»Schlaf, Fraß und Beischlaf.«
Ich winke ab und wandere zurück. Unwillkürlich falle ich in Schritt mit dem Hämmern Wilkes; dann merke ich es und wechsle den Rhythmus.
Unter dem Torbogen steht Lisa. Sie hat die Rosen in der Hand. »Hier! Behalte das! Ich kann so was nicht brauchen.«
»Warum nicht? Hast du keinen Sinn für die Schönheit der Natur?«
»Gott sei Dank nicht. Ich bin keine Kuh. Riesenfeld!« Sie lacht mit ihrer Nachtklubstimme. »Sag dem Knaben, daß ich nicht jemand bin, dem man Blumen schenkt.«
»Was denn?«
»Schmuck«, erwidert Lisa. »Was sonst?«
»Keine Kleider?«
»Kleider erst, wenn man intimer ist.« Sie blitzt mich an. »Du siehst jämmerlich aus. Soll ich dich mal munter machen?«
»Danke«, erwidere ich. »Ich bin munter genug. Geh du nur allein zur Cocktailstunde in die Rote Mühle.«
»Ich meine nicht die Rote Mühle. Spielst du immer noch Orgel für die Idioten?«
»Ja«, sage ich überrascht. »Woher weißt du das?«
»Es spricht sich herum. Ich möchte mal mitgehen in die Klapsbude, weißt du.«
»Du kommst noch früh genug hin, ohne mich.«
»Na, wir werden mal sehen, wer von uns der erste ist«, erklärt Lisa lässig und legt die Blumen auf einen Hügelstein. »Hier, nimm das Gemüse! Ich kann es nicht im Hause haben. Mein Alter ist zu eifersüchtig.«
»Was?«
»Klar doch! Wie ein Rasiermesser! Und warum auch nicht?«
Ich weiß nicht, was an einem Rasiermesser eifersüchtig sein kann; aber das Bild überzeugt. »Wenn dein Mann eifersüchtig ist, wie kannst du dann abends dauernd verschwinden?« frage ich.
»Er schlachtet doch nachts. Das richte ich mir schon ein.«
»Und wenn er nicht schlachtet?«
»Dann habe ich eine Anstellung als Garderobiere in der Roten Mühle.«
»Tatsächlich?«
»Mann, bist du doof«, erwidert Lisa. »Wie mein Alter!«
»Und die Kleider und der Schmuck?«
»Alles billig und unecht.« Lisa grinst. »Glaubt jeder Ehemann glatt. Also hier, nimm das Grünzeug. Schick es an irgendein Milchkalb. Du siehst so aus, als ob du Blumen schicktest.«
»Da kennst du mich aber schlecht.«
Lisa wirft mir einen abgründigen Blick über ihre Schulter zu. Dann geht sie auf ihren schönen Beinen, die in schlampigen roten Pantoffeln stecken, über die Straße zurück. Einer der Pantoffeln ist mit einem Pompon geschmückt; beim andern ist er abgerissen.
Die Rosen leuchten durch die Dämmerung. Es ist ein erheblicher Strauß. Riesenfeld hat sich nicht lumpen lassen. Fünfzigtausend Mark, schätze ich, sehe mich vorsichtig um, nehme sie dann wie ein Dieb an mich und gehe auf mein Zimmer.
Oben steht der Abend in blauem Mantel am Fenster. Die Bude ist voll von Reflexen und Schatten, und plötzlich schlägt die Einsamkeit wie mit Keulen aus dem Hinterhalt auf mich ein. Ich weiß, daß es Unsinn ist, ich bin nicht einsamer als ein Ochse in einer Herde Ochsen, aber was soll ich machen? Einsamkeit hat nichts mit Mangel an Gesellschaft zu tun. Mir fällt plötzlich ein, daß ich gestern vielleicht doch zu hastig mit Erna gewesen sein könnte. Es wäre ja möglich gewesen, daß sich alles ganz harmlos aufgeklärt hätte. Sie war zudem eifersüchtig, das sprach aus jedem ihrer Worte. Und Eifersucht ist Liebe, das weiß jeder.
Ich starre aus dem Fenster und weiß, daß Eifersucht nicht Liebe ist. Aber was hat das damit zu tun? Die Dämmerung verdreht einem die Gedanken, und man soll mit Frauen nicht argumentieren, sagt Georg. Genau das aber habe ich getan! Voll Reue spüre ich den Duft der Rosen, der das Zimmer in den Venusberg aus dem Tannhäuser verwandelt. Ich merke, daß ich zerschmelze in All-Vergebung, All-Versöhnung und Hoffnung. Rasch schreibe ich ein paar Zeilen, klebe den Brief zu, ohne ihn noch einmal zu lesen, und gehe ins Büro, um dort das Seidenpapier zu holen, in dem die letzte Sendung von Porzellanengeln angekommen ist. Ich wickle die Rosen hinein und gehe auf die Suche nach Fritz Kroll, dem jüngsten Sproß der Firma. Er ist zwölf Jahre alt. »Fritz«, sage ich. »Willst du dir zwei Tausender verdienen?«
»Weiß schon«, erwidert Fritz. »Geben Sie her. Selbe Adresse?«»Ja.«
Er entschwindet mit den Rosen – der dritte klare Kopf heute abend. Alle wissen, was sie wollen, Kurt, Lisa, Fritz – nur ich habe keine Ahnung. Das mit Erna ist es auch nicht, das weiß ich im Moment, als ich Fritz nicht mehr zurückrufen kann. Aber was ist es? Wo sind die Altäre, wo die Götter und wo die Opfer? Ich beschließe, doch zum Mozart-Konzert zu gehen – auch wenn ich allein bin und die Musik es noch schlimmer macht.
Die Sterne stehen hoch am Himmel, als ich zurückkomme. Meine Schritte hallen durch die Gassen, und ich bin voll Erregung. Rasch öffne ich die Tür zum Büro, schalte das Licht an und bleibe stehen. Da liegen die Rosen, und da liegt auch mein Brief, ungeöffnet, und daneben ein Zettel mit einer Botschaft von Fritz. »Die Dame sagt, Sie sollten sich begraben lassen. Gruß, Fritz.«
Sich begraben lassen. Ein sinniger Scherz! Da stehe ich, blamiert bis auf die Knochen, voll Beschämung und Wut. Ich stecke den Zettel in den kalten Ofen. Dann setzte ich mich in meinen Stuhl und brüte vor mich hin. Meine Wut überwiegt die Beschämung, wie immer, wenn man wirklich beschämt ist, und weiß, daß man es sein sollte. Ich schreibe einen neuen Brief, nehme die Rosen und gehe zur Roten Mühle. »Geben Sie dieses doch bitte Fräulein Gerda Schneider«, sage ich zu dem Portier. »Der Akrobatin.«
Der reichbetreßte Mann sieht mich an, als hätte ich ihm einen unsittlichen Antrag gemacht. Dann deutet er mit dem Dauern hoheitsvoll über die Schulter. »Suchen Sie sich einen Pagen dafür!«
Ich finde einen Pagen und instruiere ihn. »Überreichen Sie den Strauß bei der Vorstellung.«
Er verspricht es. Hoffentlich ist Erna da und sieht es, denke ich. Dann wandere ich eine Zeitlang durch die Stadt, bis ich müde bin, und gehe nach Hause.
Ein melodisches Plätschern empfängt mich. Knopf steht gerade wieder vor dem Obelisken und läßt sich gehen. Ich schweige; ich will nicht mehr diskutieren. Ich nehme einen Eimer, fülle ihn mit Wasser und gieße ihn Knopf vor die Füße. Der Feldwebel glotzt darauf. »Überschwemmung«, murmelt er. »Wußte gar nicht, daß es geregnet hat.« Und wankt ins Haus.
VI
Über dem Walde steht ein dunstiger, roter Mond. Es ist schwül und sehr still. Der Mann aus Glas geht lautlos vorüber. Er kann jetzt hinaus; die Sonne macht aus seinem Kopf kein Brennglas mehr. Zur Vorsicht trägt er trotzdem dicke Gummihandschuhe – es könnte ein Gewitter geben, und das ist für ihn noch gefährlicher als die Sonne. Isabelle sitzt neben mir auf einer Bank im Garten vor dem Pavillon für die Unheilbaren. Sie trägt ein enges schwarzes Leinenkleid und hockhackige goldene Schuhe an den nackten Füßen.
»Rudolf«, sagt sie,»du hast mich wieder verlassen. Das letztemal hast du mir versprochen, hierzubleiben. Wo bist du gewesen?«
Rudolf, denke ich, gottlob! Rolf hätte ich heute abend nicht ertragen. Ich habe einen zerrissenen Tag hinter mir und fühle mich, als hätte jemand aus einer Schrotflinte mit Salzpatronen auf mich geschossen.
»Ich habe dich nicht verlassen«, sage ich. »Ich war fort – aber ich habe dich nicht verlassen.«