»Genug!« stammelte er mit erlöschender Stimme.
»Nein«, erwiderte der Korsar kurz, »mein Geheimnis muß mit dir sterben!«
Der Gegner versuchte noch einen verzweifelten Schlag. Er kauerte sich nieder, stürzte dann vor und gab hintereinander drei bis vier Degenstöße. Der Korsar jedoch, fest wie ein Felsen, parierte mit derselben Geschwindigkeit.
»Nun werde ich dich an die Wand nageln!« sagte er.
Der Abenteurer, der voller Schrecken begriff, daß er verloren sei, wollte jetzt den Namen des Gegners hinausschreien.
»Zu Hilfe ...! Es ist der...«
Er kam nicht zu Ende. Das Schwert des Kapitäns war ihm in die Brust und dann weiter in die Mauer gedrungen.
Das Blut lief dem Besiegten aus dem Munde und rann über den Fellpanzer, der ihn nicht genügend geschützt hatte. Weit die Augen öffnend, fiel er zu Boden. Dabei zerbrach die Klinge, die ihn festgehalten hatte.
»Erledigt!« sagte Carmaux.
Hierauf beugte er sich über den Leichnam, nahm ihm das Schwert aus der Hand und reichte es dem Kommandanten, der mit finsterm Blick den Toten betrachtete.
»Da Eure Waffe zerbrochen ist, so nehmt nur diese! Wahrhaftig eine Toledoklinge!«
Der Korsar nahm wortlos den Degen und warf, nachdem er Hut und Mantel zusammengerafft, ein Doppelgeldstück auf den Tisch.
Dann ging er hinaus, gefolgt von Carmaux und dem Neger, ohne daß die andern in der Posada gewagt hätten, ihn zurückzuhalten.
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Der Gehenkte
Als der Kapitän und seine Gefährten auf der Plaza de Granada ankamen, war es schon dunkel, so daß man in zwanzig Schritt Entfernung niemand unterscheiden konnte.
Schweigen lag auf dem Platze, das nur hin und wieder von dem klagenden Krächzen einiger um die Galgen herumfliegender Vögel unterbrochen wurde. Die Flibustier schritten langsam vorwärts, wobei sie sich an den Häuserfassaden und an den Palmenstämmen festhielten. Auge und Ohren hatten sie offen und die Hand an den Waffen.
Wenn irgendein Geräusch widerhallte, blieben sie unter einem Baume oder unter einem Bogengang stehen, bis wieder Stillschweigen eingetreten war. Jetzt waren sie nur wenige Schritte von dem ersten Galgen entfernt, an dem, vom Nachtwind bewegt, fast nackt, ein armer Teufel baumelte. Da machte der Korsar seine Gefährten auf eine Gestalt aufmerksam, die an der einen Ecke des Gouverneurspalastes, dessen hohe Steinmasse vor dem Richtplatz emporragte, hin und her schritt.
»Potztausend«, murmelte Carmaux, »da ist ja der Wächter! Der wird uns die Arbeit verderben.«
»Aber Mokko ist stark«, bemerkte der Neger. »Ich werde mir den Soldaten da vornehmen!«
»Ja, und dabei die Hellebarde in den Leib kriegen, Gevatter Neger!«
Der Afrikaner lächelte, indem er seine zwei Reihen elfenbeinfarbiger Zähne zeigte, die so spitz waren, daß ihn ein Haifisch darum beneiden konnte.
»Mokko ist schlau und kann kriechen wie seine Zauberschlangen«, sagte er.
»Dann geh und beweise deine Tüchtigkeit!« erwiderte der Korsar.
»Ihr werdet sehen, Herr, daß ich den Mann da fangen werde, wie ich einst die Lagunenkrokodile fing!«
Er zog eine dünne Schnur aus geflochtenem Leder hervor, die in einen Ring endete, ein wirkliches Lasso, ähnlich, wie es die mexikanischen Vaqueros zur Stierjagd brauchen, und entfernte sich lautlos.
Der hinter einem Palmenstamm versteckte Korsar beobachtete ihn. Er bewunderte die Entschlossenheit des Schwarzen, der ohne Waffe war.
»Der hat Mut, was?« meinte Carmaux.
Der andere nickte wortlos. Sie sahen Mokko am Boden kriechen und sich langsam dem Gouverneurspalaste nähern.
Als der Neger bemerkte, daß der Soldat ihm den Rücken zuwandte, schlich er näher heran. Zehn Schritte von ihm entfernt, erhob er sich plötzlich, schwang zwei- oder dreimal das Lasso und lanzierte es mit sicherer Hand auf den Gegner.
Man hörte ein leises Schwirren, dann einen unterdrückten Schrei, und der Soldat lag am Boden, indem er die Hellebarde zur Erde fallen ließ und wie närrisch mit Armen und Beinen in der Luft herumfuchtelte und -strampelte.
Mokko wickelte ihn in die rote Schärpe, die er an seinem Gürtel trug, hob ihn auf wie ein Kind und warf ihn dem Kapitän vor die Füße.
»Du bist ein tapferer Mann«, sagte dieser. »Binde ihn jetzt an einen Baum und folge mir!«
Der Neger tat, wie ihm befohlen, unterstützt von Carmaux. Indessen betrachtete der Korsar die Gestalten, die an den Galgen hingen.
Mitten auf dem Platz blieb er vor einem Gerichteten stehen, der ein rotes Gewand trug und – welch bittere Ironie! – eine Zigarette zwischen den Lippen hielt.
Der Korsar seufzte schmerzerfüllt. Er konnte sich eines Aufschluchzens nicht erwehren.
Auf seinen Wink war der Neger, das Messer zwischen den Zähnen, an dem Galgen hinaufgeklettert und hatte den Strick abgeschnitten. Dann hob er ganz langsam die Leiche herunter. Carmaux stand ihm unten bei. Obgleich die Fäulnis schon eingetreten, nahm der Flibustier den Körper sanft in seine Arme und wickelte ihn in den Mantel, den ihm der Bruder des Toten gereicht hatte.
»Gehen wir!« sagte der Kommandant kurz. »Unsere Aufgabe ist erfüllt. Die Leiche des Tapferen wird dem Ozean übergeben werden.«
Der Neger nahm diese auf, und alle drei verließen schweigend den Platz. Noch einmal blickte sich der Kapitän zu den vierzehn andern Gehenkten um und winkte ihnen düster zu: »Lebt wohl, ihr unglücklichen Gefährten des Roten Korsaren! Bald wird euer Tod gerächt werden!« Dann wandte er sich zum Gouvernementspalaste: »Und wir, van Gould, haben beide noch abzurechnen!« Sie nahmen eiligst ihren Marsch auf, um so schnell wie möglich ans Meer und an Bord der »Fólgore« zu gelangen. Jetzt hatten sie in der Stadt nichts mehr zu suchen, in deren Straßen sie sich, infolge des Abenteuers in der Posada, doppelt unsicher fühlten.
Schon waren sie durch mehrere einsame Gassen gewandert, als Carmaux, der voranging, einige verdächtige Schatten unter einem Torbogen bemerkte.
»Langsam, langsam«, mahnte er. »Dort scheint man uns zu erwarten.«
»Könnten das etwa die Leute aus der Weinschenke sein?« fragte der Korsar.
»Es sind wirklich die fünf Basken mit ihren säbelartigen Dolchen!«
»Nur fünf? Die werden wir schon bewältigen«, meinte der Kapitän, sein Schwert ziehend.
»Meine Enterwaffe soll ebenfalls tanzen«, sagte Carmaux.
Drei in weite Mäntel gehüllte Männer hatten sich an der Ecke rechts aufgestellt, während zwei andere den Weg auf der linken Seite versperrten.
»Du wirst die zwei links und ich die drei rechts aufs Korn nehmen!« ordnete der Korsar an. »Und du, Mokko, kümmerst dich nicht weiter um uns, du flüchtest mit deiner kostbaren Bürde! Erwarte uns dann am Waldessaum!«
Die fünf Basken stellten sich nun mit ihren langen scharfen Waffen in Positur.
»Ah, seht! Wir scheinen uns nicht getäuscht zu haben«, sagte der eine.
»Gebt Raum!« schrie der Kommandant.
»Langsam, Caballero!« rief der Baske.
»Was wollt Ihr?«
»Eine kleine Neugierde befriedigen! Wissen, wer Ihr seid.«
»Der Mann, der alle umbringt, die sich ihm in den Weg stellen und ihm hinderlich sind.«
»Und wir sind die Leute, Caballero, die keine Furcht kennen und uns nicht umbringen lassen wie jener arme Teufel, den Ihr an die Wand genagelt habt. Erst Euren Namen und Titel! Sonst kommt Ihr nicht aus Maracaibo heraus! Wir stehen im Dienste des Gouverneurs und sind verantwortlich für Personen, die zu so später Stunde durch die Straßen spazieren.«
»Wenn Ihr meinen Namen wissen wollt, gut, so kommt her! Carmaux, du nimmst die beiden rechts!«
Letzterer hatte die Enterpike gezogen und war resolut auf die beiden andern losgegangen.
Die Basken hatten sich nicht von der Stelle gerührt. Sie warteten auf den Angriff der Flibustier, die Linke am Gürtel, die Rechte auf dem Knauf der Najava.