woche lang auf der Tortuga zu amüsieren! Auch ich ernenne dich zu meinem Erben; aber ich bemerke, daß ich nur drei Dublonen besitze, die in meinem Gürtel eingenäht sind.«
»Sie genügen, um sechs Flaschen spanischen Weins auf dein Andenken zu leeren!«
»Danke, Carmaux. Jetzt bin ich beruhigt und kann den Tod heitern Gemüts erwarten.«
Inzwischen setzte die »Fólgore« ihre Fahrt um das Linienschiff fort, das still lag und nur den Bug zeigte. Rasch wie ein Vogel flog sie drohend herum, aber ohne ihre Geschütze donnern zu lassen.
Der Schwarze Korsar hatte das Steuer nicht verlassen. Seine Augen leuchteten wie die eines Raubtiers im Dunkeln. Sie hafteten unentwegt auf dem Kriegsschiff, als ob sie die Geschehnisse an Bord erspähen wollten. Vielleicht wartete er auf ein falsches Manöver, um ihm den Todesstoß zu versetzen.
Seine Mannschaft betrachtete ihn mit abergläubischer Furcht. Dieser Mann, der sein Schiff behandelte, als ob es mit seiner Seele verwachsen sei, der es um die Beute herumfahren ließ, fast ohne Segel zu ändern, dieser unbeweglich dastehende Mann mit dem finstern Aussehen flößte den kühnen Seefahrern beinahe Schrecken ein.
Die ganze Nacht hindurch fuhr der Pirat um das Linienschiff herum, ohne auf die von Zeit zu Zeit erfolglos abgefeuerten Kanonenschüsse zu antworten. Als jedoch die Sterne erblaßten und das Morgenlicht das Wasser des Golfs erhellte, ertönte die Stimme des Korsaren: »Alle Mann an den Kampfplatz! – Meine Flagge in die Höhe!«
Die »Fólgore« umsegelte jetzt nicht mehr das Schlachtschiff; sie steuerte auf dasselbe zu, zum Entern entschlossen.
Das große, schwarze Banner des Korsaren war hoch oben gehißt und angenagelt worden, damit es niemand streichen konnte ... das bedeutete: Siegen um jeden Preis oder sterben ohne Übergabe!
Die Artilleristen an Bord hatten die beiden Verfolgungskanonen gerichtet, während die übrige Mannschaft an der Brüstung ihre Gewehre durch die Hängematten steckte, um das feindliche Schiff zu beschießen.
Der Schwarze Korsar vergewisserte sich, ob alle auf ihrem Posten waren und ob die Mastwächter ihre Stellung auf den Körben, Tauen und Segelstangen eingenommen hatten. Dann ertönte sein Ruf: »Ich halte euch nicht mehr zurück! ... Es lebe die Freibeuterei!«
Drei mächtige Hurrarufe hallten an Bord des Flibustiers wider und wurden vom Gedröhn der beiden Kanonen unterstützt.
Das Linienschiff hatte sich wieder dem Wind überlassen und ging dem Piratenschiff entgegen. Es mußte mit tapferen, entschlossenen Matrosen bemannt sein. Gewöhnlich entzogen sich die spanischen Schiffe den Angriffen der Tortugakorsaren, weil sie in ihnen gefährliche Gegner fürchteten.
Auf tausend Schritt Entfernung begann es die Kanonade mit erneuter Heftigkeit. Bald entluden sich seine Geschütze von Steuerbord, bald von Backbord aus und verbreiteten Rauch und Flammen um sich.
Es war ein großes Fahrzeug mit drei Verdecken, vielen Masten, sehr hohem Bord und mit vierzehn Feuerschlünden ausgerüstet – ein echtes Schlachtschiff, das sich vielleicht aus irgendeinem Grunde vom Geschwader des Admirals Toledo abgesondert hatte.
Auf der Kommandobrücke stand der Kommandant in großer Uniform, den Säbel in der Hand, von den Leutnants umgeben. Viele Matrosen bemerkte man auf dem Oberdeck. Die Standarte Spaniens flatterte am Hauptmast. So bewegte sich das mächtige Schiff unter Kanonendonner kühn auf die »Fólgore« zu.