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Antillenstürme
Der Orkan verheerte die Kleinen Antillen, die ihrer Lage nach als Dämme im Atlantischen Ozean den ersten fürchterlichen Anprall der Ostwinde auszuhalten hatten. Er warf sich auf das amerikanische Festland und dann auf Porto Rico und Haiti und stürzte in den Überwindkanal mit einer Wucht, die den Schiffen im Golf von Mexiko und im Karibischen Meer wohlbekannt war.
Auf das helle, glänzende Tageslicht der Äquatorgegend war eine tiefe Nacht gefolgt, die kein Blitz erhellte, eine jener Nächte, die selbst den kühnsten Seefahrern Schrecken einjagen. Man sah nur Wellenschaum, der fast wie Meeresleuchten erschien.
Blitzartig fegte ein Windstoß über die See dahin. Heftige Stöße folgten einander unter Pfeifen und Heulen. Die Segel klapperten, und selbst die Masten bogen sich.
Man hörte ein seltsames Getöse in der Luft, das von Augenblick zu Augenblick anschwoll. Es klang, als ob tausend mit Eisenwerk beladene Wagen im Fluge durch die Luft rasselten oder als ob schwere Eisenbahnzüge mit Volldampf über Metallbrücken gingen.
Das Meer war schrecklich anzusehen. Berghoch fluteten die Wogen von Osten nach Westen, indem sie mit dumpfem Gebrüll und entsetzlichem Gebraus eine über die andere stürzten, von hohem, phosphoreszierendem Gischt umhüllt.
Lärmend erhoben sie sich, als ob sie ein ungeheurer Druck von unten nach oben triebe. Dann wallten sie wieder zurück, tiefe Abgründe bildend und das Meer tief aushöhlend, als ob sie dabei seinen Grund berührten.
Da die »Fólgore« ihr Segelwerk aufs äußerste beschränken mußte, hatte sie nur die Fänge und das Fock- und Großsegel behalten. Nach dem Reffen nahm sie den Kampf tapfer auf.
Sie schoß über die See wie ein zauberhafter Vogel. Bald flog sie den Wellenberg hinauf, umgeben von gurgelndem Schaum, wie wenn sie die schwarzen Wolkenmassen anführen wollte. Bald flog sie an den Wogenwänden hinunter, wie wenn sie sich in die Tiefe des Meerbusens stürzen wollte. Sie tauchte mit der äußersten Spitze ihrer Focksegelrahen in den Gischt, aber ihre mächtigen Flanken wichen nicht dem gewaltigen Anprall der Fluten. Hin und wieder fielen Baumzweige, allerlei Früchte, Zuckerrohr und Blättermassen auf das Oberdeck, welche der Wirbelwind aus den Wäldern und Pflanzungen von der nahen Insel Haiti herüberwehte, während nasse Strahlen aus den Sturmwolken auf das Deck prasselten und dann mühsam verrannen.
Bald folgte jedoch der dunklen Nacht eine feurige. Blitze zuckten durch die Finsternis und erhellten Meer und Schiff mit einem fahlen Lichte. Donner grollten in den Wolken, als ob ein Kampf zwischen hundert Geschützen dort oben stattfände.
Die Luft war so stark mit Elektrizität erfüllt, daß Hunderte von Funken aus den Ankerketten der »Fólgore« sprühten und auf den äußersten Mastspitzen bei den Windzeigern elektrische Flämmchen zitterten.
Der Orkan hatte seine größte Stärke erreicht.
Mit blitzartiger Geschwindigkeit fuhr der Wind unter gewaltigem Brausen dahin. Er wirbelte Wasserhosen auf, die kreisend zurückfielen, Schleier bildend, die dann zerstäubten.
Die vom Winde zerrissenen Fänge der »Fólgore« waren fortgeweht, und das gänzlich zerschlitzte Focksegel baumelte hin und her, aber das Großsegel hielt stand.
Das von den Fluten und heftigen Windstößen vorwärtsgetriebene Schiff lief inmitten der Blitze und Wasserhosen mit unglaublicher Schnelligkeit. Es schien, als ob es jeden Augenblick versinken müßte, und doch erhob es sich immer wieder und schüttelte die Wassermassen ab, die es schäumend überfluteten.
Der Schwarze Korsar stand aufrecht am Heck und führte mit sicherer Hand das Steuer. Unbewegt inmitten des Tobens der Elemente, unempfindlich, ob auch das Wasser über ihn dahinbrauste, so trotzte er unerschrocken dem Wüten der Natur.
Wenn die feurigen Zickzacklinien der Blitze ihn rings umzuckten, nahm seine dunkle Gestalt phantastische Formen an. Oft verhüllte ihn der weiße Gischt vollständig. Der Wind riß an der langen Feder seines Huts und zerfetzte sie nach und nach. Der Donner umgrollte ihn immer lauter, immer gewaltiger, aber der Kapitän blieb unentwegt auf seinem Posten und führte beharrlich das Schiff durch Wellen und Wind. So glich er einem Meergeist, der heraufgestiegen war aus der Tiefe des Golfs, um seine Kräfte mit der Natur zu messen.
Die Mannschaft betrachtete ihn mit abergläubischem Schrecken, wie in jener Nacht, als die »Fólgore« das Kriegsschiff enterte. Die Seeleute fragten sich, ob dieser Mann, dem weder Schwerter, Kanonen noch Orkane etwas anhaben konnten, ein Sterblicher sei oder ein übernatürliches Wesen.
Plötzlich sah man ein Weib aus der Kajüte kommen und auf die Schanze steigen. Sie hielt sich mit äußerster Energie am Geländer der kleinen Treppe des Backbords fest, um nicht von den Schiffsstößen umgeworfen zu werden. Ein schwerer Mantel umhüllte sie. Ihre langen, blonden Haare wehten im Winde.
»Halt!« schrie der Korsar. »Seht Ihr denn nicht, daß der Tod hier wartet?«
Die Herzogin antwortete nicht; sie machte ihm ein Zeichen mit der Hand, als ob sie sagen wollte: »Ich habe keine Furcht.«
»Zieht euch zurück, Madame!« rief der Korsar in höchster Bestürzung.
Anstatt zu folgen, zog sie sich an den Tauen zur Schanze hinauf, hielt sich beim Weitergehen oben am Girksegelbalken fest und stieg dann in die große Schaluppe, die man mit dem Kran hinaufgezogen hatte, damit sie nicht von den Wellen fortgetragen werde. Dort kauerte sie sich nieder.
Der Korsar bedeutete ihr noch einmal, sich zurückzuziehen, doch sie schüttelte energisch den Kopf.
»Aber hier herrscht der Tod!« wiederholte er. »Geht in Euer Gemach zurück!«
»Nein«, erwiderte sie fest.
»Was wollt Ihr nur hier?«
»Den Schwarzen Korsaren bewundern!«
»Und Euch von dem Wogen forttreiben lassen ...«
»Das würde Euch nicht bekümmern!«
»Ich will nicht Euren Tod! Versteht Ihr wohl, Herzogin?« rief der Kommandant, dessen Stimme zum erstenmal leidenschaftlich klang.
Honorata lächelte, ohne sich zu rühren. Ihre Hände legten sich fest um ihr schweres Gewand; ihre Haare flatterten im Winde. So ließ sie die Wellen wild über sich schlagen, ohne die Augen vom Korsaren zu wenden. Er wußte jetzt, daß jede weitere Mahnung vergeblich wäre. Und er schien fast beglückt zu sein über die Gegenwart des jungen Weibes, das ebenso mutig wie er dem Tode ins Auge schaute. Wenn der Orkan seinem Schiff einen Moment Ruhe gönnte, wandte er sich der Herzogin zu und lächelte sie an. Und jedesmal begegneten sich dabei ihre Blicke. Honoratas Augen hatten jene merkwürdige Starrheit angenommen wie an dem Morgen, als sie auf dem Vorderdeck des Linienschiffs stand, in seinen Anblick versunken.
Diese Augen übten eine geheimnisvolle Macht über den Flibustier aus. Es überkam ihn eine Unruhe, die er sich nicht zu erklären vermochte. Auch wenn er sie nicht ansah, fühlte er ihren Blick und empfand einen unwiderstehlichen Reiz, immer wieder das Haupt nach ihr hinzuwenden.
Als die Wogen sich einmal mit Ungestüm über die »Fólgore« warfen, fürchtete er sich sogar vor diesem Blick.
»Schaut mich nicht an, Herzogin! Es geht um unser Leben.«
Sofort war der Zauber gebrochen. Honorata schloß die Augen und senkte das Haupt, indem sie ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte.
Die »Fólgore« befand sich jetzt in der Nähe der Küste von Haiti. Beim Flammen der Blitze war es möglich, die hohen Ufer mit den vorgelagerten Klippen zu unterscheiden, an welchen das Schiff zerschellen konnte. Die Stimme des Korsaren drang durch Wellengebraus und Windgeheul.
»Wechselt ein Segel am Fockmast!«
Obwohl der Sturm das Meer hauptsächlich gegen die Südküsten Kubas peitschte, war er kaum weniger wild vor Haiti. Etwa fünfzehn, sechzehn Meter hohe Grundwellen brandeten um die Klippen, und mächtige Gegenwellen schlugen darüber.