Sein Steuer hatte eine Kanonenkugel durchbohrt. Der durch eine Bombe am Fuße getroffene Mastbaum drohte bei der geringsten Segelkraft umzufallen. Das Besansegel hatte seine Taue und einen Teil der Pardunen verloren. Auch die Brüstungen hatten Schaden gelitten.
Es war jedoch ein großes, schönes Schiff, das man reparieren und mit gutem Gewinn auf der Tortuga verkaufen konnte. Besonders von Wert waren seine Kanonen und der Munitionsvorrat, an dem die Flibustier stets Mangel litten.
Der Schwarze Korsar traf sofort Anordnungen für die dringendsten Ausbesserungen, da er sich so bald als möglich aus den Gewässern entfernen wollte. Es drohte die Gefahr, daß das Geschwader des Admirals Toledo einen Angriff wagte.
Die Leichen wurden an den Füßen mit Kanonenkugeln versehen, zu zweien in die Hängematten gelegt und in die Tiefe des Meerbusens versenkt. Zuvor hatte man ihnen die Wertsachen abgenommen, welche die Fische nicht brauchten, wie Carmaux scherzhaft zu seinem Freunde Stiller sagte. Beide waren bei dem Kampfe unversehrt geblieben.
Nachdem dies Werk vollbracht, reinigte die Mannschaft das Oberdeck von den Trümmern und Blutlachen und machte sich an das Wechseln der von den Kanonenkugeln beschädigten Segel und Taue. Es mußte der Mastbaum des Linienschiffs heruntergeschlagen und der Hintermast bedeutend verstärkt werden. An Stelle des Steuers wurde ein riesiges Ruder genommen, da man in der Stellmacherkammer keinen Ersatz fand.
Trotz alledem war das Schiff noch immer nicht fahrtüchtig. Darum mußte es die »Folgore« ins Schlepptau nehmen. Auch wollte der Korsar die nun verringerte Mannschaft nicht zu sehr aufteilen. Man warf einen großen Anker auf das Heck des Flibustierschiffs hinüber und befestigte es am Bug.
Gegen Sonnenuntergang setzten sich die Piraten wieder unter Segel und fuhren langsam nach Norden ihrer Insel zu.
Der Kommandant ließ für die Nacht die Wachen verdoppeln, da er sich nach dem Kanonenfeuer am Morgen nicht ganz sicher fühlte bei der kurzen Entfernung von der venezuelischen Küste.
Garmaux und der Neger wurden beauftragt, die flämische Herzogin auf das Korsarenschiff zu bringen.
Währenddessen ging der Kapitän auf Deck seines Fahrzeugs mit einer Unruhe auf und nieder, die seinen sonstigen Gewohnheiten nicht entsprach. Oft stand er still, als ob ihn ein Gedanke peinigte. Sein Antlitz war düster wie immer. Als er den dumpfen Anprall der Schaluppe vernahm, verließ er eilig das Kastell und stellte sich an die an Backbord hinunterführende Treppe.
Honorata stieg leichtfüßig empor, ohne sich zu stützen. Sie war wie am Morgen gekleidet; nur über den Kopf hatte sie einen bunten Seidenschal geworfen.
Der Korsar, der sie mit entblößtem Haupte begrüßte, dankte ihr, daß sie gekommen.
»Ich habe zu danken, Cavaliere, daß Ihr mich hier empfangt! Ich bin ja Eure Gefangene. Würdet Ihr erlauben, daß eine meiner Dienerinnen bei mir bleibt?«
Der Kapitän bejahte, reichte ihr dann galant den Arm und führte sie in seinen unter der Schanze liegenden Wohnraum, der mit Luxus ausgestattet war.
Die Wände seiner Kabine waren mit blauer, goldbestickter Seide tapeziert und mit großen venezianischen Spiegeln versehen. Der Fußboden verschwand unter einem weichen orientalischen Teppich, und die breiten, von feinen, kannelierten Säulchen unterbrochenen Fenster mit Aussicht auf das Meer waren durch leichte Musselingardinen verhängt. In den Ecken standen vier mit Silbergegenständen bestandene Regale, in der Mitte ein reich geschmückter, mit feinem flandrischen Linnen bedeckter Tisch und ringsherum bequeme Sessel aus blauem Samt mit dicken Metallbeschlägen. Zwei hohe silberne Armleuchter erhellten den Raum und beleuchteten die Spiegel wie die über der Tür angebrachte Gewehrdekoration.
Der Korsar lud die junge Flämin und ihre Gesellschafterin, die Mulattin, ein, Platz zu nehmen, und ließ sich ihnen gegenüber nieder. Der Neger Mokko servierte die Speisen auf silbernen Schüsseln, die ein eigenartiges Wappen trugen. Es stellte einen Felsen dar, auf dem vier Adler thronten, darunter eine unleserliche Inschrift.
Das Mahl, das aus vortrefflich zubereiteten Fischen, konserviertem Fleisch, süßen Speisen und tropischen Früchten bestand, wurde fast schweigend eingenommen. Da der Gastgeber stumm blieb, hatte es die junge Flämin nicht gewagt, ihn in seinen Betrachtungen zu stören. Als nach Tisch die Schokolade in winzigen Porzellanschälchen gereicht worden war, entschloß sich der Kommandant endlich, das Schweigen zu brechen.
»Verzeiht, Madame«, sagte er, »daß ich ein so schlechter Gesellschafter war; aber oft, wenn die Nacht hereinbricht, überkommt mich eine seltsame Schwermut, der ich mich nicht erwehren kann. So auch heute. Es quälen mich dann Erinnerungen düsterer Natur und drücken mich nieder!«
»Ihr, der kühnste der Korsaren, seid traurig?« rief Honorata erstaunt. »Ihr besitzt ein Schiff, das die größten Fahrzeuge besiegt, Ihr habt tapfere Leute, die sich auf Euren Befehl töten lassen, seid einer der mächtigsten und reichsten Häupter der Freibeuterei. Wie könnt Ihr da traurig sein?«
»Seht das Kleid an, das ich trage, und denkt an den Namen, den man mir gab! Hat das nicht eine Bedeutung?«
»Ja, ja, Ihr tragt ein Trauerkleid, und Euer Name flößt Furcht ein!« antwortete die junge Herzogin betroffen. »In Veracruz, wo ich einige Zeit zubrachte, wurden seltsame Geschichten über Euch erzählt.«
»Erzählt mir davon«, bat der Korsar. Um seine Lippen spielte ein spöttisches Lächeln, aber seine Augen schauten die junge Flämin voller Güte an.
»Ich hörte, daß Ihr den Atlantischen Ozean mit zwei Brüdern durchquert hättet, der eine im grünen, der andere im roten Gewande. Ihr wurdet mir beschrieben, wie Ihr seid, als ein finsterer, schweigsamer Mann. Man sagte mir, daß, wenn die Stürme über die Antillen wüten, Ihr den Wogen und Winden zum Trotz aufs Meer ginget, daß Ihr den Zorn der Natur herausfordert, da Euch höllische Geister schützen.«
»Und weiter ...?«
Die Herzogin blickte den Flibustier mit einer gewissen Unruhe an.
»Warum wollt Ihr nicht fortfahren?« fragte er lächelnd.
»Ich wage es nicht ...«
»Flöße ich Euch Angst ein?«
»Nein, aber ...«
Plötzlich ging sie auf ihn zu und fragte: »Ist es wahr, daß Ihr Tote heraufbeschwören könnt?«
In diesem Moment prallte eine mächtige Welle gegen das Backbord, deren Schlag in der Kajüte dumpfen Widerhall fand, und der Gischt spritzte bis an die Fenster empor.
Der Korsar sprang auf. Er war leichenblaß ... Er trat an eins der Kajütenfenster, öffnete es und schaute hinaus.
Das Meer war aber ganz ruhig, durchschimmert von dem matten Glanz des Nachtgestirns. Nur eine leichte Brise, welche die Segel der »Fólgore« schwellte, kräuselte die Oberfläche. Allein am Backbord schäumte das Wasser gegen die Schiffswand. Sollte eine geheimnisvolle Macht jenen Wogenschlag erzeugt haben ...?
Die Herzogin hatte sich nach einer Weile dem Kommandanten genähert, der regungslos, in Sinnen verloren, in die Tiefe hinunterblickte. Auch sie war bleich und schreckenerfüllt.
»Woran denkt Ihr, Kapitän?«
Erst als sie ihre Frage wiederholte, wandte er sich langsam um.
»Ist es möglich, daß die auf dem Grunde des Meeres begrabenen Toten ihre Gräber verlassen und wieder an die Oberfläche kommen können?«
Das junge Weib erschauderte.
»Von welchen Toten sprecht Ihr? Von Euren Brüdern ...?«
»Von denen, die noch ungerächt gestorben sind.«
Da trat der Korsar schnell vom Fenster zurück, füllte zwei Gläser mit weißem Wein und sagte mit veränderter Stimme: »Auf Euer Wohl, Madame! Die Nacht ist schon angebrochen, Ihr werdet Euch nach Ruhe sehnen.«
»Die Nacht ist schön«, sagte sie leise, »es würde mich der Schlaf doch fliehen.«
Die düstern Augen des Kapitäns blitzten auf.
»Wollt Ihr mir noch Gesellschaft leisten? Dann nehme ich es mit Dank an. Das Leben ist hart und einsam auf dem Wasser, fast nie ein Zerstreuung! Eure Anwesenheit hier ist wie eine milde Hand, die über meine Stirne streicht. Seht nur, die Traurigkeit, die mich vor kurzem übermannt hatte, habt Ihr verscheucht. Trinken wir noch ein Glas zusammen!«