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Der Alte Ben hatte gelacht. Alles war ihm ein Spaß. Er konnte sich nicht einmal dazu aufraffen, an seinen eigenen Skeptizismus zu glauben.

Nun, da er am Fuße des Baumes saß, mit geschlossenen Augen, stellte Geschichtentauscher wieder eine Verbindung her: eine Verbindung zwischen der Geschichte von Noah mit dem Alten Ben. Der Alte Ben war Cham, der die nackte Wahrheit schaute und sie auslachte, während all die treuen Söhne von Kirche und Universität rückwärts heranschritten, um sie wieder zu bedecken, damit die lächerliche Wahrheit nicht geschaut werden konnte. So hielt die Welt die Wahrheit weiterhin für kraftvoll strotzend und stolz, weil sie sie nie in einem solch schändlichen Augenblick geschaut hatte.

Das ist eine wahre Verbindung, dachte Geschichtentauscher. Das ist die Bedeutung der Geschichte. Das ist die Erfüllung der Prophezeiung. Die Wahrheit ist lächerlich, wenn wir sie sehen; und wenn wir sie verehren wollen, dürfen wir es uns niemals gestatten, sie zu schauen.

In diesem Augenblick der Entdeckung sprang Geschichtentauscher auf. Er mußte sofort jemanden finden, dem er diese große Erkenntnis mitteilen konnte, solange er selbst noch daran glaubte. Wie sein eigenes Sprichwort sagte: »Die Zisterne umschließt; der Springbrunnen fließt über.«

Wenn er seine Geschichte nicht erzählte, würde sie feucht und muffig werden, verkümmerte sie in seinem Inneren, wogegen sie frisch und tugendhaft bleiben würde, wenn er sie weitergab.

Welche Richtung sollte er nehmen? Der Waldweg, der keine drei Ruten entfernt war, führte zu einer großen weißen Kirche mit einem eichenhohen Turm — er hatte sie, auf einem Baum sitzend, keine Meile entfernt gesehen. Es war das größte Gebäude, das Geschichtentauscher seit seinem letzten Besuch in Philadelphia zu sehen bekommen hatte. Ein derart großes Gebäude, in dem sich Menschen zusammenfinden konnten, bedeutete, daß die Leute in dieser Gegend viel Platz für Neuankömmlinge zu haben schienen. Ein gutes Zeichen für einen wandernden Geschichtentauscher, der vom Vertrauen der Fremden lebte, die ihn aufnehmen und nähren konnten, obwohl er doch nichts mit sich führte, um dafür zu bezahlen, bis auf sein Buch, sein Gedächtnis, zwei kräftige Arme und stämmige Beine, die ihn zehntausend Meilen getragen hatten und noch mindestens fünftausend weitere schaffen würden.

Der Weg war zerfurcht von Wagenspuren, was bedeutete, daß er viel benutzt wurde. An den niedrigen Stellen war er mit Bohlen verstärkt, so daß die Wagen im regendurchtränkten Boden nicht einsackten. Der Ort war also anscheinend auf dem Weg, eine Stadt zu werden. Möglicherweise bedeutete die große Kirche gar keine Offenheit — vielleicht kündete sie eher von Ehrgeiz. Darin liegt die Gefahr, wenn man irgend etwas beurteilt, dachte Geschichtentauscher; es gibt hundert mögliche Ursachen für jede Wirkung und hundert mögliche Wirkungen für jede Ursache. Er dachte daran, diesen Gedanken niederzuschreiben, entschied sich jedoch dagegen. Denn er trug keinerlei Spuren außer denen seiner eigenen Seele — weder die Markierungen des Himmels noch die der Hölle. Daran erkannte er, daß er ihm nicht gegeben worden war. Er hatte den Gedanken selbst erzwungen. Also konnte er keine Prophezeiung und folglich auch nicht wahr sein.

Der Weg endete auf einer Gemeinschaftsweide unweit vom Fluß, wie Geschichtentauscher am Geruch des strömenden Wassers erkannte. Um die Weide herum waren mehrere Gebäude verteilt, das größte aber war ein gekalktes, zweistöckiges Brettergebäude mit einem kleinen Schild, auf dem stand: ›Weaver's‹.

Wenn ein Haus ein Schild trägt, überlegte Geschichtentauscher, dann bedeutet das in der Regel, daß der Besitzer möchte, daß die Leute es erkennen, auch wenn man ihnen nie den Weg gesagt hat, was wiederum nichts anderes heißt, als daß das Haus für Fremde offensteht. Also schritt Geschichtentauscher darauf zu und klopfte an.

»Einen Moment!» ertönte ein Ruf im Inneren. Geschichtenerzähler wartete auf der Veranda. An einem Ende hingen mehrere Körbe, von denen die langen Blätter verschiedener Kräuter herabbaumelten. Geschichtentauscher erkannte viele von ihnen, die für unterschiedliche Zwecke nützlich waren, etwa für das Heilen, das Finden, das Versiegeln und das Erinnern. Er erkannte auch, daß die Körbe so angeordnet waren, daß sie, von einem bestimmten Punkt nahe dem Boden der Tür aus betrachtet, ein vollkommenes Hexagramm bildeten. Dieser Effekt war sogar derart deutlich, daß Geschichtentauscher sich zuerst niederkauerte und schließlich sogar auf den Boden der Veranda legte, um es richtig zu erkennen. Die Farben, die an den genau richtigen Stellen an den Körben angebracht waren, bewiesen, daß es kein Zufall war. Es war ein ausgezeichnetes Schutzhexagramm, auf die Eingangstür ausgerichtet.

Geschichtentauscher versuchte sich zu überlegen, warum jemand einen solch mächtigen Zauber errichten und doch danach streben sollte, ihn zu verbergen. Ja, Geschichtentauscher war wahrscheinlich die einzige Person weit und breit, die die Macht eines Hexagramms hinreichend spürte, um darauf aufmerksam zu werden. Er lag noch immer auf dem Boden und grübelte darüber nach, als die Tür aufging und ein Mann fragte: »Seid Ihr so müde, Fremder?«

Geschichtentauscher sprang auf. »Habe nur Eure Kräuteranordnung bewundert. Ein erstaunlicher Garten, Sir.«

»Es ist der Garten meiner Frau«, erwiderte der Mann.

»Sie beschäftigt sich ständig damit. Muß alles genau so haben.«

War der Mann ein Lügner? Nein, entschied Geschichtentauscher. Er wollte nicht die Tatsache verbergen, daß die Körbe und die heraushängenden, miteinander verschlungenen Blätter ein Hexagramm ergaben. Er wußte es einfach nicht. Irgend jemand — wahrscheinlich seine Frau — hatte unbemerkt einen Schutz für dieses Haus errichtet.

»Sieht mir genau richtig aus«, meinte Geschichtentauscher.

»Ich habe mich schon gewundert, wie jemand hier eintreffen kann, ohne daß ich den Wagen oder das Pferd höre. Aber so, wie Ihr ausseht, seid Ihr wohl zu Fuß gekommen.«

»Das bin ich in der Tat, Sir«, erwiderte Geschichtentauscher.

»Und euer Bündel erscheint mir auch nicht voll genug, um viele Tauschobjekte enthalten zu können.«

»Ich tausche auch keine Dinge, Sir«, sagte Geschichtentauscher.

»Was denn? Was läßt sich außer Dingen schon handeln und tauschen?«

»Arbeit, zum Beispiel«, erwiderte Geschichtentauscher. »Ich arbeite für Kost und Unterkunft.«

»Für einen Wanderer seid Ihr schon ein alter Mann.«

»Ich bin Siebenundfünfzig geboren, so daß mir noch gut siebzehn Jahre bleiben, bis ich meine dreimal zwanzig und zehn Jahre aufgebraucht habe. Und außerdem verfüge ich über einige Talente.«

Sofort schien der Mann zurückzuweichen. Nicht etwa körperlich — es waren seine Augen, die plötzlich einen distanzierten Ausdruck bekamen, als er sagte: »Meine Frau und ich erledigen unsere eigene Arbeit hier, da unsere Söhne noch recht klein sind. Wir bedürfen keiner Hilfe.«

Nun stand eine Frau hinter ihm, ein Mädchen, das noch jung genug war, um kein verhärmtes und verwittertes Gesicht zu haben, obgleich sie ernst aussah. Sie trug einen Säugling in den Armen und wandte sich an ihren Mann an.

»Wir haben genug, um heute abend noch einen weiteren Esser zu beköstigen, Brustwehr…«

Die Miene ihres Mannes verhärtete sich. »Meine Frau ist großzügiger als ich, Fremder. Ich werde es Euch geradeheraus sagen. Ihr habt davon gesprochen, ein paar Talente zu besitzen, und nach meiner Erfahrung bedeutet das, daß Ihr möglicherweise behaupten könntet, über geheime Kräfte zu verfügen. Derlei Dinge werde ich in einem christlichen Haus nicht dulden.«

Geschichtentauscher musterte ihn scharf und blickte dann verständnislos zu der Frau. So standen die Dinge also: Sie arbeitete mit Zaubern und Beschwörungen, die sie vor ihrem Mann verbergen konnte, während er jedes Anzeichen davon ablehnte. Wenn ihr Mann jemals die Wahrheit erfahren würde, fragte sich Geschichtentauscher, was würde dann wohl mit der Frau geschehen? Der Mann — Brustwehr — schien zwar nicht von der mordlustigen Art zu sein, doch konnte man nie wissen, welch Gewalttätigkeit durch die Adern eines Mannes strömen mochte, nachdem die Fluten des Zorns erst einmal die Dämme durchbrochen hatten.