Doch der Prediger hatte gar nicht an sich gedacht. »Jetzt habt Ihr genug geredet«, meinte er. »Ich weiß jetzt, daß Ihr ein Betrüger seid. Verlaßt meine Kirche.«
»Ich bin kein Betrüger«, antwortete Geschichtentauscher. »Ich mag mich vielleicht irren, aber ich lüge niemals.«
»Und ich glaube niemals einem Menschen, der behauptet, daß er niemals lüge.«
»Der Mensch geht immer davon aus, daß die anderen ebenso tugendhaft sind wie er selbst«, meinte Geschichtentauscher.
Das Gesicht des Predigers verfärbte sich vor Zorn. »Verschwindet von hier, sonst werfe ich Euch hinaus!«
»Ich gehe gern«, antwortete Geschichtentauscher. Forsch schritt er zur Tür hinüber. »Ich hoffe, ich werde nie in eine Kirche zurückkehren müssen, deren Prediger es nicht einmal überrascht, daß Satan seinen Altar berührt hat.«
»Es hat mich nicht überrascht, weil ich Euch nicht geglaubt habe.«
»Ihr habt mir sehr wohl geglaubt«, widersprach Geschichtentauscher. »Und Ihr glaubt auch, daß ein Engel ihn berührt hat. Das ist die Geschichte, die Ihr für wahr haltet. Aber ich sage Euch, daß kein Engel ihn berühren kann, ohne eine Spur zu hinterlassen, die ich sehen würde. Und ich sehe dort nur eine einzige Spur.«
»Lügner! Ihr selbst seid vom Teufel ausgesandt, hier im Hause Gottes Eure Nekromantie zu versuchen! Fort! Hinaus! Ich beschwöre Euch, auf daß Ihr geht!«
»Ich dachte, Männer der Kirche wie Ihr würden keine Beschwörungen ausführen.«
»Hinaus!«
Der Prediger schrie das letzte Wort so laut, daß die Adern an seiner Stirn hervortraten. Geschichtentauscher setzte seinen Hut wieder auf und schlenderte davon. Er hörte, wie hinter ihm die Tür zugeschlagen wurde. Er wanderte über eine hügelige Weide von ausgetrocknetem Herbstgras, bis er auf den Pfad stieß, der zu dem Haus hinaufführte, von dem die Frau gesprochen hatte. Dort, wo man ihn, wie sie sicher war, aufnehmen würde.
Geschichtentauscher war sich dessen jedoch nicht so sicher. Er machte niemals mehr als drei Besuche an einem Ort — wenn er beim dritten Versuch kein Haus gefunden hatte, das ihn aufzunehmen bereit war, war es besser weiterzuwandern. Dieses Mal war der erste Halt ungewöhnlich schlecht verlaufen und der zweite noch schlimmer.
Doch rührte seine Unruhe nicht nur daher, daß die Dinge schlecht liefen. Selbst wenn die Leute am letzten Ort auf den Boden fallen und seine Füße küssen würden, würde Geschichtentauscher doch ein merkwürdiges Gefühl haben, was ein Verweilen betraf. Er war in eine Stadt gefahren, die so christlich war, daß ihr führender Bürger keine verborgenen Mächte in seinem Hause duldete — und doch trug der Altar der Kirche die Spur des Teufels. Noch schlimmer war die Art der Täuschung. Die verborgenen Mächte wurden unmittelbar vor Brustwehrs Augen eingesetzt, und zwar von der Person, die er am meisten liebte und der er am meisten vertraute; während der Prediger in der Kirche davon überzeugt war, daß Gott den Altar für sich beansprucht hatte und nicht etwa der Teufel. Was konnte Geschichtentauscher da noch an diesem Ort oben auf dem Hügel anderes erwarten als noch mehr Wahnsinn, noch mehr Täuschung? Verrückte Menschen umgarnten einander, soviel wußte Geschichtentauscher aus den Erfahrungen seiner Vergangenheit.
Die Frau hatte recht: Über die Bäche führten Brücken. Doch nicht einmal das war ein gutes Zeichen. Einen Strom zu überbrücken war eine Notwendigkeit; einen Fluß zu überbrücken eine Freundlichkeit gegenüber Reisenden. Doch warum bauten sie solch komplizierte Brücken über Bäche, die so schmal waren, daß sogar ein Mann vom Alter Geschichtentauschers über sie hätte hinwegspringen können, ohne einen Fuß zu benetzen? Die Brücken waren stabil und auf beiden Ufern fest in der Erde verankert, und beide besaßen sie auch gut gedeckte Strohdächer. Es gibt Leute, die zahlen Geld dafür, um in Gasthöfen zu nächtigen, die nicht annährend so dicht und trocken sind wie diese Brücken, dachte Geschichtentauscher.
Mit Sicherheit bedeutete dies, daß die Leute am Ende des Pfads mindestens ebenso seltsam waren wie jene, die er bisher kennengelernt hatte. Mit Sicherheit hätte er sich wieder abwenden sollen. Die Vernunft verlangte, daß er fortging.
Doch Vernunft war nicht Geschichtentauschers starke Seite. So hatte der Alte Ben vor Jahren einmal zu ihm gesagt: »Du wirst eines Tages noch ins Maul der Hölle hineingehen, Bill, nur um festzustellen, warum der Teufel so schlechte Zähne hat.«
Es gab einen Grund für diese Brücken, und Geschichtentauscher spürte, daß dies eine Geschichte bedeuten würde, die es wert war, in seinem Buch festgehalten zu werden.
Schließlich war es ja nur eine Meile. Als der Pfad gerade den Anschein erweckte, als würde er in den undurchdringlichen Wald führen, machte er eine scharfe Wendung nach Norden und führte auf das schönste Anwesen, das Geschichtentauscher jemals erblickt hatte, schöner sogar als jene in den ruhigen, besiedelten Ländereien von New Orange und Pennsylvania. Das Haus war groß und gut gebaut, mit genau zugeschnittenen Holzblöcken, was bedeutete, daß es eine dauerhafte Bleibe sein sollte. Außerdem gab es Scheunen, Schuppen und Ställe, die das Anwesen fast zu einem eigenen Dorf machten. Eine Rauchfahne, die sich eine halbe Meile pfadaufwärts in den Himmel emporzog, verriet ihm, daß er wohl nicht ganz falsch geraten hatte. Es gab einen weiteren Haushalt in der Nähe, der den Pfad mit dem anderen teilte, was wiederum bedeutete, daß es sich wahrscheinlich um Verwandtschaft handelte. Zweifellos verheiratete Kinder, und alle bestellten das Land gemeinsam, um des größeren Wohlstands aller willen. Es war eine gute Sache, wußte Geschichtentauscher, wenn Brüder so aufwachsen konnten, daß sie einander gern genug hatten, um gegenseitig ihre Äcker zu pflügen.
Geschichtentauscher ging stets auf das Haus zu. Es war besser, sein Kommen sofort anzukündigen, als umherzuschleichen und für einen Räuber gehalten zu werden. Doch als er sich diesmal dem Haus nähern wollte, merkte er, wie er ganz plötzlich sehr benommen wurde und sich nicht mehr erinnern konnte, was er zu tun beabsichtigt hatte. Ein solch mächtiger Abwehrschutz ergriff ihn, daß er gar nicht spürte, wie er fortgetrieben worden war, bis er schon die halbe Strecke den Hügel hinuntergegangen war, auf ein Steingebäude neben einem Bach zu. Erblieb abrupt stehen, verängstigt, denn niemand besaß genug Macht, dachte er, um ihn zurückzudrängen, ohne daß er merkte, was geschah. Dieser Ort war ebenso seltsam wie die beiden vorhergehenden, und er wollte nichts damit zu tun haben.
Doch als er versuchte, umzukehren, denselben Weg zurückzunehmen, den er gekommen war, geschah wieder das gleiche. Er stellte fest, wie er den Hügel hinunter auf das Gebäude mit den Steinmauern zuging.
Wieder blieb er stehen, und diesmal murmelte er: »Wer immer du bist und was immer du willst, entweder gehe ich aus eigenem, freiem Willen oder überhaupt nicht.«
Sogleich spürte er in seinem Rücken eine Brise, die ihn auf das Gebäude zuschob. Aber er wußte auch, daß er umkehren konnte, wenn er wollte. Gegen den Widerstand der Brise zwar, aber er hätte es gekonnt. Das beruhigte ihn erheblich. Was immer es für Zwänge waren, die man ihm auferlegt hatte, sie waren jedenfalls nicht dazu gedacht, ihn zu versklaven. Und das, so wußte er, war eines der Merkmale eines gütigen Zaubers — und nicht der verborgenen Fesseln eines Peinigers.
Der Pfad machte eine leichte Biegung nach links, den Bach entlang, und nun erkannte er, daß das Gebäude eine Mühle war, denn es gab da einen Fluder und ein großes Rad, das sich dort befand, wo für gewöhnlich das Wasser floß. Doch heute strömte kein Wasser im Fluder, und als er nahe genug herangekommen war, um durch die riesige, scheunengroße Tür zu spähen, entdeckte er auch, warum. Die Mühle war nicht nur für den Winter geschlossen, sie war noch nie benutzt worden. Die Zahnräder waren alle angebracht, aber der große runde Mühlstein war nicht vorhanden. Es gab nur ein Fundament aus behauenen Kopfsteinen.