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V

Eine Frau in Trauerkleidung drückt sich durch das Tor und bleibt unschlüssig im Hofe stehen. Ich gehe hinaus. Eine Hügelsteinkundin, denke ich, und frage:»Möchten Sie unsere Ausstellung sehen?«

Sie nickt, sagt aber gleich darauf:»Nein, nein, das ist noch nicht nötig.«

»Sie können sich ruhig umsehen. Sie brauchen nichts zu kaufen. Wenn Sie wollen, lasse ich Sie auch allein.«

»Nein, nein! Es ist – ich wollte nur -«

Ich warte. Drängen hat in unserem Geschäft keinen Zweck. Nach einiger Zeit sagt die Frau:»Es ist für meinen Mann -«

Ich nicke und warte weiter. Dabei drehe ich mich gegen die Reihe der kleinen belgischen Hügelsteine. »Das hier sind sehr schöne Denkmäler«, sage ich schließlich.

»Ja, sicher, es ist nur -«

Sie stockt wieder und blickt mich fast flehentlich an. »Ich weiß nicht, ob es überhaupt erlaubt ist -« preßt sie schließlich hervor.

»Was? Einen Grabstein zu setzen? Wer kann das verbieten?«

»Das Grab ist nicht auf dem Kirchhof -«

Ich sehe sie überrascht an. »Der Pastor will nicht, daß mein Mann auf dem Kirchhof beerdigt wird«, sagt sie rasch und leise, mit abgewandtem Gesicht.

»Warum denn nicht?« frage ich erstaunt.

»Er hat – weil er Hand an sich gelegt hat«, stößt sie hervor. »Er hat sich das Leben genommen. Er hat es nicht mehr ausgehalten.«

Sie steht und starrt mich an. Sie ist noch erschrocken von dem, was sie gesagt hat. »Sie meinen, daß er deshalb nicht auf dem Kirchhof beerdigt werden darf?« frage ich.

»Ja. Nicht auf dem katholischen. Nicht in geweihter Erde.«

»Aber das ist doch Unsinn!« sage ich ärgerlich. »Er sollte in doppelt geweihter Erde begraben werden. Niemand nimmt sich ohne Not das Leben. Sind Sie ganz sicher, daß das stimmt?«

»Ja. Der Pastor hat es gesagt.«

»Pastoren reden viel, das ist ihr Geschäft. Wo sollte er denn sonst beerdigt werden?«

»Außerhalb des Friedhofs. Auf der anderen Seite der Mauer. Nicht auf der geweihten Seite. Oder im städtischen Friedhof. Aber das geht doch nicht! Da liegt doch alles durcheinander.«

»Der städtische Friedhof ist viel schöner als der katholische«, sage ich. »Und auf dem städtischen liegen auch Katholiken.«

Sie schüttelt den Kopf. »Das geht nicht. Er war fromm. Er muß -« Ihre Augen sind plötzlich voll Tränen. »Er hat es sicher nicht überlegt, daß er nicht in geweihter Erde liegen darf.«

»Er hat wahrscheinlich überhaupt nicht daran gedacht. Aber grämen Sie sich nicht wegen Ihres Pastors. Ich kenne Tausende von sehr frommen Katholiken, die nicht in geweihter Erde liegen.«

Sie wendet sich mir rasch zu. »Wo?«

»Auf den Schlachtfeldern in Rußland und Frankreich. Sie liegen da beieinander in Massengräbern, Katholiken, Juden und Protestanten, und ich glaube nicht, daß das Gott etwas ausmacht.«

»Das ist etwas anderes. Sie sind gefallen. Aber mein Mann -«

Sie weint jetzt offen. Tränen sind in unserm Geschäft etwas Selbstverständliches; aber diese sind anders als gewöhnlich. Dazu ist die Frau wie ein Bündelchen Stroh; man glaubt, der Wind könne sie wegwehen. »Wahrscheinlich hat er es im letzten Augenblick noch bereut«, sage ich, um etwas zu sagen. »Damit ist dann alles vergeben.«

Sie sieht mich an. Sie ist so hungrig für ein bißchen Trost!

»Meinen Sie das wirklich?«

»Bestimmt. Der Priester weiß das natürlich nicht. Das weiß nur Ihr Mann. Und der kann es nicht mehr sagen.«

»Der Pastor behauptet, die Todsünde -«

»Liebe Frau«, unterbreche ich sie. »Gott ist viel barmherziger als die Priester, das können Sie mir glauben.«

Ich weiß jetzt, was sie quält. Es ist nicht sosehr das ungeweihte Grab; es ist der Gedanke, daß ihr Mann als Selbstmörder für alle Ewigkeit in der Hölle brennen muß und daß er vielleicht gerettet werden und mit ein paar hunderttausend Jahren Fegefeuer davonkommen könnte, wenn er auf dem katholischen Friedhof beerdigt würde.

»Es war wegen des Geldes«, sagt sie. »Es war auf der Sparkasse für fünf Jahre mündelsicher angelegt, und er konnte es deshalb nicht abheben. Es war die Mitgift für meine Tochter aus erster Ehe. Er war der Vormund. Als er es dann vor zwei Wochen abholen konnte, war es nichts mehr wert, und der Bräutigam machte die Verlobung rückgängig. Er hatte erwartet, wir hätten Geld für eine gute Aussteuer. Vor zwei Jahren hätte es noch gereicht, aber jetzt ist es nichts mehr wert. Meine Tochter hat nur noch geweint. Das hat er nicht ausgehalten. Er glaubte, es wäre seine Schuld; er hätte besser aufpassen müssen. Aber es war doch mündelsicher festgelegt, wir konnten es nicht abheben. Die Zinsen waren so höher.«

»Wie hätte er denn besser aufpassen sollen? So etwas passiert heute unzähligen Menschen. Er war doch kein Bankier.«

»Nein, Buchhalter. Die Nachbarn -«

»Kümmern Sie sich doch nicht um das, was die Nachbarn sagen. Das ist immer bösartiger Klatsch. Und überlassen Sie alles andere nur Gott.«

Ich fühle, daß ich nicht sehr überzeugend bin; aber was soll man einer Frau in solchen Umständen schon sagen? Das, was ich wirklich denke, bestimmt nicht.

Sie trocknet ihre Augen. »Ich sollte Ihnen das gar nicht erzählen. Was geht es Sie an? Verzeihen Sie! Aber manchmal weiß man nicht, wohin -«

»Das macht nichts«, sage ich. »Wir sind das gewöhnt. Es kommen ja nur Leute hierher, die Angehörige verloren haben.«

»Ja – aber nicht so -«

»Doch«, erkläre ich. »Das passiert in dieser traurigen Zeit viel häufiger, als Sie denken. Sieben allein im letzten Monat. Es sind immer Menschen, die nicht mehr ein noch aus wissen. Anständige Menschen also. Die unanständigen kommen durch.«

Sie sieht mich an. »Glauben Sie, daß man einen Grabstein setzen darf, wenn er nicht in geweihter Erde liegt?«

»Wenn Sie die Erlaubnis für ein Grab haben, dürfen Sie es. Ganz bestimmt auf dem städtischen Friedhof. Wenn Sie wollen, können Sie schon einen Stein aussuchen, Sie brauchen ihn nur zu nehmen, wenn alles in Ordnung ist.«

Sie sieht sich um. Dann zeigt sie auf den drittkleinsten Hügelstein. »Was kostet so einer?«

Es ist immer dasselbe. Nie fragen die Armen sofort, was der kleinste kostet; es ist, als täten sie es nicht aus einer sonderbaren Höflichkeit vor dem Tode und dem Toten. Sie wollen nicht nach dem billigsten zuerst fragen; ob sie ihn dann später doch nehmen, ist eine andere Sache.

Ich kann ihr nicht helfen, aber das Stück Stein kostet hunderttausend Mark. Sie öffnet erschrocken die müden Augen. »Das können wir nicht bezahlen. Das ist ja viel mehr, als -«

Ich kann mir denken, daß es mehr ist als das, was von der Erbschaft übriggeblieben ist. »Nehmen Sie doch den kleinen hier«, sage ich. »Oder einfach eine Grabplatte, keinen Stein. Sehen Sie, hier ist eine – sie kostet dreißigtausend Mark und ist sehr schön. Sie wollen doch nur, daß man weiß, wo Ihr Mann liegt, und da ist eine Platte ebensogut wie ein Stein.«

Sie betrachtet die Sandsteinplatte. »Ja – aber -«

Sie hat wahrscheinlich kaum Geld für die nächste Miete, aber sie möchte trotzdem nicht das Billigste kaufen – als ob das dem armen Teufel jetzt nicht ganz egal wäre. Hätte sie statt dessen früher mehr Verständnis für ihn gehabt und weniger mit der Tochter gejammert, dann lebte er vielleicht noch. »Wir können die Inschrift vergolden«, sage ich. »Das sieht würdig und vornehm aus.«

»Kostet die Inschrift extra?«

»Nein. Sie ist im Preis inbegriffen.«