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»Das Haar ist gefärbt«, sagt sie, und ich habe das ekelhafte Gefühl, daß sie mich trösten will.

Ich nicke und merke, daß ich genug getrunken habe. Riesenfeld ruft endlich nach dem Kellner. Lisa ist gegangen; jetzt will auch er raus.

Es dauert eine Zeitlang, bis wir fertig sind. Riesenfeld bezahlt tatsächlich den Champagner; ich hatte erwartet, er würde uns mit den vier Flaschen, die er bestellt hat, sitzenlassen. Wir verabschieden uns von Willy, Renée de la Tour und Gerda Schneider. Es ist ohnehin Schluß; auch die Musik packt ein. Alles staut sich an den Ausgängen und der Garderobe.

Ich stehe auf einmal neben Erna. Ihr Kavalier rudert mit langen Armen an der Garderobe herum, um ihren Mantel zu holen. Erna mißt mich eisig. »Hier muß ich dich erwischen! Das hättest du wohl nicht erwartet!«

»Du mich erwischen?« sage ich verblüfft. »Ich dich!«

»Und mit was für Subjekten!« fährt sie fort, als hätte ich nicht geantwortet. »Mit Tingeltangelweibern! Rühr mich nicht an! Wer weiß, was du dir schon geholt hast!«

Ich habe keinen Versuch gemacht, sie anzurühren. »Ich bin hier geschäftlich«, sage ich. »Und du? Wie kommst du hierher?«

»Geschäftlich!« Sie lacht schneidend auf. »Geschäftlich! Wer ist denn gestorben?«

»Das Rückgrat des Staates, der kleine Sparer«, erwidere ich und denke, ich sei witzig gewesen. »Er wird täglich hier beerdigt, aber sein Grabdenkmal ist kein Kreuz – es ist ein Mausoleum, genannt die Börse.«

»Und so einem verbummelten Subjekt hat man vertraut!« erklärt Erna, als hätte ich wieder nichts gesagt. »Wir sind fertig miteinander, Herr Bodmer!«

Georg und Riesenfeld kämpfen an der Garderobe um ihre Hüte. Ich merke, daß ich zu Unrecht in der Verteidigung bin. »Hör zu«, fauche ich. »Wer hat mir heute nachmittag noch gesagt, er könne nicht ausgehen, er habe rasende Kopfschmerzen? Und wer schwoft hier herum mit einem dicken Schieber?«

Erna wird weiß um die Nase. »Du pöbelhafter Verseschmierer!« flüstert sie, als spritze sie Vitriol. »Du meinst wohl, weil du Gedichte von toten Leuten abschreiben kannst, wärest du was Besseres, wie? Lerne erst einmal genug Geld zu verdienen, damit du eine Dame standesgemäß ausführen kannst! Du mit deinen Ausflügen ins Grüne! Zu den seidenen Fahnen des Mai! Daß ich nicht schluchze vor Mitleid!«

Die seidenen Fahnen sind ein Zitat aus dem Gedicht, das ich ihr nachmittags geschickt habe. Ich taumele innerlich; äußerlich grinse ich. »Wir wollen einmal bei der Sache bleiben«, sage ich. »Wer geht hier mit zwei ehrbaren Geschäftsmännern nach Hause? Und wer mit einem Kavalier?«

Erna sieht mich groß an. »Soll ich etwa allein nachts auf die Straße gehen wie eine Barhure? Wofür hältst du mich? Glaubst du, ich habe Lust, mich von jedem Flegel anquatschen zu lassen? Was denkst du eigentlich?«

»Du hättest überhaupt nicht zu kommen brauchen!«

»So? Sieh mal an! Auch schon Befehle möchtest du geben, was? Ausgehverbot, aber du treibst dich herum! Sonst noch was? Soll ich dir Strümpfe stricken?« Sie lacht giftig.

»Der Herr trinkt Champagner, für mich aber war Selterswasser und Bier gut genug, oder ein billiger Wein ohne Jahrgang!«

»Ich habe den Champagner nicht bestellt! Das war Riesenfeld!«

»Natürlich! Immer unschuldig, du verkrachter Schulmeister! Was stehst du hier noch herum? Ich habe nichts mehr mit dir zu schaffen! Belästige mich nicht weiter!«

Ich kann vor Wut kaum sprechen. Georg kommt heran und gibt mir meinen Hut. Ernas Schieber erscheint ebenfalls. Beide ziehen ab. »Hast du das gehört?« frage ich Georg.

»Zum Teil. Wozu streitest du mit einer Frau?«

»Ich wollte nicht streiten.«

Georg lacht. Er wird nie ganz betrunken, selbst wenn er Kübel voll herunterschüttet. »Laß dich nie dazu bringen. Du bist immer verloren. Wozu willst du recht haben?«

»Ja«, sage ich. »Wozu? Weil ich ein Sohn deutscher Erde bin, wahrscheinlich. Hast du nie Argumente mit einer Frau?«

»Natürlich. Das hält mich aber nicht davon ab, anderen gute Ratschläge zu geben.«

Die kühle Luft wirkt wie ein weicher Hammer auf Riesenfeld. »Duzen wir uns«, sagt er zu mir. »Wir sind ja Brüder. Nutznießer des Todes.« Er lacht keckernd wie ein Fuchs. »Ich heiße Alex.«

»Rolf«, erwidere ich. Ich denke nicht daran, meinen ehrlichen Vornamen Ludwig für diese Saufbrüderschaften einer Nacht herzugeben. Rolf ist für Alex gut genug.

»Rolf?« sagt Riesenfeld. »Was für ein blöder Name! Hast du den immer?«

»Ich habe das Recht, ihn in Schaltjahren und nach dem Dienst zu tragen. Alex ist auch nichts Besonderes.«

Riesenfeld wankt etwas. »Macht nichts«, sagt er großzügig. »Kinder, ich habe mich lange nicht so wohlgefühlt! Gibt es bei euch noch einen Kaffee?«

»Natürlich«, sagt Georg. »Rolf ist ein erstklassiger Kaffee koch.«

Wir schwanken durch die Schatten der Marienkirche zur Hakenstraße. Vor uns geht storchenhaft ein einsamer Wanderer und biegt in unser Tor ein. Es ist der Feldwebel Knopf, der von seiner Inspektionsreise durch die Kneipen zurückkehrt. Wir erreichen ihn, während er gerade an dem schwarzen Obelisken neben der Tür sein Wasser läßt. »Herr Knopf«, sage ich,»das schickt sich nicht!«

»Sie können rühren«, murmelt Knopf, ohne sich umzudrehen.

»Herr Feldwebel«, wiederhole ich. »Das schickt sich nicht! Es ist eine Schweinerei! Warum tun Sie das nicht in Ihrer Wohnung?«

Er wendet flüchtig den Kopf. »Ich soll in meine gute Stube pissen? Sind Sie verrückt?«

»Nicht in Ihre gute Stube! Sie haben eine tadellose Toilette zu Hause. Benützen Sie die doch! Sie ist nur ungefähr zehn Meter von hier entfernt.«

»Quatsch!«

»Sie beschmutzen das Wahrzeichen unseres Hauses! Außerdem begehen Sie ein Sakrileg. Das hier ist ein Grabstein. Eine heilige Sache.«

»Das wird erst ein Grabstein auf dem Friedhof«, sagt Knopf und stelzt auf seine Haustür zu. »Guten Abend die Herren allerseits.«

Er macht eine halbe Verbeugung und stößt sich dabei den Schädel am Türpfosten. Brummend verschwindet er.

»Wer war das?« fragt Riesenfeld mich, während ich nach Kaffee suche.

»Das Gegenteil von Ihnen. Ein abstrakter Trinker. Trinkt ohne jede Phantasie. Braucht keine Hilfe von außen. Keine Wunschbilder.«

»Auch was!« Riesenfeld nimmt am Fenster Platz. »Ein Alkoholfaß also. Der Mensch lebt von Träumen. Wissen Sie das noch nicht?«

»Nein. Dafür bin ich noch zu jung.«

»Sie sind nicht zu jung. Sie sind nur ein Kriegsprodukt – emotionell unreif und bereits zu erfahren im Morden.«

»Merci«, sage ich. »Wie ist der Kaffee?«

Die Schwaden klären sich anscheinend. Wir sind schon wieder beim Sie angelangt. »Meinen Sie, daß die Dame drüben schon zu Hause ist?« fragt Riesenfeld Georg.

»Vermutlich. Es ist ja alles dunkel.«

»Das kann auch so sein, weil sie noch nicht da ist. Wollen wir nicht ein paar Minuten warten?«

»Natürlich.«

»Vielleicht können wir in der Zwischenzeit unsere Geschäfte erledigen«, sage ich. »Der Vertrag braucht ja nur noch unterschrieben zu werden. Ich hole inzwischen frischen Kaffee aus der Küche.«

Ich gehe hinaus und gebe Georg damit Zeit, Riesenfeld zu bearbeiten. So etwas geht besser ohne Zeugen. Ich setze mich auf die Treppenstufen. Aus der Werkstatt des Tischlers Wilke dringt ruhiges Schnarchen. Es muß immer noch Heinrich Kroll sein, denn Wilke wohnt auswärts. Der nationale Geschäftsmann wird einen netten Schreck kriegen, wenn er im Sarg aufwacht! Ich überlege, ob ich ihn wecken soll, aber ich bin zu müde, und es wird ja auch schon hell – da sollte der Schreck für einen so furchtlosen Krieger eher ein Stahlbad sein, das ihn kräftigt und ihm vorführt, was das Endergebnis eines frischfröhlichen Krieges ist. Ich sehe auf die Uhr und warte auf Georgs Signal und starre in den Garten. Lautlos hebt sich der Morgen aus den blühenden Bäumen wie aus einem bleichen Bett. Im erleuchteten Fenster des ersten Stocks gegenüber steht der Feldwebel Knopf im Nachthemd und nimmt einen letzten Schluck aus der Flasche. Die Katze streicht um meine Beine. Gott sei Dank, denke ich, der Sonntag ist zu Ende.