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»Na, wir sind aber hier, falls Euch das noch nicht aufgefallen sein sollte«, meinte Alvin. »Was ist das für eine dumme Geschichte, wenn wir einander bloß anschauen müssen, um zu erkennen, daß sie nicht wahr ist?«

»Ich gebe zu, daß sie ihre Probleme mit sich bringt.«

»Ich dachte, Ihr würdet immer nur Geschichten erzählen, die Ihr glaubt.«

»Während ich sie erzählte, habe ich auch daran geglaubt.«

Geschichtentauscher sah so traurig aus, daß Alvin die Hand ausstreckte und sie dem Mann auf die Schulter legte, obwohl sein Mantel so dick war und Alvins Hand so klein, daß er sich nicht sicher war, ob Geschichtentauscher es überhaupt spürte. »Ich habe sie auch geglaubt. Zumindest, eine Weile.«

»Dann ist auch etwas Wahrheit darin. Vielleicht nicht viel, aber etwas.«

Geschichtentauscher sah erleichtert aus.

Doch Alvin konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. »Nur weil Ihr es glaubt, muß es noch nicht so sein.«

Geschichtentauschers Augen weiteten sich. Jetzt habe ich es geschafft, dachte Alvin. Jetzt habe ich ihn so zornig gemacht, wie ich Thrower immer zornig mache. Daher war er nicht überrascht, als Geschichtentauscher ihm beide Arme entgegenstreckte, Alvins Gesicht zwischen die Hände nahm und mit solcher Kraft zu ihm sprach, daß sich die Worte tief in Alvins Stirn eingruben. »Alles, was zu glauben möglich ist, ist auch ein Abbild der Wahrheit.«

Und diese Worte durchfuhren ihn tatsächlich; er verstand sie, obwohl er nicht ausdrücken konnte, was genau er verstand. Alles, was zu glauben möglich ist, ist auch ein Abbild der Wahrheit, zumindest liegt etwas Wahres darin. Und wenn ich es im Geiste durchgehe, dann kann ich vielleicht feststellen, was daran wahr ist und was falsch…

Alvin erkannte noch etwas anderes: All seine Streitgespräche mit Thrower liefen auf eines hinaus, nämlich daß Alvin, wenn ihm etwas nicht einleuchte, nicht daran glaubte, und dann konnten ihn auch noch soviele Zitate aus der Bibel nicht überzeugen. Geschichtentauscher sagte ihm gerade, daß er im Recht war, sich zu weigern, an Dinge zu glauben, die keinen Sinn ergaben. »Geschichtentauscher, soll das heißen, daß das, was ich nicht glaube, auch nicht wahr sein kann?«

Geschichtentauscher hob die Augenbrauen und antwortete wieder mit einem Sprichwort. »Die Wahrheit kann nie so erzählt werden, daß sie verstanden wird, ohne geglaubt zu werden.«

Alvin war die Sprichworte leid. »Würdet Ihr mir ausnahmsweise einmal geradeheraus antworten!«

»Das Sprichwort ist die Wahrheit, Junge. Ich weigere mich, an ihm herumzudeuteln, nur damit es einem verwirrten Geist entspricht.«

»Na, wenn mein Geist verwirrt ist, dann ist das alles Eure Schuld. Euer ganzes Gerede von Ziegelsteinen, die schon zerbröckeln, noch bevor die Mauer erbaut wurde…«

»Hast du das denn nicht geglaubt?«

»Vielleicht habe ich es geglaubt. Ich schätze, wenn ich versuchen sollte, das ganze Gras dieser Weide zu Käferkörben zu flechten, dann würde das Gras wahrscheinlich abgestorben und zu Nichts verfault sein, bevor ich am anderen Ende angelangt wäre. Ich schätze, wenn ich alle Bäume von hier bis zum Noisy River in Scheunen verwandeln wollte, dann wären die Bäume alle tot und umgestürzt, bevor ich jemals den letzten erreicht hätte. Man kann kein Haus aus verfaulten Stämmen bauen.«

»Ich wollte gerade sagen: ›Menschen können nichts Dauerhaftes aus vergänglichen Teilen bauen.‹ Das ist das Gesetz. Aber so, wie du es ausgedrückt hast, lautet das Sprichwort des Gesetzes: ›Man kann kein Haus aus verfaulten Stämmen bauen. ‹«

»Ich habe ein Sprichwort gesagt?«

»Und wenn wir nach Hause zurückgekehrt sind, dann schreibe ich es in mein Buch.«

»In den versiegelten Teil?» fragte Alvin. Dann fiel ihm ein, daß er dieses Buch nur einmal gesehen hatte, als er spät in der Nacht durch eine Bodenritze nach unten geblickt hatte, wo Geschichtentauscher im Zimmer unter ihm bei Kerzenlicht geschrieben hatte.

Geschichtentauscher blickte ihn scharf an. »Ich hoffe, daß du niemals versucht hast, dieses Siegel aufzuzaubern.«

Alvin war beleidigt. Er mochte ja durch Ritzen spähen, aber schnüffeln tat er nie. »Zu wissen, daß Ihr nicht wollt, daß ich diesen Teil lese, ist besser als jedes dämliche Siegel, und wenn Ihr das nicht wißt, dann seid Ihr auch nicht mein Freund. Ich schnüffle nicht in Euren Geheimnissen.«

»Meinen Geheimnissen?«

Geschichtentauscher lachte. »Ich versiegle diesen Teil, weil ich dort selbst hineinschreibe und einfach nicht möchte, daß andere in diesen Teil des Buchs schreiben.«

»Schreiben andere denn in den vorderen Teil?«

»Ja, das tun sie.«

»Na, was schreiben sie denn? Kann ich auch etwas reinschreiben?«

»Sie schreiben einen Satz über das Wichtigste, was sie jemals getan oder mit eigenen Augen gesehen haben. Dieser eine Satz ist alles, was ich benötige, um mich an ihre Geschichte erinnern zu können. Wenn ich also in eine andere Stadt komme, in ein anderes Haus, dann kann ich das Buch öffnen, den Satz lesen und die Geschichte erzählen.«

Alvin fiel etwas ein: Geschichtentauscher hatte doch mit Ben Franklin zusammengelebt. »Hat Ben Franklin auch in Euer Buch geschrieben?«

»Er hat sogar den allerersten Satz hineingeschrieben.«

»Er hat das Wichtigste hineingeschrieben, was er je getan hat?«

»Das hat er.«

»Nun, was war es denn?«

Geschichtentauscher erhob sich. »Komm mit mir zurück ins Haus, mein Junge, dann zeige ich es dir. Und unterwegs erzähle ich dir die Geschichte, um zu erklären, was er geschrieben hat.«

Alvin sprang auf und zerrte den alten Mann förmlich zu dem Pfad hinüber, der zurück zum Haus führte. »Dann kommt!«

Alvin wußte nicht, ob Geschichtentauscher beschlossen hatte, nicht in die Kirche zu gehen, oder ob er es einfach nur vergessen hatte — was immer auch der Grund war, Alvin war mit dem Verlauf des Vormittags mehr als zufrieden. Ein Sonntag ohne Kirche, das war ein Sonntag, den es zu leben lohnte. Wenn man dem noch Geschichtentauschers Geschichten und die eigene Handschrift des Machers Ben in einem Buch hinzuzählte, war es ein wahrhaft vollkommener Tag.

»Wir sind nicht in Eile, Junge. Ich werde schon nicht vor dem Mittag sterben, und du auch nicht, und Geschichten brauchen ihre Zeit, um erzählt zu werden.«

»War es etwas, was er gemacht hat?» fragte Alvin. »Die wichtigste Sache?«

»Tatsächlich war es das.«

»Ich wußte es doch! Die Zwei Gläser-Brille? Der Ofen?«

»Die Leute haben immer zu ihm gesagt, Ben, du bist ein wirklicher Macher. Aber er hat es immer bestritten. So wie er bestritten hat, daß er ein Zauberer sei. Ich habe kein Talent für die geheimen Mächte, hat er gesagt. Ich nehme einfach nur Stücke von Dingen und füge sie auf eine bessere Weise zusammen. Es gab auch schon Öfen, bevor ich meinen Ofen gemacht habe. Es gab Brillen, bevor ich meine Brille schuf. Ich habe niemals wirklich etwas erschaffen, wie es ein wirklicher Macher, ein Schöpfer täte. Ich gebe Euch Brillen mit zwei Gläsern, aber ein Macher würde Euch neue Augen geben.«

»Er meinte, daß er niemals irgend etwas gemacht hätte?«

»Das habe ich ihn auch eines Tages gefragt. Am selben Tag, da ich mit meinem Buch anfing. Ich habe zu ihm gesagt: ›Ben, was ist das Wichtigste, was Ihr je gemacht habt?‹ Und dann fing er so an, wie ich es gerade erzählt habe, daß er niemals wirklich etwas mache, und ich sagte zu ihm: ›Ben, das glaubt Ihr selbst nicht, und ich glaube es auch nicht.‹ Und da sagte er: ›Bill, du hast mich durchschaut. Es gibt tatsächlich etwas, was ich gemacht habe, und es ist das Wichtigste, was ich jemals getan habe!«