»Er wird Bescheid wissen.«
»Dann sagen wir Quinn, er soll vorsichtig mit Äußerungen sein, die als anti-israelisch ausgelegt werden könnten.«
»Carvajal wird wissen, daß ich es veranlaßt habe«, sagte ich.
»Er hat dich wirklich im Würgegriff, nicht wahr?«
»Was soll ich tun, Bob? Carvajal wird fantastisch nützlich für uns sein, egal, was du im Moment denkst. Ich möchte nicht riskieren, es mir mit ihm zu verderben.«
»Dann laß es. Laß die Kuwait-Rede stattfinden wie geplant, wenn du solche Angst hast, Carvajal zu verletzen. Ein paar Witze werden keinen dauerhaften Schaden anrichten, oder?«
»Sie werden uns nicht gerade helfen.«
»So schlimm kann es nicht sein. Wir haben noch zwei Jahre, bis Quinn sich wieder den Wählern stellen muß. In der Zeit kann er fünfmal nach Tel Aviv pilgern, wenn es sein muß.« Lombroso trat zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. Aus solcher Nähe war die Macht seiner starken, vibrierenden Persönlichkeit überwältigend. Mit großer Wärme und Intensivität fragte er: »Fühlst du dich noch wohl und munter, Lew?«
»Was meinst du?«
»Du machst mir Sorgen. Dieser ganze Wahnsinn mit dem Hellsehen. Und soviel Aufregung über eine einzige dumme Rede. Vielleicht brauchst du etwas Ruhe. Ich weiß, daß du zur Zeit unter einer starken Belastung stehst, und…«
»Belastung?«
»Sundara«, sagte er. »Wir müssen nicht so tun, als wüßte ich nicht, was los ist.«
»Ich bin nicht glücklich über Sundara, nein. Aber wenn du glaubst, die pseudo-religiösen Tätigkeiten meiner Frau hätten eine Auswirkung auf mein Urteil, mein geistiges Gleichgewicht, auf meine Funktionsfähigkeit als Mitglied von Quinns Stab…«
»Ich meine nur, daß du vielleicht sehr müde bist. Müde Männer finden viele Sorgen, von denen nicht alle real sind, und das Sorgen macht sie nur noch müder. Durchbrich das Muster, Lew. Setz dich für ein paar Wochen nach Kanada ab, zum Beispiel. Ein bißchen jagen und fischen, und du wirst ein neuer Mensch sein. Ein Freund von mir hat ein Landgut in der Nähe von Banff, einen schönen Tausend-Hektar-Auslauf in den Bergen, und…«
»Danke, aber ich bin in besserer Form, als du zu glauben scheinst«, sagte ich. »Es tut mir leid, daß ich deine Zeit verschwendet habe.«
»Nicht im geringsten verschwendet. Es ist wichtig, daß wir uns über unsere Schwierigkeiten aussprechen, Lew. Carvajal sieht die Zukunft, wenn du mich fragst. Aber für einen rationalen Mann wie mich ist eine solche Vorstellung schwer zu schlucken.«
»Nimm an, es sei wahr. Was rätst du?«
»Unter der Annahme, es sei wahr, tätest du, glaube ich, gut daran, dir Carvajal nicht abspenstig zu machen. Unter dieser Annahme. Wenn es wahr ist, dann ist es in unserem besten Interesse, weitere Informationen aus ihm herauszumelken, und daher solltest du wegen einer so geringfügigen Sache wie dieser Rede keinen Bruch riskieren.«
Ich nickte. »Das ist auch meine Meinung. Du wirst also Quinn gegenüber keine Andeutungen machen, was er bei der Bankeinweihung sagen oder nicht sagen soll?«
»Natürlich nicht.«
Er begleitete mich zur Tür. Ich war zittrig und schwitzte, und wahrscheinlich war in meinen Augen ein wilder Blick.
Den Mund konnte ich auch nicht halten. »Und du wirst nicht rumgehen und den Leuten erzählen, daß ich durchdrehe, Bob? Denn das stimmt nicht. Vielleicht bin ich am Rande eines ungeheuren Durchbruchs im Bewußtsein, aber ich werde nicht verrückt. Wirklich, ich werde nicht verrückt«, sagte ich so heftig, daß es selbst mir nicht überzeugend klang.
»Ich meine ernsthaft, daß du einen kurzen Urlaub gebrauchen könntest. Aber ich werde nicht verlauten lassen, daß du bald reif für die Klapsmühle bist.«
»Danke, Bob.«
»Danke, daß du zu mir gekommen bist.«
»Es gab niemand anders.«
»Es wird schon hinkommen«, sagte er beruhigend. »Mach dir keine Sorgen um Quinn. Ich werde drauf achten, ob er sich wirklich Mrs. Goldstein und Mr. Rosenblum vergrault. Du könntest diesbezüglich ein paar Umfragen starten.« Er drückte meine Hand. »Ruh dich aus, Lew. Ruh dich etwas aus.«
21
Und so verhalf ich denn der Prophezeiung zu ihrer Erfüllung, obwohl es in meiner Macht gestanden hatte, sie zu hintertreiben. Oder doch nicht? Ich hatte mich geweigert, Carvajals unnachgiebigen, ins Eis gestochenen Determinismus auf die Probe zu stellen. Ich hatte gekniffen. Quinn würde bei der Einweihung reden. Quinn würde seine blöden Witze über Israel machen. Mrs. Goldstein würde murren; Mr. Rosenblum würde fluchen. Der Bürgermeister würde sich unnötig Feinde machen, die Times eine saftige Geschichte haben, und wir würden uns befleißigen, den politischen Schaden zu reparieren; Carvajal hätte wieder einmal recht gehabt. Es wäre so leicht gewesen einzugreifen, sagen sie. Warum nicht das System testen? Herausfinden, ob er bluffte. Seiner Behauptung, die Zukunft, einmal erspäht, gliche einer in Stein gemeißelten Inschrift, auf den Zahn fühlen. Nun, ich hatte es nicht getan. Ich hatte meine Chance gehabt und Angst, sie zu ergreifen, als ob ich heimlich wüßte, daß die Sterne auf ihren Bahnen in Verwirrung stürzen würden, wenn ich mich in den Lauf der Dinge einmischte. So hatte ich mich also der angeblichen Unvermeidlichkeit des Ganzen fast kampflos ergeben. Aber hatte ich wirklich so leicht nachgegeben? Hatte ich je wirkliche Handlungsfreiheit gehabt? War nicht auch mein Nachgeben vielleicht ein Teil des unabänderlichen, ewigen Drehbuchs?
22
Jeder hat die Gabe, hatte Carvajal zu mir gesagt. Nur sehr wenige wissen damit umzugehen. Und er hatte von einer Zeit geredet, in der ich selbst würde sehen können. Wenn Sie selbst… Nicht ›falls‹, sondern ›wenn‹.
Beabsichtigte er, die Gabe in mir zu erwecken?
Der Gedanke erschreckte und erregte mich. In die Zukunft zu sehen, von Zufall und Unerwartetem nicht mehr herumgestoßen zu werden, von den dunstigen Ungenauigkeiten der stochastischen Methode zu absoluter Gewißheit voranzuschreiten — oh ja, ja, ja, wie wunderbar, aber wie furchterregend auch! Jene dunkle Türe aufzustoßen, auf die Straße der Zeit hinauszublicken, auf die wartenden Wunder und Geheimnisse —
Furchterregend, weil ich wußte, daß ich etwas sehen könnte, das ich nicht sehen wollte und das mich auszehren und zerschlagen könnte, so wie Carvajal augenscheinlich vom Wissen um seinen Tod ausgezehrt und zerschlagen worden war. Wunderbar, denn Sehen hieße, dem Chaos des Unbekannten zu entrinnen, es bedeutete die Errungenschaft jenes völlig strukturierten, völlig geregelten Lebens, nach dem ich mich sehnte, seitdem ich meinen jugendlichen Nihilismus gegen die Philosophie der Kausalität eingetauscht hatte.
Wenn aber Carvajal wirklich einen Weg wußte, die Gabe in mir zum Leben zu erwecken, dann würde ich sie — so gelobte ich — anders handhaben; würde nicht zulassen, daß sie einen verwelkten Einsiedler aus mir machte, würde mich nicht passiv den Beschlüssen irgendeines unsichtbaren Drehbuchschreibers unterwerfen und nicht wie Carvajal ein Marionettendasein akzeptieren. Nein, ich würde die Gabe auf aktive Weise nutzen, ich würde mit ihrer Hilfe den Gang der Geschichte formen und steuern, ich würde mit meinem besonderen Wissen die Muster des menschlichen Dramas ändern und neu ausrichten, soweit ich dazu in der Lage wäre.