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»Ich hoffe, daß ich die Geschichte solcher Zeiten zu hören bekommen, bevor ich wieder aufbreche«, erwiderte Geschichtentauscher.

Faith wandte den Blick ab, während sie eine weitere Scheibe Käse auf das Brot eines Enkelkinds legte.

Geschichtentauscher jedoch fuhr mit seinem Tagesbericht fort, denn er wollte nicht zeigen, daß sie ihn möglicherweise durch ihr Schweigen in Verlegenheit gebracht hatte. »Dieser Wagenpfad war äußerst merkwürdig«, sagte er. »Es gab bedeckte Brücken, die über Bäche führten, die ein Kind hätte durchwaten und ein Mann überschreiten können. Ich hoffe, die Geschichte dieser Brücken zu hören, bevor ich wieder aufbreche.«

Wieder wich alles seinem Blick aus.

»Und als ich aus dem Wald trat, fand ich eine Mühle ohne Mühlstein vor, und zwei Jungen, die auf einem Wagen rangen, und einen Müller, der mir den schlimmsten Wurf meines Lebens verpaßte, dazu eine Familie, die mich aufnahm und mir das beste Zimmer im ganzen Haus gab, obwohl ich doch ein Fremder war und obwohl sie nicht wußten, ob ich ein guter oder ein böser Mensch bin.«

»Natürlich seid Ihr gut«, warf Al Junior ein.

»Darf ich eine Frage stellen? Ich habe schon viele gastfreundliche Menschen erlebt und habe in vielen glücklichen Häusern gewohnt, aber keines war glücklicher als dieses, und keines war ganz so froh, mich zu sehen.«

Alle am Tisch verstummten. Schließlich hob Faith den Kopf und lächelte ihn an. »Ich bin froh, daß Ihr uns glücklich vorgefunden habt«, sagte sie. »Aber wir erinnern uns auch an andere Zeiten; vielleicht ist unser jetziges Glück durch die Erinnerung an das Leid größer geworden.«

»Aber warum nehmt Ihr einen Mann wie mich auf?«

Miller selbst antwortete: »Weil auch wir einmal Fremde waren und weil gute Menschen uns aufgenommen haben.«

»Ich habe eine Weile in Philadelphia gelebt, und da fällt es mir ein, Euch zu fragen, ob Ihr zu der Gesellschaft der Freunde gehört?«

Faith schüttelte den Kopf. »Ich bin Presbyterianerin. Und viele der Kinder auch.«

Geschichtentauscher sah Miller an.

»Ich bin nichts«, sagte er.

»Ein Christ ist nicht nichts«, meinte Geschichtentauscher.

»Ich bin auch kein Christ.«

»Ah«, sagte Geschichtentauscher. »Also ein Deist, wie Tom Jefferson.«

Die Kinder murmelten, als er den Namen des großen Mannes erwähnte.

»Geschichtentauscher, ich bin ein Vater, der seine Kinder liebt, ein Ehemann, der seine Frau liebt, ein Farmer, der seine Schulden bezahlt, und ein Müller ohne Mühlstein.«

Dann erhob sich der Mann vom Tisch und schritt davon. Sie hörten, wie sich die Haustür schloß.

Geschichtentauscher wandte sich Faith zu. »Oh, Milady, ich fürchte, jetzt bereut Ihr es, daß ich Euer Haus betreten habe.«

»Ihr stellt sehr viele Fragen«, meinte sie.

»Ich habe Euch meinen Namen genannt, und mein Name gibt Aufschluß über mein Tun. Wann immer ich spüre, daß es eine Geschichte gibt, die wichtig und wahr ist, so hungere ich danach. Und wenn ich sie höre und an sie glaube, dann erinnere ich mich auf alle Zeiten an sie und erzähle sie immer wieder, wo immer ich hingehe.«

»So verdient Ihr Euch Euren Lebensunterhalt?» fragte eines der Mädchen.

»Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt, indem ich beim Ausbessern von Wagen helfe und Gräben aushebe und Fäden spinne und alles andere tue, was getan werden muß. Aber mein Lebenswerk sind Geschichten, und die tausche ich, eine gegen die andere. Ihr mögt jetzt vielleicht glauben, daß Ihr mir keine Eurer Geschichten erzählen wollt, und das behagt mir gut, denn ich habe nie eine Geschichte genommen, die nicht freiwillig erzählt wurde. Ich bin kein Dieb. Aber seht Ihr, ich habe bereits eine Geschichte — die Dinge, die mir heute widerfahren sind. Die gütigsten Menschen und das weichste Bett zwischen dem Mizzipy und dem Alph.«

»Wo ist denn der Alph? Ist das ein Fluß?» fragte Cally.«

»Wie, wollt Ihr eine Geschichte hören?» fragte Geschichtentauscher.

»Ja!» riefen die Kinder im Chor.

»Aber nicht über den Fluß Alph«, meinte Al Junior. »Den gibt es doch nicht wirklich.«

Geschichtentauscher sah ihn erstaunt an. »Woher hast du das gewußt? Hast du etwa Lord Byrons Sammlung der Dichtung von Coleridge gelesen?«

Al Junior sah etwas verwirrt um sich.

»Wir haben hier nicht viele Bücher«, erklärte Faith. »Der Prediger erteilt ihnen Bibelstunden, damit sie lesen lernen.«

»Woher wußtest du dann, daß es den Fluß Alph nicht wirklich gibt?«

Al Junior verzog das Gesicht, als wollte er sagen: Stell mir keine Fragen, wenn ich die Antworten selbst nicht kenne. »Ich möchte eine Geschichte von Jefferson hören. Ihr habt seinen Namen so ausgesprochen, als wäret Ihr ihm begegnet.«

»Oh, das bin ich auch. Ich habe auch das Schwert gesehen, mit dem George Washington geköpft wurde. Ich habe sogar König Robert den Zweiten gesehen, bevor die Franzosen sein Schiff versenkten und es ihn auf den Meeresboden herabriß.«

»Wo er auch hingehörte«, murmelte Faith.

»Wenn nicht noch tiefer«, meinte eines der älteren Mädchen.

»Dazu sage ich gerne amen. Es heißt in Appalachee, daß soviel Blut an seinen Händen klebte, daß selbst seine Knochen davon braungefärbt waren, so daß nicht einmal die gierigsten Fische daran nagen wollten.«

Die Kinder lachten.

»Noch mehr als eine Geschichte über Tom Jefferson«, sagte Al Junior, »möchte ich gerne eine Geschichte vom größten amerikanischen Zauberer hören. Ich wette, Ihr habt Ben Franklin kennengelernt.«

Wieder verblüffte ihn das Kind. Woher wußte der Junge, daß er von allen Geschichten jene über Ben Franklin am liebsten erzählte? »Ihn gekannt? O ja, ein wenig«, sagte Geschichtentauscher und wußte, daß die Art, wie er es sagte, ihnen alle Geschichten verhieß, auf die sie hoffen durften. »Ich habe nur ein halbes Jahr mit ihm zusammengelebt, und jede Nacht waren da acht Stunden, in denen ich nicht mit ihm zusammen war — daher kann ich nicht behaupten, daß ich viel über ihn weiß.«

Al Junior beugte sich über die Tischplatte, seine Augen leuchteten und zuckten nicht. »War er wirklich ein Macher?«

»Jede dieser Geschichten zu ihrer Zeit«, sagte Geschichtentauscher. »Solange Euer Vater und Eure Mutter bereit sind, mich hierzubehalten, und solange ich glaube, daß ich mich nützlich mache, werde ich bleiben und Tag und Nacht Geschichten erzählen.«

»Fangen wir mit Ben Franklin an«, beharrte Alvin Junior. »Hat er wirklich den Blitz aus dem Himmel herabgezogen?«

10. Visionen

Alvin Junior erwachte schweißgebadet aus einem Alptraum. Er keuchte, als hätte er gerade versucht, davonzulaufen, dabei wußte er, daß es kein Davonlaufen gab. Mit geschlossenen Augen lag er da, fürchtete sich eine Weile davor, sie zu öffnen, denn er wußte, daß der böse Traum auch dann immer noch dasein würde. Vor langer Zeit, als er noch sehr klein gewesen war, hatte er noch aufgeschrien, wenn dieser Alptraum kam. Doch als er versucht hatte, ihn Papa und Mama zu erklären, hatten sie immer dasselbe gesagt. »Aber das ist doch nichts, Sohn. Willst du mir erzählen, daß du dich so vor nichts fürchtest?«

Da hatte er sich beigebracht, nur noch leise vor sich hinzuschluchzen und niemals laut aufzuschreien, wenn der Traum kam.

Er öffnete die Augen, und der Traum floh in die Ecken des Raums zurück, wo er. ihn nicht unmittelbar anschauen mußte. Das erleichterte ihn schon etwas. Bleib da und laß mich in Ruhe, sagte er stumm.

Dann begriff er, daß es schon voller Tag war und daß Mama seine schwarzen Hosen und die Jacke aus grobem Tuch herausgelegt hatte und dazu ein sauberes Hemd. Seine Sonntagsindie-Kirchegehen-Kleider. Fast wäre er lieber zu seinem Alptraum zurückgekehrt, als mit so einem Gedanken zu erwachen.