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Da die Musik in diesem Augenblick schweigt, schallt seine Frage mächtig durch den Raum. Ein paar Dutzend Leute sehen zu uns her, und selbst Riesenfeld erschrickt. Ich möchte rasch unter den Tisch kriechen; aber dann fällt mir ein, daß die Leute, die hier sind, die Frage einfach für ein Verkaufsangebot halten können, und ich erwidere kalt und laut:»Einundsiebzig Dollar das Stück, und keinen Cent drunter.«

Meine Antwort erweckt augenblicklich Interesse. »Um was handelt es sich?« fragt ein Mann mit einem Kindergesicht vom Nebentisch her. »Habe immer Interesse für gute Objekte. Cash natürlich. Aufstein ist mein Name.«

»Felix Koks«, erwidere ich die Vorstellung, froh, mich sammeln zu können. »Das Objekt waren zwanzig Flaschen Parfüm. Der Herr drüben hat leider schon gekauft.«

»Schschsch -« macht eine künstliche Blondine.

Die Darbietungen beginnen. Ein Ansager redet Blödsinn und ist wütend, weil seine Witze nicht zünden. Ich ziehe meinen Stuhl zurück und verschwinde hinter Aufstein; für Ansager bin ich ein beliebtes Ziel, und das wäre Ernas wegen heute eine Blamage.

Alles geht gut. Der Ansager zieht mißmutig ab, und wer steht auf einmal in einem weißen Brautkleid mit Schleier da? Renée de la Tour. Erleichtert setze ich mich wieder zurecht.

Renée beginnt ihr Duett. Züchtig und verschämt, in hohem Sopran, tiriliert sie als Jungfrau ein paar Verse – dann kommt der Baß und ist sofort eine Sensation.

»Wie finden Sie die Dame?« frage ich Riesenfeld.

»Dame ist gut -«

»Möchten Sie sie kennenlernen? Mademoiselle de la Tour.«

Riesenfeld stutzt. »La Tour? Sie wollen doch nicht behaupten, daß dieses absurde Naturspiel die Zauberin vom Fenster Ihnen gegenüber ist?«

Ich will es gerade behaupten, um zu sehen, wie er reagiert, da sehe ich etwas wie einen engelhaften Schein um seine Elefantennase wehen. Ohne zu sprechen deutet er mit dem Daumen zum Eingang. »Da – dort drüben – da ist sie ja! Dieser Gang! Man kennt ihn sofort wieder!«

Er hat recht. Lisa ist hereingekommen. Sie ist in Gesellschaft von zwei älteren Knackern und benimmt sich wie eine Dame feinster Gesellschaft, wenigstens nach Riesenfelds Begriffen. Sie scheint kaum zu atmen und hört ihren Kavalieren zerstreut und hochmütig zu. »Habe ich recht?« fragt Riesenfeld. »Kennt man Frauen nicht gleich am Gang?«

»Frauen und Polizisten«, sagt Georg und grinst; aber er blickt ebenfalls wohlgefällig auf Lisa.

Die zweite Nummer des Programms beginnt. Eine Akrobatin steht auf der Tanzfläche. Sie ist jung, hat ein keckes Gesicht, eine kurze Nase und schöne Beine. Sie tanzt einen akrobatischen Tanz, mit Saltos, Handständen und hohen Sprüngen. Wir beobachten Lisa weiter. Sie scheint am liebsten das Lokal wieder verlassen zu wollen. Das ist natürlich Schwindel; es gibt nur diesen einen Nachtklub in der Stadt; das andere sind Cafés, Restaurants oder Kneipen. Deshalb trifft man hier auch jeden, der genug Zaster hat, herzukommen.

»Champagner!« schmettert Riesenfeld mit Diktatorstimme.

Ich schrecke auf, und auch Georg ist besorgt. »Herr Riesenfeld«, sage ich. »Der Champagner ist hier sehr schlecht.«

In diesem Augenblick schaut mich ein Gesicht vom Boden an. Ich blicke erstaunt zurück und sehe, daß es die Tänzerin ist, die sich so weit nach hinten heruntergebeugt hat, daß ihr Kopf zwischen den Beinen wieder hervorkommt. Sie sieht eine Sekunde aus wie ein äußerst verwachsener Zwerg. »Den Champagner bestelle ich!« erklärt Riesenfeld und winkt dem Kellner.

»Bravo!« sagt das Gesicht von unten.

Georg zwinkert mir zu. Er spielt die Rolle des Kavaliers, während ich da bin für die unbequemen Sachen; das ist so ausgemacht zwischen uns. »Wenn Sie Champagner wollen, Riesenfeld, bekommen Sie Champagner«, sagt er deshalb jetzt. »Aber Sie sind natürlich unser Gast.«

»Ausgeschlossen! Ich übernehme das! Kein Wort mehr darüber!« Riesenfeld ist ganz Don Juan hoher Klasse. Er sieht befriedigt auf die goldene Kapsel im Eiskühler. Verschiedene Damen zeigen sofort starkes Interesse. Ich bin ebenfalls einverstanden. Der Champagner wird Erna lehren, daß sie mich zu früh über Bord geschmissen hat. Mit Genugtuung trinke ich Riesenfeld zu, der feierlich erwidert.

Willy taucht auf. Es war zu erwarten; er ist hier Stammgast. Aufstein bricht mit seiner Gesellschaft auf, und Willy wird unser Nachbar. Er erhebt sich gleich darauf und heißt Renée de la Tour willkommen. Sie hat ein hübsches Mädchen bei sich, das ein schwarzes Abendkleid trägt. Nach einer Weile erkenne ich die Akrobatin. Willy macht uns bekannt. Sie heißt Gerda Schneider und wirft einen abschätzenden Blick auf den Champagner und auf uns drei. Wir passen auf, ob Riesenfeld Interesse faßt; dann wären wir ihn für den Abend los. Aber Riesenfeld ist verkauft an Lisa. »Meinen Sie, daß man sie zum Tanzen auffordern kann?« fragt er Georg.

»Ich würde es Ihnen nicht raten«, erwidert Georg diplomatisch. »Aber wir werden sie vielleicht später noch irgendwie kennenlernen.«

Er sieht mich vorwurfsvoll an. Hätte ich im Büro nicht gesagt, daß wir nicht wüßten, wer Lisa sei, wäre die Sache in Ordnung. Aber wer konnte ahnen, daß Riesenfeld auf die romantische Tour gehen würde? Jetzt ist es zu spät, ihn aufzuklären. Romantiker haben keinen Humor.

»Tanzen Sie nicht?« fragt die Akrobatin mich.

»Schlecht. Ich habe keinen Sinn für Rhythmus.«

»Ich auch nicht. Lassen Sie es uns zusammen probieren.« Wir klemmen uns in die Masse auf der Tanzfläche und werden langsam vorwärts geschoben. »Drei Männer ohne Frauen im Nachtklub«, sagt Gerda. »Warum?«

»Warum nicht? Mein Freund Georg behauptet, wer Frauen in einen Nachtklub mitbringe, lade sie ein, ihm Hörner aufzusetzen.«

»Wer ist Ihr Freund Georg? Der mit der dicken Nase?«

»Der mit dem kahlen Kopf. Er ist Anhänger des Harem-Systems. Frauen soll man nicht vorzeigen, sagt er.«

»Natürlich… Und Sie?«

»Ich habe kein System. Ich bin wie Spreu im Winde.«

»Treten Sie mir nicht auf die Füße«, sagt Gerda. »Sie sind keine Spreu. Sie wiegen mindestens siebzig Kilo.«

Ich nehme mich zusammen. Wir sind gerade an Ernas Tisch vorbeigeschoben worden, und diesmal hat sie mich Gott sei Dank erkannt, obschon ihr Kopf an der Schulter des Schiebers mit dem Siegelring liegt und er ihre Taille umklammert. Der Teufel soll da auf Synkopen aufpassen! Ich lächle zu Gerda hinunter und ziehe sie enger an mich. Dabei beobachte ich Erna.

Gerda riecht nach Maiglöckchenparfüm. »Lassen Sie mich nur wieder los«, sagt sie. »Damit erreichen Sie nichts bei der Dame mit dem roten Haar. Und das wollen Sie doch, nicht wahr?«

»Nein«, lüge ich.

»Sie hätten sie gar nicht beachten sollen. Statt dessen haben Sie wie hypnotisiert zu ihr rübergestarrt und dann plötzlich dieses Theater mit mir arrangiert. Gott, sind Sie ein Anfänger!«

Ich versuche immer noch, das falsche Lächeln zu halten; ich möchte um alles nicht, daß Erna merkt, daß ich hier ebenfalls reingefallen bin. »Ich habe das nicht arrangiert«, sage ich lahm. »Ich habe nicht tanzen wollen.«

Gerda schiebt mich von sich weg. »Ein Kavalier sind Sie anscheinend auch noch! Hören wir auf. Meine Füße tun mir weh.«

Ich überlege, ob ich ihr erklären soll, daß ich das anders gemeint habe; aber wer weiß, wohin mich das dann wieder bringt! Lieber halte ich den Schnabel und gehe hocherhobenen Kopfes, aber beschämt hinter ihr her zum Tisch.

Dort hat der Alkohol inzwischen gewirkt. Georg und Riesenfeld duzen sich. Riesenfeld hat den Vornamen Alex. In spätestens einer Stunde wird er auch mich auffordern, ihn zu duzen. Morgen früh ist natürlich alles wieder vergessen.

Ich sitze ziemlich trübe da und warte darauf, daß Riesenfeld müde wird. Die Tanzenden gleiten dahin, von der Musik getragen, in einem trägen Fluß von Lärm, Körpernähe und Herdengefühl. Auch Erna kommt herausfordernd vorbei und ignoriert mich. Gerda stößt mich an.